Ernährung aktuell

Das Yin und Yang der makrobiotischen Ernährung

Die makrobiotische Lebens- und Ernährungsweise (griech.: langes Leben) wurde ursprünglich von dem japanischen Philosophen George Ohsawa (1892 –1966) begründet und mittlerweile von den amerikanischen Ernährungswissenschaftlern Mishio Kushi und Steven Acuff weiterentwickelt. Sie basiert auf dem Daoismus, einer vor über 5000 Jahren in China entstandenen philosophischen und religiösen Lehre, in deren Mittelpunkt das Prinzip der beiden entgegengesetzten, sich aber ergänzenden Kräfte Yin und Yang steht.
Körnerkost Getreide spielt in der Makrobiotik eine tragende Rolle. Aus Sicht des hohen Ballaststoffgehalts ist dies positiv, allerdings sollte man es mit anderen Lebensmitteln, insbesondere mit Obst und Gemüse kombinieren.
Foto: DAZ-Archiv

Für körperliche und geistige Gesundheit muss der Mensch laut Daoismus in allen Dingen einen Ausgleich zwischen Yin, der sich ausdehnenden, und Yang, der sich zusammenziehenden Kraft anstreben. Der "ausbalancierte, harmonische Mensch" ist das Ziel. Die Ernährung spielt dabei eine tragende Rolle. Alle Lebensmittel werden mehr oder weniger einer der jeweiligen Kräfte zugeordnet, die Einteilungskriterien sind vielfältig und hängen auch von der Zubereitungsart ab.

Yang- und Yin-betonte Lebensmittel

Lebensmittel mit einem überwiegenden Yang-Anteil sind unter anderem Eier, Fleisch, Meersalz, salziger Hartkäse, Geflügel, Fisch und Meerestiere. Yang-starker Grundstoff ist das Natrium, Yin-starker Grundstoff ist Kalium. Als Lebensmittel mit einem höheren Yin-Anteil gelten z. B. polierter Reis, Auszugsmehle, Tomaten, Kartoffel, Milch, Sahne, Joghurt, Pfeffer und Curry. Das Ziel der Makrobiotik ist es, durch geeignete Nahrungsmittelauswahl und Zubereitung ein optimales Yin-Yang-Verhältnis von 5:1 zu erreichen, das aus dem Verhältnis der Mineralstoffe Kalium und Natrium im braunen Reis abgeleitet wurde. Der Reis wird in der Lehre als optimales Lebensmittel betrachtet. In Getreide herrscht ein ähnliches Yin-Yang-Verhältnis, so dass es die Grundlage der makrobiotischen Ernährung bildet. Es wird ergänzt durch solche Lebensmittel, die diesem Gleichgewicht am nächsten sind. Der Yin- bzw. Yang-Charakter eines Lebensmittels hängt allerdings nicht nur vom Kalium-Natrium-Verhältnis ab, sondern beispielsweise auch vom Wassergehalt, von der Farbe, Wachstumsform, -zeit und -geschwindigkeit. Für Frauen, die von Natur aus mehr "Yin sind", muss die Ernährung anders aussehen als für Männer, die mehr zu Yang tendieren. Auch die Zubereitungsart kann den Yin- oder Yang-Charakter einer Mahlzeit beeinflussen: So wirken Abkühlen, Verdünnen, Zerkleinern und der Zusatz von sauren oder süßen Zutaten "yinisierend". Wärmezubereitung, Zusatz von Salz und Überdruckbehandlung gelten als "yangisierend".

Die strenge Ernährungsform nach Ohsawa

Der Begründer der Makrobiotik, George Ohsawa, erkrankte als Jugendlicher an Tuberkulose und behauptete, sich selbst mit einer streng makrobiotischen Ernährung geheilt zu haben. Er entwickelte einen zehnstufigen Ernährungsplan, von 7 bis -3, wobei jede Stufe den täglichen Verzehr mit unterschiedlichen prozentualen Anteilen von Getreide, Gemüse, Suppen, tierischem Eiweiß, Salaten, Früchten und von Nachtisch darstellt (Tab. 1). Während die Stufe 7 ausschließlich den Verzehr von Getreide zulässt und als ideale Ernährung zum Einstieg in die makrobiotische Kost dienen soll, schließen die Stufen 6 bis -3, zu denen man nach und nach übergehen kann, schrittweise Gemüse und tierische Lebensmittel ein. Die unterste Stufe (-3) sieht den täglichen Verzehr aller genannten Lebensmittel vor, die oberste Stufe (7), die nach Ohsawa als Ziel angesehen bzw. als Heilnahrung über mehrere Wochen hinweg empfohlen wird, lediglich den ausschließlichen Verzehr von Getreide.

Neben dem Vollgetreide (inklusive brauner Reis) befürwortete Ohsawa frisches Gemüse, Bohnen, Nüsse, Samen, Algen und geringe Mengen an Obst in Form von Kompott oder Trockenobst. Er war der Überzeugung, der menschliche Körper könne Vitamin C selbst synthetisieren und bräuchte nicht die Zufuhr über die Nahrung. Außerdem soll der Körper gewisse Elemente ineinander überführen können (Transmutation), beispielsweise soll Calcium aus Magnesium und Silicium entstehen. Zudem wird behauptet, dass mit der makrobiotischen Ernährung sämtliche Krankheiten, einschließlich Krebs, geheilt werden können. Mineralstoffe sollte der Körper über Meersalz, das in einer Menge bis 30 g täglich erlaubt ist, und über kleine Mengen Kräuter aufnehmen. Abgelehnt werden Kartoffeln, Tomaten, Auberginen, Obst und Gemüse "von weit her", Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch, Milch und Milchprodukte, Fruchtsäfte, Limonade, Tee, Kaffee, Zucker, Honig sowie Süßstoffe. Außerdem sollte man nach Ohsawas Lehre Flüssigkeit nur so wenig wie möglich zu sich zu nehmen. Diese strenge, ursprüngliche – und aus heutiger Sicht unphysiologische Ernährung – wird jedoch kaum noch praktiziert. Mishio Kushi übernahm nach dem Tod von Ohsawa die Führung der makrobiotischen Bewegung und entwickelte die Kushidiät.

Tab. 1: Die zehn Ernährungs-Stufen in der Makrobiotik
Stufe
Getreide
Gemüse
Suppe
tierisches Eiweiß
Salate/Früchte
Desserts/Nachtische
7
100%
6
90%
10%
5
80%
20%
4
70%
20%
10%
3
60%
30%
10%
2
50%
30%
10%
10%
1
40%
40%
10%
20%
–1
30%
40%
10%
20%
–2
20%
40%
10%
25%
10%
5%
–3
10%
50%
10%
30%
15%
5%
Getrunken wird auf allen zehn Stufen nur, was der Durst verlangt.

Die abgeschwächte Kushidiät

Kushi schaffte die Stufeneinteilung von Ohsawa ab, modernisierte den makrobiotischen Speiseplan und passte ihn an westliche Ernährungsgewohnheiten an. Er empfiehlt eine überwiegend pflanzliche Kost. In der Kushidiät macht der Anteil an Vollgetreide 50 bis 60% aus. Neben Getreide sollen frisches Gemüse, Hülsenfrüchte, Sojabohnen und -erzeugnisse wie Tofu, Meeresalgen und gelegentlich magerer Fisch verzehrt werden. Meiden soll man Fleisch – da es Fäulnisprozesse im Darm verursache und zu einer Übersäuerung des Organismus führe – und Milch (wegen ihrer "schleimbildenden" Wirkung und weil sie angeblich Giftstoffe erzeugt). Nur gesäuerte Milchprodukte sind erlaubt. Obst soll nur in geringen Mengen verzehrt werden. Zucker wird wegen seiner starken Verarbeitung und seines geringen Nährstoffgehalts abgelehnt, auch von Kaffee, Schwarztee, Alkohol, Tiefkühlkost, Konserven und Lebensmitteln mit Zusatzstoffen wird abgeraten.

Ebenso wie Ohsawa empfiehlt auch Kushi den täglichen Verzehr einer Suppe mit Miso (einer milchsauer vergorenen Paste aus Sojabohnen, Kochsalz und meist auch Getreide) oder Tamari (einer speziellen Sojasoße). Kushi betont, dass man hauptsächlich Lebensmittel aus der Region verzehren soll, in der man lebt – und zwar dem saisonalen Angebot entsprechend. Anders als Ohsawa empfiehlt Kushi auch, mit Kochsalz sparsam umzugehen und nicht möglichst wenig, sondern dem Durstgefühl entsprechend Flüssigkeit aufzunehmen. Insgesamt ergibt sich aus diesen Empfehlungen eine größtenteils vegane Ernährung mit Beimischung geringer Mengen an Fisch und Sauermilchprodukten.

Ernährungsphysiologische Sicht

Die ursprüngliche Form der makrobiotischen Ernährung nach Ohsawa ist aus ernährungsphysiologischer Sicht als Dauerernährung, insbesondere für Kinder, ältere oder geschwächte Menschen nicht zu empfehlen. Aufgrund ihrer Einseitigkeit, bzw. der weitgehenden Beschränkung auf Vollgetreide, können langfristig Mangelerscheinungen auftreten. Die extrem einseitige Lebensmittelauswahl führt beispielsweise zu einem Mangel an Eiweiß, den Vitaminen A, D, B12 , Niacin, Folsäure, Vitamin C, Eisen, Calcium und Jod. Außerdem ist der hohe Meersalzkonsum, insbesondere in Kombination mit einer geringen Flüssigkeitszufuhr, aus gesundheitlichen Gründen abzulehnen. Es besteht u.a. die Gefahr von Nierenfunktionsstörungen. In den USA wurde diese extreme Kostform, nicht zuletzt aufgrund der geringen Trinkmengen, sogar verboten, da es bei ihren Verfechtern teilweise zu schweren Gesundheitsstörungen kam. So traten u.a. aufgrund des geringen Gehalts der Kost an Calcium, Vitamin D und C bei Kindern aus Makrobiotikerfamilien Fälle von Rachitis und Skorbut auf. In älteren Schriften wurden zusätzlich unhaltbare Behauptungen aufgestellt wie die, dass der Körper selbst Vitamin C herstellen kann oder dass der Körper chemische Elemente ineinander überführen kann. Diese und auch die Behauptung, dass der Verzehr von rohem Reis Parasiten vertreiben würde, entbehren jeglicher wissenschaftlichen Grundlage. Abzulehnen ist auch die Empfehlung einer reinen Getreidekost für Kranke, da sie langfristig zu Mangelerscheinungen führt, sowie der Anspruch, sämtliche Krankheiten einschließlich Krebs mit der Makrobiotik heilen zu können.

Die gemäßigte, modernere Form der makrobiotischen Ernährung nach Kushi ist für Erwachsene durchführbar. Allerdings ist nur bei ausreichendem Wissen über Ernährung und sorgfältige Lebensmittelauswahl eine bedarfsgerechte, vollwertige Ernährung möglich. Positiv an der gemäßigten Variante wird der hohe Verzehr an Vollkornprodukten gesehen, da durch die damit verbundene hohe Aufnahme von Kohlenhydraten und Ballaststoffen die Verdauung positiv geregelt wird. Auch der Verzehr regionaler und saisonaler Produkte ist zu begrüßen. Für Kinder ist aufgrund der beschränkten Lebensmittelauswahl die weitgehend vegane Kost nach Kushi nicht geeignet, weil sie zu einseitig und energiearm ist. Auch Schwangere und Stillende sollten sich nicht makrobiotisch ernähren, da Mängel an den Vitaminen B12 , D und an Calcium und Eisen zu befürchten sind.


Dr. Eva-Maria Schröder

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.