Arzneimittel und Therapie

Erster voll humaner EGFR-Antikörper eingeführt

Auserkorenes Ziel der Onkologen ist es, Medikamente nur noch bei den Patienten einzusetzen, die davon wirklich profitieren. Allen anderen werden so Nebenwirkungen erspart. Doch Non-Responder im Vorfeld herauszufiltern, ist oft schwierig. Für die EGF-Rezeptor-Antikörpertherapie beim metastasierten kolorektalen Karzinom wurde nun ein prädiktiver Biomarker gefunden: das K-Ras-Gen. Der erste vollhumane EGF-R-Antikörper Panitumumab (Vectibix®) zur Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms wird deshalb sehr gezielt eingesetzt, nämlich nur bei nicht-mutiertem K-Ras-Gen.

Panitumumab ist als Monotherapie indiziert zur Behandlung des metastasierten, EGF-R-exprimierenden kolorektalen Karzinoms mit nicht-mutiertem (Wildtyp-)K-Ras-Gen bei Patienten, bei denen Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- und Irinotecan-haltige Chemotherapieregimes versagt haben.

Bestimmung des K-Ras-Mutationsstatus ist Pflicht

Das K-Ras (Kirsten rat sarcoma 2 viral oncgene homolog)-Gen gehört zu der Gruppe von Ras Protoonkogenen. Das darauf kodierte K-Ras-Protein ist wesentlich an der Regulation des Zellwachstums beteiligt. In der Signaltransduktionskette ist es dem EGF-Rezeptor nachgeschaltet, der die Eintrittspforte zu multiplen zellulären Signalkaskaden bildet. Bei einer Aktivierung von EGF-R ist auch K-Ras aktiv. Bei einer EGF-R-Hemmung wird auch K-Ras lahm gelegt. Das gilt allerdings nur für den K-Ras-Wildtyp. Bei einer K-Ras-Mutation, wie sie bei 30 bis 40% der Patienten mit kolorektalem Karzinom vorliegt, ist das Ras-Protein konstitutiv aktiv und stimuliert die Tumorproliferation unabhängig vom EGF-Rezeptor. Eine EGF-R-Hemmung hat dann keinen Einfluss mehr auf K-Ras-Aktivität und Tumorwachstum. Die Therapie mit einem EGF-R-Antikörper bleibt ohne Wirkung. Die Bestimmung des K-Ras-Mutationsstatus wird daher künftig eine Schlüsselrolle in der EGFR-Antikörpertherapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms spielen. Bei Patienten, die mit Panitumumab behandelt werden sollen, muss vorab der Mutationsstatus mittels eines molekularpathologischen K-Ras-Mutationstests durchgeführt werden. Eine Indikation besteht nur bei nicht-mutiertem K-Ras-Gen. K-Ras-Mutationen finden sich nicht nur beim kolorektalen Karzinom. Sie lassen sich auch bei bis zu 90% der Pankreaskarzinome und bei 15 bis 50% der Lungenkarzinome nachweisen.


Panitumumab bindet an den epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptor (EGF-R) und verhindert dadurch, dass der eigentliche Ligand, der Wachstumsfaktor EGF, binden kann. Dadurch wird gleichzeitig die EGF-R-induzierte Signaltransduktionskaskade, die letztlich zu Zellproliferation und Metastasenbildung führt, blockiert. Panitumumab ist der erste voll humane monoklonale Antikörper der Immunglobulin-Klasse IgG2. Er ist in Europa indiziert zur Monotherapie von Patienten mit metastasiertem kolorektalen Karzinom, das EGF-R exprimiert und das ein nicht-mutiertes K-Ras-Gen aufweist.

"Das Konzept der Humanisierung geht auf"

Die EGFR-Inhibition mit monoklonalen Antikörpern wird in der Behandlung des kolorektalen Karzinoms bereits seit einiger Zeit verfolgt. Bislang stand mit Cetuximab ein chimärer monoklonaler Antikörper zur Verfügung. Mit Panitumumab ist nun der erste voll humane Antikörper zur Therapie des metastasierten kolorektalen Karzinoms (KRK) auf dem Markt. Er besteht zu 100% aus menschlichem Protein. Damit sinkt das Risiko von Nebenwirkungen. Die für EGF-R-Inhibitoren typischen Hautreaktionen (90% der Patienten) wie akneiforme Dermatitis, Juckreiz, Erythem traten vor allem in leichteren Schweregraden 1 und 2 auf. Auch schwere Infusionsreaktionen, die sich in anaphylaktischen Reaktionen wie Bronchospasmen, Fieber, Schüttelfrost und niedrigem Blutdruck äußern, sind selten. Die Häufigkeit potenzieller Infusionsreaktionen lag insgesamt unter 2%, Grad-3- und 4-Reaktionen wurden nur bei 0,05% beobachtet. Das ermöglicht kürzere Infusionszeiten und den Verzicht auf eine Prämedikation, so Dr. Wolfgang Abenhardt, München. Anti-Panitumumab-Antikörper konnten mittels ELISA nicht nachgewiesen werden. "Das Konzept der Humanisierung des Antikörpers geht voll auf", kommentierte Dr. Dirk Arnold von der Martin-Luther-Universität Halle die Ergebnisse.

Bei Patienten mit metastasiertem kolorektalem Karzinom, das refraktär gegen Standard-Chemotherapieregimes war, verbesserte Panitumumab (n = 231; Applikation alle zwei Wochen) das progressionsfreie Überleben (PFS) im Vergleich mit bester supportiver Therapie (BSC; best supportive care) signifikant (Van Cutsem E. et al. JCO 2007). In der randomisierten, kontrollierten Phase-III-Studie wurde durch die zusätzliche Gabe von Panitumumab zur besten supportiven Therapie ein partielles Ansprechen bei 10% (BSC: 0%), eine Stabilisierung der Erkrankung bei 37% (BSC: 10%) erreicht, im Mittel über 4,25 Monate. Der voll humane Antikörper zieht damit mit Cetuximab, das in einer anderen Studie ebenfalls im Vergleich zur besten supportiven Therapie getestet wurde (Jonker et al.; NEJM 2007) mindestens gleich.

Theranostik

Ein neuer Begriff hat die Onkologie erreicht: die "Theranostik". Das Kofferwort beschreibt die enge Verzahnung von Diagnostik und Therapie, die das Ziel hat, die richtige Therapie für den richtigen Patienten zu ermöglichen. Mittels Theranostik soll geprüft werden, ob sich ein Arzneimittel für die Therapie einer bestimmten Erkrankung bei einem individuellen Patienten eignet. In den Studien zu Panitumumab kristallisierte sich deutlich heraus, dass der K-Ras-Mutationsstatus entscheidend für ein mögliches Ansprechen auf die EGF-R-Blockade ist.

Profit nur für Patienten mit K-Ras-Wildtyp-Gen

Besonders interessant aber ist die prospektive Auswertung der Daten, die den K-Ras-Mutationsstatus berücksichtigt. Er konnte bei mehr als 90% der Patienten ausgewertet werden, 40% von ihnen wiesen eine K-Ras-Mutation auf. Die Ergebnisse zeigen, dass Patienten mit einer K-Ras-Mutation von Panitumumab nicht profitieren. Bei Patienten mit K-Ras-Wildtyp-Gen ist die Wirkung dagegen statistisch hochsignifikant. Im Vergleich: Im Gesamtkollektiv lag das progressionsfreie Überleben (Mittelwert) bei 15,4 Wochen gegenüber 9,6 Wochen, bei Patienten mit K-Ras-Mutation bei 9,9 Wochen gegenüber 10,2 Wochen und bei Patienten mit Wildtyp-Gen bei 19,0 gegenüber 9,3 Wochen. Bei 51% der K-Ras-Wildtyp-Patienten konnte eine Krankheitskontrolle erreicht werden, bei K-Ras-Mutanten nur bei 12%. Ein partielles objektives Ansprechen des Tumors wurde nur bei K-Ras-Wildtyp beobachtet, nämlich bei 17% der Patienten. Diese Resultate markieren den Auftakt für eine immer stärker individualisierte Therapie in der Onkologie.

Steckbrief: Panitumumab

Handelsname: Vectibix

Hersteller: Amgen GmbH, München

Einführungsdatum: 15. Januar 2008

Zusammensetzung: 1 ml des Konzentrates enthält 20 mg Panitumumab. Jede Durchstechflasche enthält entweder 100 mg Panitumumab in 5 ml, 200 mg in 10 ml oder 400 mg in 20 ml. Sonstige Bestandteile: Natriumchlorid, Natriumacetat-Trihydrat, Essigsäure (Eisessig, zur pH-Wert Einstellung), Wasser zu Injektionszwecken.

Packungsgrößen, Preise und PZN: 1 x 5 ml, 561,20 Euro, PZN 6078606

Stoffklasse: Antineoplastische Wirkstoffe, monoklonale Antikörper, ATC-Code: L01XC08.

Indikation: Vectibix ist als Monotherapie indiziert zur Behandlung des metastasierten, EGFR exprimierenden kolorektalen Karzinoms mit nichtmutiertem (Wildtyp-)K-Ras-Gen bei Patienten, bei denen Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- und Irinotecan-haltige Chemotherapieregime versagt haben.

Dosierung: Die empfohlene Dosis von Panitumumab beträgt 6 mg/kg KG (Körpergewicht) einmal alle zwei Wochen.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen Panitumumab oder einen der sonstigen Bestandteile. Interstitielle Pneumonie oder Lungenfibrose.

Nebenwirkungen: Sehr häufig: Hautausschlag, Erythem, Exfoliation, Pruritus, trockene Haut, Fissuren, Paronychie; Diarrhö; Fatigue. Häufig: Infusionsreaktionen (Pyrexie, Schüttelfrost); Hypomagnesiämie, Hypocalcämie, Hypokaliämie, Dehydratation; Übelkeit, Erbrechen; Dyspnoe, Husten; Kopfschmerzen; Konjunktivitis, Wimpernwachstum, Verstärkter Tränenfluss, okuläre Hyperämie, trockene Augen, Augenpruritus; Stomatitis, Schleimhautentzündungen, Onycholyse, Hypertrichose; Alopezie, trockene Nase, trockener Mund.

Wechselwirkungen: Es wurden keine Studien zur Untersuchung von Wechselwirkungen durchgeführt. Die gleichzeitige Anwendung von Panitumumab mit IFL (Fluorouracil, Leucovorin, Irinotecan) oder Bevacizumab und Chemotherapie-Kombinationen wird nicht empfohlen. Bei der Anwendung von Panitumumab in Kombination mit Bevacizumab und Chemotherapie-Kombinationen kam es zu einer erhöhten Todesrate, daher sollten diese Kombinationen vermieden werden.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Hautreaktionen treten bei nahezu allen mit Panitumumab behandelten Patienten (ungefähr 90%) auf; diese sind mehrheitlich leicht bis mäßig im Schweregrad; werden die Hautreaktionen als nicht tolerierbar eingeschätzt, ist die Anwendung von Panitumumab vorübergehend auszusetzen, bis eine Besserung eingetreten ist; Patienten, die schwerwiegende Hautreaktionen entwickeln, müssen hinsichtlich entzündlicher oder infektiöser Folgeerscheinungen überwacht werden; Patienten, die einen Hautausschlag/ Hautreaktionen entwickeln, sollten die Sonne meiden, ein Sonnenschutzmittel verwenden und eine Kopfbedeckung tragen. Bei akut einsetzenden oder sich verschlechternden Lungensymptomen ist die Behandlung zu unterbrechen und die Symptome sind unverzüglich abzuklären. Die Patienten sollten regelmäßig hinsichtlich Hypomagnesiämie und begleitender Hypocalcämie überwacht werden. Falls Patienten Symptome im Zusammenhang mit der Behandlung zeigen, die ihr Sehvermögen und/oder ihre Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit beeinflussen, sollten sie kein Kraftfahrzeug führen oder Maschinen bedienen.

Quelle

Dr. Wolfgang Abenhardt, München; Dr. Dirk Arnold, Halle: Einführungspressekonferenz Vectibix® , München, 15. Januar 2008, veranstaltet von der Amgen GmbH, München. 

 


Apothekerin Dr. Beate Fessler

 

 

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.