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Pflegereform bleibt umstritten

BERLIN (ks). Der Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeversicherung bleibt nicht nur in der Großen Koalition selbst, sondern auch unter Experten in einigen Punkten umstritten. Dies zeigte sich vergangene Woche in den öffentlichen Anhörungen im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Während die Pläne zur Verbesserung der Pflegequalität auf Zustimmung trafen, gab es bei der Frage der Einrichtung von Pflegestützpunkten viel Kritik. Auch die von der Bundesregierung vorgesehenen Maßnahmen zur Finanzierung sind aus Sicht der Experten keinesfalls ausreichend.

In dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist der Aufbau von rund 4000 Pflegestützpunkten vorgesehen. In diesen sollen sich Bürger individuell über Pflegeleistungen und -einrichtungen informieren können. Während die SPD-Fraktion die Einrichtung von Pflegestützpunkten befürwortet, lehnt die Unions-Fraktion sie als unnötig bürokratisch ab. Die Union sieht ihre Haltung nun durch die Experten-Anhörung gestützt: So betonte der AOK-Vizevorstandschef Herbert Reichelt, dass ein individueller Rechtsanspruch auf Pflegeberatung zwar "dringend geboten" sei – es sei aber "mehr als fraglich", ob man hierzu völlig neue Strukturen aufbauen müsse. Der Sozialrechtler Professor Gregor Thüsing von der Universität Bonn wies auf verfassungsrechtliche Probleme hin: Es bestehe die "Gefahr der Mischverwaltung", wie sie vor wenigen Wochen vom Bundesverfassungsgericht bereits im Fall der Arbeitsgemeinschaften zur Umsetzung der Hartz-Reformen beanstandet worden sei. Die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Cornelia Goesmann, sagte, die Stützpunkte würden ausschließlich der Organisation und Verwaltung von Leistungen dienen. Der eigentlichen Versorgung könnten so beträchtliche Mittel entzogen werden. Die Freie Wohlfahrtspflege warnte, die vielfach schon jetzt vorhandenen Beratungsstellen seien nicht ausreichend in die Pläne einbezogen. Doppelstrukturen müssten vermieden werden.

Lockerung des Arztvorbehaltes umstritten

Zuspruch und Kritik gab es von den Experten für den Plan, Angehörigen der Pflegeberufe die Möglichkeit einzuräumen, Hilfs- und Verbandsmittel zu verordnen – hierfür hatte sich der Gesundheits-Sachverständigenrat in seinem Gutachten 2007 ausgesprochen. Der Vizepräsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, begrüßte, dass die Bundesregierung diesem Vorschlag folgen möchte. Ein Pfleger, der etwa chronische Wunden behandelt, müsse auch das entsprechende Verbandsmaterial auswählen können, so Wagner. Nach dem Gesetzentwurf soll es zudem Modellprojekte geben, in denen die Pflegeberufe – anders als bisher – in beschränktem Umfang die Heilkunde ausüben dürfen. Der Pflegerat verwies darauf, dass ein solches Vorgehen international üblich sei. Es könne nicht sein, dass das Grundprinzip des Arztvorbehalts höher bewertet werde als die Versorgungsqualität und -sicherheit der Betroffenen. Die Bundesärztekammer und die Kassenärztlichen Bundesvereinigung betonten hingegen, bei der Öffnung des Arztvorbehalts in der medizinischen Versorgung handele es sich "um eine gesundheitspolitisch und gesundheitsökonomisch, vor allem medizinisch fragwürdige Entscheidung". Weder bestehe hierfür eine Notwendigkeit, noch werde damit der Fortbestand der Qualität der medizinischen Versorgung gesichert. Die organisierte Ärzteschaft schlägt stattdessen Modellvorhaben vor, die die Delegationsmöglichkeiten von Ärzten durch Übertragung bestimmter Tätigkeiten auf medizinische Fachangestellte erproben.

Finanzierung nicht langfristig gesichert

Streit gab es nicht zuletzt auch um die Frage, wie die Finanzierung der Pflegeversicherung langfristig gesichert werden kann. Zwar bestätigten die meisten Sachverständigen, dass mit der vorgesehenen Beitragssatzanhebung bis etwa 2015 für Sicherheit gesorgt sei – gleichwohl plädierten nahezu alle Experten für einen Systemwechsel. Dazu gab es unterschiedliche Vorschläge – von der Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung bis zum Aufbau eines Kapitalstocks als Demografiereserve. Für den Freiburger Finanzwissenschaftler Professor Bernd Raffelhüschen wäre es sogar das Sinnvollste, die Pflegeversicherung auslaufen zu lassen. Für die arme Bevölkerung müsse die Pflege über Steuermittel finanziert, ansonsten solle private Vorsorge betrieben werden, so Raffelhüschen.

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