Arzneimittel und Therapie

"Die Dosis macht das Gift!"

Wird eine Anämie im Rahmen einer onkologischen Erkrankung mit Erythropoetin behandelt, besteht die Gefahr, dass sich die Prognose der Krebspatienten verschlechtert. Verantwortlich dafür könnte eine eigenständige tumorinduzierende Wirkung des physiologisch als Wachstumsfaktor für die Erythrozytenbildung fungierenden Hormons sein. Um das Risiko einzuschränken, sollten Erythropoetine entsprechend der Zulassung im Rahmen von Tumorerkrankungen nur bei chemotherapieinduzierter Anämie eingesetzt werden. Hämoglobinwerte von 10 bis 12 g/dl sollten nicht überschritten werden.

Einen ersten Hinweis auf eine erhöhte Mortalität unter Erythropoetin hatte eine 2003 im Lancet veröffentlichte Studie [Henke M.; et al.: Lancet 2003: 362 1255-1260] bei Patienten mit tumorassoziierter Anämie gegeben. Die Ergebnisse legten nahe, dass eine Epoetin-beta-Behandlung die Überlebenszeit von Tumorpatienten verkürzt und die Rate regional fortgeschrittener Tumorerkrankungen erhöht. Nach einer Subgruppenanalyse waren von den negativen Auswirkungen der Epoetinbehandlung nur Patienten betroffen, deren Tumorzellen über einen positiven Erythropoetin-Rezeptor-Status verfügten.

Erythropoetin

Erythropoese-stimulierende Substanzen wie Epoetin alfa (Erypo®) Epoetin beta (Neorecormon®), Darbepoetin alfa (Aranesp®) sind bei renaler Anämie und Anämie bei Tumorerkrankungen im Rahmen einer Chemotherapie indiziert. Zu den gefürchtetsten Nebenwirkungen zählen thrombotische Komplikationen. Jetzt verdichten sich die Hinweise, dass Erythropoetine bei Tumorpatienten das Krebswachstum fördern.

Mit der Veröffentlichung von Zwischenergebnissen aus der Prepare-Studie (Preoperative Epirubicin Paclitaxel Aranesp)-Studie Ende 2007 wurde bekannt, dass auch bei Chemotherapie-induzierter Anämie unter einer Behandlung mit dem Erythropoetin-Analogon Darbepoetin alfa mit einer erhöhten Morbidität und evtl. sogar Mortalität zu rechnen ist. In dieser von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) und der German Breast Group durchgeführten Studie wurde der Frage nachgegangen, wie sich Darbepoetin alfa auf die zu erwartende Anämie unter einer dosisdichten, intensivierten neoadjuvanten Chemotherapie bei Brustkrebspatientinnen auswirkt. 733 Patientinnen wurden entweder mit Epirubicin, Paclitaxel und CMF oder mit Epirubicin, Cyclophosphamid und Paclitaxel präoperativ behandelt. Zudem erhielten sie zusätzlich randomisiert Placebo oder Darbepoetin alfa. Während der Chemotherapie wirkte sich die Darbepoetin-alfa-Gabe nicht negativ aus. Dreißig Monate nach Beendigung der Therapie verschlechterte sich die Prognose für die mit dem Erythropoese-stimulierenden Medikament behandelten Patienten. Ende Oktober 2007 waren in der so behandelten Gruppe 50 von 356 Patientinnen verstorben, in der Vergleichsgruppe nur 37 von 337. Auch eine Tumorprogression wurde in der Darbepoetingruppe (88/356) häufiger beobachtet als in der Kontrollgruppe (70/356). Die endgültige statistische Auswertung wird für Anfang 2009 erwartet.

Wir haben mit dem Studienleiter Prof. Dr. Michael Untch, Berlin, über die Studienergebnisse gesprochen und wollten von ihm wissen, welche Konsequenzen in der onkologischen Anämiebehandlung gezogen werden müssen.

DAZ:

Herr Professor Untch, die zuletzt veröffentlichten Studien legen nahe, dass Erythropoetin zumindest in der Behandlung der Anämie von Krebspatienten mehr schadet als nutzt. Wie sehen Sie die Situation?

 

Untch: Zunächst einmal: Auch für Erythropoetin gilt das, was Paracelsus schon sagte: Die Dosis macht das Gift!

Alle negativen Studienergebnisse mit Erythropoetinen wurden in Studien erzielt, in denen Hämoglobin-Werte über 12 g/dl angestrebt wurden. Auch in der Prepare-Studie lag der Hämoglobin-Zielwert bei 13 g/dl. Dieser Wert, das wissen wir heute, war eindeutig zu hoch. Prof. Dr. Volker Möbus aus Frankfurt, der im Rahmen einer Studie mit 1400 Mammakarzinompatientinnen auch Erythropoetin alfa eingesetzt hat, konnte keine negativen Ergebnisse bezüglich Überlebenszeit und Tumorprogression feststellen. In dieser Studie wurden Hämoglobin-Werte von 10 bis 12 g/dl nicht überschritten.

DAZ:

Sie haben in einer Pressemitteilung der Firma Amgen vor voreiligen Schlüssen aus der Prepare-Studie gewarnt – warum?

 

Untch: Die Auswirkungen einer Darbepoetin-alfa-Behandlung auf die Überlebenszeit und die Tumorprogression bei Mammakarzinompatientinnen war kein primäres Zielkriterium der Prepare-Studie. Was wir jetzt haben, sind lediglich Fallzahlen von Patientinnen der beiden Gruppen, die verstorben sind oder bei denen sich die Erkrankung verschlechtert hat. Um Aussagen über eine statistische Signifikanz machen zu können, benötigen wir ein Follow-up von etwa zwei Jahren.

DAZ:

Die FDA empfiehlt zwar, einen Hämoglobin-Wert von 12 g/dl in der Erythropoetinbehandlung nicht zu überschreiten, weist aber in einer Black-box-Warnung darauf hin, dass auch bei Hämoglobin-Werten unter 12 g/dl ein Risiko nicht ausgeschlossen ist. Auch in einer großen Studie bei tumorinduzierter Anämie, in der nur mittlere Hämoglobinwerte von 10,6 g/dl erreicht wurden, war die Mortalität erhöht. Muss damit gerechnet werden, dass der Grenzwert weiter gesenkt wird oder gar eine Anämie nicht mehr mit Erythropoetin behandelt werden darf?

 

Untch: Wir sollten die Ergebnisse der Studien von Möbus et al., unsere Prepare-Ergebnisse und auch andere Ergebnisse mit einem guten Follow up auswerten, um daraus eine valide Empfehlung abzuleiten. Bis dahin sollte die Empfehlung der Anämiekorrektur zumindest bei Brustkrebspatientinnen den derzeitigen Empfehlungen folgen. Ich denke mir, dass der Grenzwert der Hb-Korrektur nicht noch weiter abgesenkt werden muss. Eine Metaanalyse von onkologischen Studien mit dem Ziel Anämiekorrektur unter Chemotherapie ist zur Zeit durch Julia Bohlius, Uni Essen, in Arbeit.

DAZ:

Ist die jetzt laut werdende Forderung gerechtfertigt, bis zur Klärung der offenen Fragen Erythropoetin nur im Rahmen klinischer Studien einzusetzen?

 

Untch: Es gibt publizierte Empfehlungen von Bokemeier et al. und auch die S3- und die AGO-Leitlinien zu diesem Thema (www.ago-online.org). Ich denke mir, dass wir damit eine klare Handlungsanweisung für den Alltag haben. Die Studiendaten sollten natürlich weiter ausgewertet werden (AGO Studie von Möbus et al, über 1400 Patientinnen, Prepare Studie mit über 700 Patientinnen, Ara C Studie von Nitz et al mit über 1000 Patientinnen). Darüber hinaus sollte dieses Thema auch in den noch laufenden Studien (Gain Studie, über 2500 Patientinnen) mit großer Sorgfalt dokumentiert und ausgewertet werden. Translationale Forschungsprojekte, die wir momentan schon durchführen, werden uns die molekularen Mechanismen besser erklären, die diesem Phänomen zugrunde liegen. Daraus können wir einen großen Wissensschatz für unsere Patienten ableiten.

DAZ:

Erhöhte Mortalität von Krebspatienten und Fortschreiten der Tumorprogression scheint ein Problem aller Erythropoetine zu sein. Was geschieht auf molekularer Ebene?

 

Untch: Der Effekt beruht wahrscheinlich auf biologischen Faktoren und zwar auf Rezeptorebene. Aufschluss über den genauen Wirkungsmechanismus erhoffen wir uns aus histologischen Untersuchungen von Tumorpräparaten, die wir im Rahmen der Prepare-Studie gesammelt haben.

DAZ:

Herr Professor Untch, wir danken Ihnen für das Gespräch!

 

Das Gespräch führte Dr. Doris Uhl

Prof. Dr. med. Michael Untch, Helios Klinikum Berlin-Buch, Chefarzt der Frauenklinik, Leiter des Interdisziplinären Brustzentrums, Akademisches LK der Universität Charite, Schwanebecker Chaussee 50, 13125 Berlin

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