Arzneimittel und Therapie

Tops und Flops der vergangenen zehn Jahre

In der Krebsforschung werden viele Wege beschritten, um der steigenden Zahl an Tumorerkrankungen in unserer alternden Gesellschaft zu begegnen: Die Zahl der jährlich auftretenden Neuerkrankungen an Krebs in Deutschland wird auf ca. 218.250 Erkrankungen bei Männern und ca. 206.000 bei Frauen geschätzt. Oft zeigt sich, dass Kosten und Nutzen von neuen Ansätzen in Therapie und Diagnostik in einem kaum vertretbaren Verhältnis zueinander stehen. Auf dem Deutschen Krebskongress wurden beeindruckende Fortschritte in der Krebstherapie, aber auch Irrwege aufgezeigt.
Krebsforschung Ursprünglich vielversprechende Ansätze können sich in der Praxis als Flops erweisen. Trotzdem muss weitergeforscht werden, denn auch negative Ergebnisse tragen zu neuen Erkenntnissen der Biologie verschiedener Tumoren bei.
Foto: DAK/Schulz

Neuroblastome sind Tumore des sympathischen Nervensystems und gehören zu den häufigsten Krebserkrankungen im Kindesalter. Zwischen 1995 und 2000 wurde in sechs von 16 Bundesländern ein einfacher Windeltest zur Früherkennung eines Neuroblastoms angeboten. Der denkbar einfache Test – gemessen wird ein spezielles Katecholaminmuster im Harn – wurde bei rund 2,6 Millionen Kindern im Alter von einem Jahr durchgeführt; 2,1 Millionen Kinder dienten als Kontrollgruppe. Anschließend wurden die Inzidenzen der Neuroblastom-Diagnosen und die Rate von Neuroblastom-Sterbefällen mit einander verglichen. In den frühen Stadien wurden mehr Neuroblastome entdeckt, im fortgeschrittenen Stadium nicht. Die Mortalitätsrate konnte nicht gesenkt werden. Fazit von Prof. Dr. Thomas Klingebiel, Frankfurt: Durch das Screening wurden Tumoren entdeckt, die klinisch nicht auffällig geworden wären und sich von selbst zurückgebildet hätten. Die Überdiagnose führte zu einer Verunsicherung der Eltern. Das Screening auf Neuroblastome wird nicht mehr durchgeführt. Allerdings verhalf der großflächige Test zu neuen Erkenntnissen der Tumorbiologie eines Neuroblastoms.

Strahlentherapie mit Schwerionen

Die Ionenstrahlung (Protonen- oder Schwerionenstrahlung) ist der herkömmlichen Photonenbestrahlung überlegen. Aufgrund ihrer größeren Masse durchqueren Schwerionen das Gewebe als geradlinig verlaufendes, scharf begrenztes Strahlenbündel. Die Belastung des Nachbargewebes durch seitliche Streuung ist deshalb nur gering. Außerdem haben Schwerionen eine definierte Reichweite im Gewebe. Gesundes Gewebe, das hinter dem Tumor liegt, wird so kaum belastet. Die Dosis im Innern des Tumors kann im Vergleich zur Photonenbestrahlung deutlich erhöht werden. Die Wahrscheinlichkeit steigt, den Tumor zu zerstören, während Häufigkeit und Schwere der Nebenwirkungen am gesunden Gewebe abnehmen. Bislang wurde die Bestrahlung mit Schwerionen vor allem bei inoperablen Schädel- und Hirntumoren sowie Weichteilsarkomen durchgeführt. Dabei konnte eine bessere Tumorkontrolle gezeigt werden, Aussagen zu einem verbesserten Überleben können derzeit noch nicht getroffen werden.

Das zugrunde liegende Konzept ist Prof. Dr. Dr. Jürgen Debus, Heidelberg, zufolge überzeugend. Allerdings gibt es in Europa kaum Zentren zur Schwerionentherapie (seit kurzem an der Uniklinik Heidelberg), da deren Einrichtung mit extrem hohen Kosten verbunden ist.

PSA-Screening

Eine Krebsfrüherkennung ist Prof. Dr. Nikolaus Becker, Heidelberg, zufolge ein fragiles Wechselspiel zwischen Nutzen und nachteiligen Effekten. Dies zeigt sich auch bei der Bewertung des PSA-Screenings. Die auffallende Zunahme an Prostatakarzinomen in den vergangenen Jahren ist weitgehend auf die häufig verbreitete Messung des PSA-Wertes zurückzuführen. Der steile Anstieg der Inzidenz hat sich jedoch kaum auf die Mortalitätsrate ausgewirkt, und die Überdiagnose führte in vielen Fällen zu einer Verunsicherung des Patienten.

Eine Aufnahme des PSA-Screenings in ein Früherkennungsprogramm ist Becker zufolge wissenschaftlich nicht gerechtfertigt, da Evidenz-basierte Aussagen aus randomisierten kontrollierten Studien bislang ausstehen. Bis aussagekräftigere und zuverlässigere Verfahren auf den Markt kommen, hat das PSA-Screening seine Berechtigung – allerdings nur nach sorgfältiger Aufklärung des Patienten über möglichen Nutzen und potenziellen Schaden.

Mammographie-Screening

Im Mammographie-Screening sieht Prof. Dr. Ingrid Schreer vom Mammazentrum Kiel eine populationsbezogene sekundäre Präventionsmaßnahme mit dem Potenzial, die Brustkrebsmortalität zu senken. Ein weiterer Benefit des Screenings sind die damit verbundenen Qualitätsmaßnahmen der einzelnen Zentren und eine Sensibilisierung gegenüber der Erkrankung. Das Projekt weist allerdings auch Schwachstellen auf, so etwa sein Start in einigen Bundesländern, die kein Krebsregister führen und eine fehlende wissenschaftliche Evaluation. Des Weiteren kann die Entscheidungskompetenz der Frau beeinträchtigt werden.

Sentinel Node Biopsie

Der Lymphknotenstatus ist Dr. Andreas Bembenek, Berlin, zufolge ein relativer prognostischer Parameter, der erst durch die Anzahl der befallenen Lymphknoten und den Ort der Entnahme konkretisiert wird. Das Modell, einen Wächterlymphknoten zu entnehmen, und dann exakte Auskünfte über das Fortschreiten der Tumorerkrankung zu erhalten, lässt sich nicht auf jede Tumorentität übertragen. Beim Mammakarzinom ist eine Entnahme und Untersuchung des Wächterlymphknotens sinnvoll, und die darauf folgende Therapieentscheidung ist gleich sicher wie nach einer vollständigen Axilladissektion. Beim malignen Melanom ist die praktische Wertigkeit einer Biopsie des Lymphknotens fraglich. Beim Kolonkarzinom ist die Sensitivität zu gering und das Ergebnis ist häufig falsch negativ, vor allem bei adipösen Patienten. Beim Analkarzinom ist die Aussagekraft einer Sentinel Node Biopsie ebenfalls nicht sicher genug, um eine Therapieentscheidung davon abhängig zu machen.


Quelle

Vorträge gehalten am 22. Februar 2008 beim Deutschen Krebskongress in Berlin.


Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

Wächterlymphknoten

Als Sentinel oder Wächterlymphknoten bezeichnet man den ersten Lymphknoten im Lymphabflussgebiet eines Tumors. Sollte der Tumor bösartig sein, würden einzelne, über die Lymphbahnen "abwandernde" Krebszellen auf jeden Fall in diesem Lymphknoten nachweisbar sein. Ist er frei von metastasierenden Zellen, kann man davon ausgehen, dass auch die nachfolgenden Lymphknoten nicht befallen sind.

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