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Retaxationen – das größte Problem im Apothekenalltag

ROSTOCK (tmb). Retaxationen belasten zunehmend den Arbeitsalltag in Apotheken. Immer häufiger geht es dabei nicht nur um Differenzen im Centbereich, sondern um die Vollabsetzung des Rechnungsbetrages – also um Null-Retaxationen. Beim Wirtschaftsseminar des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern wurde das Thema systematisch aufbereitet: Was wird retaxiert? Wie kann der angekündigte Musterprozess des Deutschen Apothekerverbandes helfen? Und was ist im Alltag zu tun?

Für Axel Pudimat, den Vorsitzenden des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern, ist die Umsetzung der Arzneilieferverträge in der Praxis das wichtigste Problem im Apothekenbetrieb. Einige Abgabebestimmungen seien kaum zu erfüllen. Das sei bisher nicht problematisch gewesen, weil die Krankenkassen bei Retaxationen die Bedingungen der Praxis berücksichtigt hätten. Doch "dies ist jetzt anders", konstatierte Pudimat. Schon bei kleinsten Abweichungen vom Wortlaut der Verträge würden Vollabsetzungen durchgeführt. Dass die Versorgung stattgefunden habe, werde nicht berücksichtigt. Für ihn sei das Diebstahl – zumal es bei manchen Details heute gar keine klaren Antworten gebe, "aber den Kassen ist das egal", so Pudimat. Doch die Software sei in Sonderfällen nicht immer fehlerfrei und der Patient müsse stets schnell versorgt werden. Eigentlich müssten alle Sonderfälle in Verträgen geregelt werden, aber die "Vertragsgegner" seien daran wohl gar nicht interessiert.

Musterprozess

Einen ersten Schwerpunkt des Problems sieht Verbandsgeschäftsführer Dr. Heinz Weiß in den Null-Retaxationen, die mit der Nichtabgabe von Rabattarzneimitteln begründet werden. Diese Vollabsetzungen würden insbesondere von Ersatzkassen vorgenommen. Dabei würden die Krankenkassen argumentieren, dass ein wirksamer Kaufvertrag wegen der Missachtung der Rabattverträge nicht zustande gekommen und daher der Kaufpreis nicht zu zahlen sei. Dem sei entgegenzuhalten, dass die Versorgung ordnungsgemäß durchgeführt wurde und nur ein Schaden in Höhe der Preis- oder Rabattdifferenz entstanden ist. Bei dem Musterprozess des Deutschen Apothekerverbandes, der beim Deutschen Apothekertag angekündigt worden war, soll es daher nur um die eine Rechtsfrage gehen, ob Vollabsetzungen wegen der Nichtabgabe rabattbegünstigter Arzneimittel berechtigt sind, so Weiß. Der Musterprozess werde nur solche Krankenkassen und Apotheken betreffen, die der Vereinbarung beitreten. Dabei müsse noch geklärt werden, wie mit den Streitfällen zu verfahren ist, die während des Prozesses anfallen.

Weiterer Streit um Rabattverträge

Neben der unstreitigen Nichtabgabe von Rabattarzneimitteln gibt es noch viele andere Gründe für Retaxationen im Zusammenhang mit Rabattverträgen, die aber nicht Gegenstand des Musterprozesses sein sollen, erklärte Weiß. Dies seien beispielsweise unterschiedliche Angaben zum Indikationsbereich in verschiedenen Datenbanken, Streitigkeiten über die Verfügbarkeit von Rabattarzneimitteln sowie pharmazeutische Bedenken und deren Dokumentation. Dazu riet Weiß, eher mehr als weniger zu schreiben. Bezüglich des Indikationsbereiches verwies er auf ein von Krankenkassen zitiertes Schreiben aus dem Bundesgesundheitsministerium, wonach "gleicher Indikationsbereich" nicht als identischer Wortlaut, sondern als "inhaltliche Entsprechung" auszulegen sei. "Dann befinden Sie sich quasi im rechtsfreien Raum", folgerte Weiß. Doch alle diese Streitfälle müssten weiterhin unabhängig vom geplanten Musterprozess im üblichen Widerspruchsverfahren geklärt werden.

"Sonderfall" DAK

Als weiteren Schwerpunkt der Problematik beschrieb Weiß den "Sonderfall" der DAK mit außergewöhnlich vielen Retaxationen. Dies betreffe Fälle ohne vertragliche Regelungen, bei denen allerdings keine Vollabsetzungen stattfänden. Ein typisches Beispiel seien Mischschriften, also vom Computer unvollständig gedruckte Rezepte, bei denen einzelne Angaben handschriftlich vom Arzt eingetragen werden. Diese würden von der DAK als Änderungen interpretiert, die stets mit einer zusätzlichen Unterschrift versehen werden müssten. Dabei stütze sich die Krankenkasse auf detaillierte Vereinbarungen mit den Ärzten. Auch den Vermerk "laut Rücksprache" akzeptiere die DAK ohne Arztunterschrift nicht mehr. Weitere Problemfälle seien Fristüberschreitungen, Notdienstgebühren ohne Kennzeichnung durch den Arzt, Beschaffungskosten im Notdienst ohne vorherige Zustimmung der Krankenkasse, fehlende Hinweise auf Maßanfertigungen bei Kompressionstrümpfen und fehlende Spezifikationen zur Art, Menge und Belieferungsdauer bei Inkontinenzartikeln. Weiß fasste dies mit dem Grundsatz zusammen: "Was nicht ausdrücklich erlaubt ist, ist verboten."

Nichteinhaltung der Abgabebestimmungen

Ein dritter Schwerpunkt des Problems sind die Nichteinhaltung von Abgabebestimmungen und der Umgang mit Fälschungen. Gemäß einem Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. August 2006 (B 3 KR 7/05 R) besteht bei einem Verstoß gegen bundeseinheitlich vereinbarte Abgabebestimmungen auch dann kein Anspruch auf Vergütung, wenn sich die Arzneimittelabgabe nachträglich als sachgerecht erweist. In diesem Fall hatte ein Krankenhausarzt eine wirtschaftlich unvorteilhafte Stückelung nachträglich bestätigt. Das Gericht bezifferte den Schaden allerdings auf die Mehrkosten durch die unwirtschaftliche Stückelung und nicht etwa auf den ganzen Rechnungsbetrag wie bei Null-Retaxationen. Denn das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verfolgt das Ziel der Folgenbeseitigung, nicht der Sanktionierung von Vertragsverstößen, so das Bundessozialgericht.

Wenn sich Rezepte nachträglich als Fälschungen erweisen, geht es hingegen um die Rückzahlung des gesamten Arzneimittelpreises. Als Konsequenz aus der bisherigen Rechtsprechung zu Rezeptfälschungen riet Weiß, bei Rezepten über hochpreisige oder gar missbrauchsanfällige Arzneimittel von fremden Verordnern für fremde Patienten ohne regionalen Bezug zur Apotheke telefonisch beim Verordner nachzufragen.

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