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Warum kleineren Herstellern bald die Luft ausgehen könnte

BONN (hb). Der weiterhin rückläufige Trend bei der Selbstmedikation und die Sorge, den kleinen und mittelständischen Pharmaunternehmen könne in den Rabattverhandlungen mit den Krankenkassen recht bald die Luft ausgehen, waren die Themen, die der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) bei seinem ersten Pressegespräch in diesem Jahr am 16. Januar 2008 in Bonn vor den Journalisten ansprach.

Selbstmedikation nimmt weiter ab

Nachdem die rezeptfreien Arzneimittel im Jahr 2004 von wenigen Ausnahmen abgesehen aus dem Leistungskatalog der GKV ausgegliedert worden sind, ging die Zahl ärztlicher Verordnungen der entsprechenden Präparate bis heute um mehr als 50% zurück. Aktuelle Marktdaten zeigen, dass sich der beschriebene Trend weiterhin fortsetzt. Der BAH- Vorsitzende Hans Georg Hoffmann belegte dies mit den Zahlen aus den ersten drei Quartalen 2007: Während der Markt der rezeptpflichtigen Arzneimittel nach Wert gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 4,2% (1,4% nach Packungen) angewachsen ist, sind im Bereich der nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel sowohl im verordneten rezeptfreien Sektor (- 1,2% nach Umsatz, - 3,3% nach Packungen), als auch in der Selbstmedikation in der Apotheke (- 1,3% nach Umsatz, - 3,5% nach Packungen) und noch drastischer außerhalb der Apotheke (- 6,0% nach Umsatz, - 5,2% nach Packungen), Rückgänge zu verzeichnen.

Erstmals seit langer Zeit erreichten die Quartalsumsätze des Selbstmedikationsmarkts in der Apotheke nicht die Milliardengrenze und lagen mit 987 Mio. Euro um 0,9% unter dem Vorjahresniveau.

Den Glauben an OTC-Arzneimittel wieder herstellen

Im Rahmen umfangreicher Marktforschung, die der BAH auf der Suche nach den Gründen für diese Entwicklung seit dem Frühjahr 2006 betreibt, hat sich gezeigt, dass der Glaube der Verbraucher an den therapeutischen Nutzen rezeptfreier Arzneimittel durch den Ausschluss der Präparate aus der GKV-Erstattung offenbar grundsätzlich erschüttert wurde. Die meisten verbinden mit dieser gesetzgeberischen Entscheidung eine negative Bewertung des therapeutischen Stellenwerts oder Nutzens der Präparate. Hoffmann hält es daher für immer wichtiger, den Anwendern zu kommunizieren, dass die Klassifizierung von Arzneimitteln als "rezeptfrei" ausschließlich auf der Risikoabwägung beruht. Auch der arztgestützten Selbstmedikation misst der Verband eine zunehmende Bedeutung bei. Er will sich deshalb in Zusammenarbeit mit Ärzte- und Apothekerschaft nachdrücklich dafür einsetzen, die Verfügbarkeit, die Nutzung und die Akzeptanz der Grünen Rezepte bei Patienten und Ärzten noch weiter zu steigern.

Wie lange können kleinere Unternehmen noch mithalten?

Die zweite Stelle, an der den Verband derzeit mächtig "der Schuh drückt", sind die Rabattverträge. Innerhalb von nur einem halben Jahr ist das Volumen der rabattierten Arzneimittel rapide angestiegen. Im November 2007 hatten nahezu alle Krankenkassen Verträge mit Herstellern für mehr als 20.000 Handelsformen abgeschlossen. Hierbei ist die Präferenz der Kassen für Großunternehmen mit breiten Arzneimittelsortimenten als Vertragspartner augenfällig. Während der Absatzanteil von Rabattarzneimitteln von Großunternehmen im April 2007 lediglich bei fünf Prozent (Mittelstand elf Prozent) lag, hatten sich die Verhältnisse ein knappes halbes Jahr später bereits umgekehrt: 47 Prozent Großunternehmen, 23 Prozent Mittelstand.

Kleine und mittelständische Unternehmen haben angesichts dieser rasanten Enwicklung nach Hoffmanns Einschätzung allen Grund zur Sorge. Wird ein Hersteller beispielsweise bei einer Ausschreibung der AOK nicht berücksichtigt, so kann dies leicht zu einem Verlust von mehr als der Hälfte seines jeweiligen Präparate-Umsatzes führen, für kleine Unternehmen unter Umständen schon eine existenzbedrohende Situation. Für besonders brisant hält BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Mark Seidscheck die sogenannten Sortimentverträge, die große Kassen über die gesamte Produktpalette zumeist mit großen Herstellern abgeschlossen haben. Mittelständische und kleinere sind hierbei durch das im Regelfall kleinere Sortiment erheblich benachteiligt. Außerdem haben sie nicht wie Großunternehmen die Möglichkeit durch eine Mischkalkulation zwischen verschiedenen Produkten (z. B. innovativen Arzneimitteln und Generika) oder mit Auslandsmärkten Niedrigstpreise anzubieten.

Sollte die Entwicklung sich in dieser Form fortsetzen, so prognostiziert Hoffmann für den Arzneimittelmarkt durch den harten Verdrängungswettbewerb einen von wenigen Großunternehmen dominierten Oligopolmarkt, wie er sich etwa im Bereich der Energieversorgung bereits eingestellt hat.

Rechtsweg bei Streitigkeiten ungeklärt

Außerdem ist die grundlegende Frage nach dem ordnungsgemäßen Zustandekommen der Verträge bislang ungeklärt. Der BAH hat bereits frühzeitig die Anwendung des Kartellvergaberechts auf die Vergabe gefordert, da dieses bestimmte Schutzrechte für die Bieter beinhaltet, insbesondere die Möglichkeit der Überprüfung einer Ausschreibung durch die Vergabekammern. Die derzeitige rechtliche Auseinandersetzung um die Ausschreibung der AOK für die Jahre 2008/2009 dreht sich genau um diese Frage, das heißt auch darum, welcher Gerichtsweg für Streitigkeiten bezüglich der Rabattverträge zuständig ist. Sowohl die Vergabekammern bzw. Oberlandesgerichte als auch die Sozialgerichte beanspruchen die Zuständigkeit in dieser Angelegenheit jeweils für sich. Dabei würde man aus der Sicht von BAH-Hauptgeschäftsführer Dr. Mark Seidscheck ohne eine wettbewerbsrechtliche "Aufrüstung" der Sozialgerichte wohl kaum auskommen. Wie dieser grundlegende Rechtsstreit enden wird, ist derzeit unklar.

Rabattverträge – kein Konzept für die Zukunft

Der BAH wendet sich zudem aus einem zweiten Grund heftig gegen das Rabattpreis-System im Arzneimittelbereich. Dieses würde marktwirtschaftliche Spielregeln voraussetzen, die jedoch im Arzneimittelsektor aufgrund des engen Regulierungssystems und der Einbindung in die GKV-Zwangsmaßnahmen keineswegs zum Tragen kommen. Im Umkehrschluss müssten sich hieraus eher bestimmte Schutzbedürfnisse und -rechte der Hersteller ableiten, meint Hoffmann.

In Anbetracht des beschriebenen Szenarios plädiert der BAH für eine Neuordnung der Preisfestsetzung für Arzneimittel: Nach festen Spielregeln und unter Berücksichtigung detaillierter Kriterien des jeweiligen Arzneimittelnutzens und der Herstellungs- und Forschungskosten sollte ein aus gesamtgesellschaftlicher Sicht adäquater Arzneimittelpreis bestimmt werden, der gegenüber den Kassen weder unter- noch überschritten werden darf. Dies stünde im Übrigen im Einklang mit dem Ansatz der Kosten-Nutzen-Bewertung und internationalen Gepflogenheiten.

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