Deutscher Apothekertag 2008

Die (fast) ganz große Koalition

Christian Rotta

Manchmal musste man sich kneifen. Bin ich wach oder träume ich? So viel Politiker-Balsam für die Apothekerseele gab’s noch auf keinem Apothekertag. Richtig gepampert fühlte man sich. Lag’s daran, dass am Wochenende in Bayern Wahlen sind? München machte es möglich: Apothekenpolitisch ist zwischen CSU-Ministerpräsidenten Beckstein, SPD-Gesundheitspolitikerin Marlies Volkmer und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Linken, Klaus Ernst, "Schwarz-Rot-Rot" problemlos machbar (Die Vertreter von CDU und Bündnis 90/Die Grünen fehlten bei der Eröffnung, die FDP ließ ihr Grußwort verteilen). Einigkeit pur: Ja zur inhabergeführten und heilberuflich orientierten Apotheke vor Ort, Nein zum Fremd- und Mehrbesitz, Ja zu einer flächendeckenden und unabhängigen Arzneimittelversorgung, Nein zum Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln und Pick-up-Stellen, Ja zu mittelständischen Strukturen, Nein zu konzernabhängigen Apothekenketten.

Ähnlich deckungsgleich waren die Politiker-Statements im Arbeitskreis "Arzneimittelversorgung". Dort sollten Repräsentanten von nicht weniger als sechs Parteien mit ABDA-Präsident, BAK-Präsidentin und DAV-Vorsitzendem diskutieren und hier wurde sie dann endgültig geschmiedet – die (fast) größtmögliche aller Großen Apotheken-Koalitionen. Selbst die Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen, die in den Bayerischen Landtag einziehen möchte, wollte dabei nicht hintan stehen. Auch sie sprach sich gegen Apothekenketten und für die Verteidigung des Fremdbesitzverbotes aus. Bemerkenswert deutlich distanzierte sie sich dabei von der apothekenpolitischen Linie ihrer Bundespartei um Biggi Bender. Geht da doch noch etwas? Auf jeden Fall: Obacht, Ihr Celesen, dass Euch da nicht etwas entgleitet! Apropos: Pikant wurde es, als unser ABDA-Präsident seinen Apothekerkollegen Wolf Bauer (CDU) mit einem Brief der gesundheitspolitischen Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, Annette Widmann-Mauz, konfrontierte. Die Tübinger Abgeordnete aus dem Celesio-Ländle hatte in mehreren Briefen "interessierte Kreise" beruhigt und kundgetan, dass ihre Fraktion den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln keineswegs verbieten wolle. Zur Begründung führte sie dabei auch die angeblich günstigeren Arzneimittelpreise ausländischer Versandapotheken ins Feld. Durch ihre Eskapaden fühlt sich seitdem nicht nur die CSU-Spitze düpiert und vorgeführt. Bauer blieb nur, angesäuert darauf hinzuweisen, dass die Position seiner Parteikollegin nicht der Mehrheitsmeinung seiner Fraktion entspreche.

Etwas aufgemischt wurde die ganz große Einmütigkeit auf dem Politiker-Podium allein von Daniel Bahr, dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Er hält eine Wiedereinführung des Versandhandelsverbots bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für unrealistisch. Ironie der Geschichte: Bahr gehört jener Partei an, die sich seinerzeit als einzige im Bundestag vertretene Fraktion gegen den von Union, SPD und Bündnis 90/Die Grünen legalisierten Versandhandel bei apothekenpflichtigen Arzneimitteln ausgesprochen hatte. Heute meint Bahr, das Rad beim Rx-Versand aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr zurückdrehen zu können ("Erst in Berlin beim Versandhandel das Haus anzünden und dann in München die Feuerwehr spielen – das geht nicht!"). Eine größere Gefahr als der Versandhandel stellen für ihn bestehende Arzneimittelbestell- und -abholstellen in Drogerieketten dar. Ihrer Ausbreitung möchte er einen rechtlichen Riegel vorschieben. Das kam bei der ABDA gar nicht gut an. Dort setzt man – ohne Netz und doppelten Boden – allein auf die Verbotskarte. Und deshalb wurde das Mitglied des Gesundheitsausschusses ob seines Statements auch ziemlich ruppig abgewatscht. Ob das klug ist? Zur Einschätzung Bahrs mag man stehen wie man will. Fest steht: So notwendig ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus Gründen der Arzneimittelsicherheit ist, so erforderlich ist es auch bei OTCs, sichere Vertriebswege zu etablieren. Auf beiden Ebenen benötigen wir (neben juristischer Kreativität) politische Mehrheiten und verlässliche Bündnispartner. Wir sollten sie nicht ohne Not verprellen.


Christian Rotta

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.