Arzneimittel und Therapie

Zahlreiche Biologicals mit erheblichen Nebenwirkungen

Biologicals sind biotechnologisch hergestellte Arzneimittel, die seit mehr als 20 Jahren einen zunehmend wachsenden Anteil an Neuzulassungen stellen. Eine Studie ergab jetzt, dass fast ein Viertel der seit 1995 in Europa und den USA neu zugelassenen Biologicals teilweise erhebliche Nebenwirkungen haben. 46 der insgesamt 174 neuen Wirkstoffe waren danach Gegenstand von 82 Maßnahmen, die sich mit Sicherheitsmängeln befassten. Vom Markt genommen wurde keines der Mittel.
Biologicals greifen in das Immunsystem ein und blockieren Substanzen, die eine Entzündung vorantreiben. Sie werden zunehmend als Dauertherapie eingesetzt. War bisher noch relativ wenig über Nebenwirkungen bekannt, so treten jetzt mit größerer Therapiedauer zunehmend Sicherheitsbedenken auf.
Foto: Bayer AG

Mehr als 250 Biologicals sind seit 1982, als das Humaninsulin eingeführt wurde, als Arzneimittel auf dem Markt. Dazu gehören Enzyme, Blutgerinnungsfaktoren, Hormone, monoklonale Antikörper und rekombinante Impfstoffe, die von den Regulationsbehörden zugelassen wurden. Die Bedeutung dieser biotechnologisch gewonnenen Präparate ist seitdem stetig gestiegen: etwa 22% der in Europa und 24% der in den USA zwischen 2003 bis 2006 eingeführten Wirkstoffe sind Biologicals. Vor ihrer Einführung durchliefen alle Präparate sowohl in Europa als auch in den USA die vorgesehenen Zulassungsverfahren mit randomisierten Phase-III-Studien.

Nur selten schwerwiegende Komplikationen

In der jetzt vorgelegten Studie von Wissenschaftlern der Universität Utrecht wurden Beanstandungen für insgesamt 174 Biologicals ausgewertet, die zwischen 1995 und 2007 eingeführt wurden. Bestimmte Arzneimittel aus dieser Gruppe, wie Impfstoffe, wurden in der Studie nicht berücksichtigt. Sie umfasste schließlich 136 Präparate, die in den USA zugelassen wurden, 105 aus der EU und 67, die sowohl in Europa als auch in den USA eingeführt wurden. Die Sicherheit von 46 Wirkstoffen (23,6%) wurde zwischenzeitlich moniert und war Gegenstand von insgesamt 82 Warnhinweisen. Auf Veranlassung der FDA mussten 46 schriftliche Warnungen von Pharmaunternehmen an Ärzte verschickt werden, in Europa waren es 17. Weiterhin wurden in den USA 19 Warnhinweise für die Fachinformationen (sogenannte black box warnings) gefordert. Die Warnhinweise betrafen dabei ganz unterschiedliche Nebenwirkungen: lokale Reaktionen am Applikationsort (27%), Infektionen oder Infestationen (22%), Störungen des Immunsystems (16%) oder Neoplasien (12%). Schwerwiegende Komplikationen waren jedoch gering und keines der Arzneimittel wurde vom Markt genommen.

Mangelhafte klinische Studien als Ursache?

Die Sicherheitsprobleme der Biologicals seien deswegen problematisch – so die Autoren –, weil sie zumeist relativ spät entdeckt würden (durchschnittlich 3,7 Jahre nach der Zulassung). Dieses Risikos sollten sich Ärzte bei der Anwendung neu eingeführter Arzneimittel aus dieser Gruppe bewusst sein.

In einem Kommentar des Herausgebers der Zeitschrift werden die zahlreichen Warnhinweise als Zeichen für eine Schwäche des Verfahrens zur Arzneimittelzulassung in den USA gewertet. Ähnliches muss dann wohl auch für die EU gelten. Kritisiert werden Probandenauswahl an Studien, Studiendesign und die Möglichkeit der Manipulation von Studien. Es bleibe Patienten nach entstandenem Schaden wohl nur der Weg über rechtliche Mittel wie bei anderen Schadensfällen auch.


Quelle

Giezen, TJ; et al.: Safety-related regulatory actions for biologicals approved in the United States and the European Union. J. Am. Med. Assoc. 2008; 300(16): 1887 –1896.

DeAngelis, CD, Fontanarosa, PB: Editorial: prescription drugs, products liability, and pre-emption of tort litigation. J. Am. Med. Assoc. 2008; 300(16): 1939 –1941.


Dr. Hans-Peter Hanssen
Universität Hamburg
Institut für Pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie
Bundesstr. 45
20146 Hamburg
hans-peter.hanssen@hamburg.de

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