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G-BA fasst Beschluss zur Zweitmeinung

BERLIN (ks). Vor der Verordnung bestimmter Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung soll künftig vom behandelnden Arzt die Zweitmeinung eines besonders qualifizierten Arztes eingeholt werden. Der Gesetzgerber wollte mit dieser mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz eingeführten Regelung die Kosten für hochpreisige Arzneimittel in den Griff bekommen. Die Selbstverwaltung tut sich jedoch schwer mit der Umsetzung der Vorgaben.

Am 16. Oktober fasste der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) einen ersten Beschluss zum so genannten Zweitmeinungsverfahren. Der nun beschlossene neue Abschnitt der Arzneimittel-Richtlinie führt in einer Anlage zunächst vier Wirkstoffe auf, die künftig nur noch nach dem Vorliegen einer Zweitmeinung verordnet werden können: Bosentan, Iloprost zur Inhalation, Sildenafil und Sitaxentan zur Behandlung verschiedener Formen der pulmonalen arteriellen Hypertonie (PAH). In Deutschland leiden etwa 3000 Patienten an dieser Erkrankung, deren Diagnostik und Behandlung in der Regel ein Spezialwissen seitens der behandelnden Ärzte erfordert. Die Jahrestherapiekosten der aufgelisteten Wirkstoffe für die Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie liegen zwischen 11.000 Euro (Sildenafil) und 110.000 Euro (Iloprost). Bewusst habe man eine seltene Erkrankung ausgewählt, erklärte der G-BA-Vorsitzende Rainer Hess. Da ihre Behandlung typischerweise im Krankenhaus beginne, habe man auch die strittige Frage der Schnittstelle ambulant/stationär lösen müssen. Nun ist klargestellt, dass auch Klinikärzte in die Regelung einbezogen sind.

Vorteile für den Erstverordner

Gelten soll der Beschluss ab dem kommenden Jahr. Bis dahin sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen ausreichend Zweitmeinungsärzte zugelassen haben. Wer "Zweitmeiner" werden will, muss im vergangenen Jahr mindestens zehn Fälle einer pulmonalen arteriellen Hypertonie behandelt haben; zudem müssen jährlich zehn krankheitsspezifische Fortbildungspunkte im Jahr erworben werden. Das Einholen der Zweitmeinung bei einem solchen Experten soll Hess zufolge nicht länger als fünf Tage dauern. Notwendig ist zudem, dass sich der Versicherte mit dem Verfahren einverstanden erklärt hat. Bestätigt der hinzugezogene Arzt die Verordnung, so befreit er den Behandler von seinem Regressrisiko. Genehmigt der Zweitmeiner die Verordnung des behandelnden Arztes nicht, so kann die Therapie dennoch mit dem Arzneimittel fortgeführt werden. Der behandelnde Arzt muss diese Abweichung dann aber bei einer Wirtschaftlichkeitsprüfung besonders begründen; das Regressrisiko lastet in diesem Fall auf ihm. Sofern ein als Zweitmeiner qualifizierter Arzt selbst behandelt, muss er keine weitere Zweitmeinung einholen.

Einsparungen fraglich

Hess betonte, dass man eine unbürokratische Lösung gefunden habe, die der Verbesserung der Versorgungsqualität dient. Auch habe man für einen reibungslosen Übergang von der stationären in die ambulante Arzneimitteltherapie gesorgt. "Der Konfliktfall wird ein krasser Ausnahmefall sein", ist er überzeugt. Seitens der Deutschen Krankenhausgesellschaft ist der Optimismus verhaltener. Dort will man vermeiden, im großen Stil in das Zweitmeinungsverfahren einzusteigen, ehe man Erfahrungen gesammelt hat. Dazu soll nun über die kommenden zwei Jahre evaluiert werden, wie das Verfahren bei der pulmonalen arteriellen Hypertonie funktioniert. Möglicherweise wird man im nächsten Jahr eine weitere Krankheit in das Verfahren einschließen. Vorher werden voraussichtlich noch weitere Arzneimittel in das Zweitmeinungsverfahren für die pulmonale arterielle Hypertonie einbezogen. Man sei sich einig, dass man "behutsam" vorgehen wolle, betonte Hess. Der Vertreter des GKV-Spitzenverbandes, Axel Meeßen, warnte allerdings davor, die Hände in den Schoß zu legen. Sollte der Unterausschuss weitere Vorschläge machen, wäre es "fahrlässig, hier nicht tätig zu werden". Zugleich machte der Kassenvertreter deutlich, dass sich die Kassen mit dem nun gefassten Beschluss kaum Einsparungen erhoffen können. Möglich sei gar eine Umkehrung ins Gegenteil: Bei unkritischem Durchwinken der fraglichen Arzneien durch den Zweitmeiner könne der Verordnungsumfang zunehmen und die Ausgaben steigen lassen, gab Meeßen zu bedenken.

Kritik: Orphan Drugs ungeeignet

Die Kritik am Beschluss ließ nicht lange auf sich warten. So monierte Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI), dass der G-BA die im Vorfeld der Entscheidung vorgebrachten Kritikpunkte ignoriert habe. Die Behandlung von Patienten mit seltenen Krankheiten würde nun "verantwortungslos verzögert und mit unsinnigem Bürokratieaufwand erschwert", sagte die stellvertretende BPI-Hauptgeschäftsführerin Barbara Sickmüller. Der Verband erneuerte seine Forderung, Arzneimittel zur Behandlung von seltenen Erkrankungen grundsätzlich aus dem Zweitmeinungsverfahren auszunehmen. "Insgesamt lässt sich nicht plausibel und transparent nachvollziehen, nach welchen Kriterien Präparate für ein Zweitmeinungsverfahren ausgewählt werden. Der G-BA muss sich den Vorwurf der Willkür gefallen lassen, wenn er hier nicht eindeutige Richtlinien festlegt", betonte Sickmüller. Auch Selbsthilfegruppen und Fachärzte aus dem Bereich der pulmonalen arteriellen Hypertonie sehen schwere Zeiten auf die Betroffenen zukommen. Sie halten es für völlig inakzeptabel, wenn Patienten, die bereits seit Jahren erfolgreich in spezialisierten Zentren behandelt würden, nun mit einer Zweitmeinung konfrontiert werden. Auch die Qualifikationsvoraussetzungen für die Zweitmeinungs-Ärzte seien unzureichend und eine flächendeckende Versorgung der Patienten gefährdet.

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