Deutscher Apothekertag 2008

Das Wichtigste in Kürze

Es wurde viel diskutiert und debattiert auf dem Apothekertag. Wir fassen in unserem großen Bericht die Ergebnisse vom Apothekertag zusammen. Als schnelle Vorabinformation für all diejenigen, die wenig Zeit zum Lesen haben, haben wir daraus als Schnellinfo das Wichtigste extrahiert.

Der Lagebericht. ABDA-Präsident Wolf machte deutlich, dass in der aktuellen Situation für die Apotheker sehr viel auf dem Spiel steht. Die Apotheker sind bereit, so sein Credo, eine unabhängige Arzneimittelversorgung zu ermöglichen und mehr Verantwortung zu übernehmen. Ein wenig Hoffnung mache die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Krankenhausversorgung: Die Gesundheit der Bevölkerung geht vor Gewinnmaximierung. Dringenden Handlungsbedarf der Politik sieht Wolf bei der Versandhandelsproblematik und den Ausfransungen wie Pick-up-Stellen in Drogeriemärkten. Einen stabilen Rechtsrahmen benötigen die Apotheker auch, wenn sie zusätzliche pharmazeutische Leistungen übernehmen. Wolf nannte als Zukunftsmodell u. a. den Ausbau eines Medikationsmanagements. Darüber hinaus wollen die Apotheker auch die eigenen Leistungen ständig überprüfen: angestrebt wird ein bundeseinheitlich gültiges Qualitätsmanagementsystem für alle Apotheken. Und: die Zahl der Fortbildungsteilnehmer soll mittelfristig verdoppelt werden (Stichwort: Pflicht zur Fortbildung). Die Rabattverträge verursachen enormen Aufwand in der Apotheke – Wolf forderte daher eine Senkung des Apothekenabschlags für die GKV.


Der Geschäftsbericht. ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Hans-Jürgen Seitz befasste sich in seinem Geschäftsbericht u. a. mit der angestrebten Senkung des Kassenabschlages, die Verhandlungen über eine Anpassung des GKV-Abschlags sind angelaufen. Retaxationen auf Null sind Willkür, so Seitz. Daher werde der Deutsche Apothekerverband einen Musterprozess dagegen führen. Die Apotheken trügen die Hauptlast bei der Umsetzung der Rabattverträge, und die Apotheken stehen für Kompetenz und Leistung – dies müsse honoriert werden. Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, Arzneimittelabholstellen in Drogeriemärkten, das Fremd- und Mehrbesitzverbot vor dem EuGH sind weitere Baustellen. Neue Probleme sind bei EU-Regelungen über Gesundheitsdienstleistungen zu erwarten. Seitz berichtete auch über Anforderungen an eine praxisgerechte Telematik. Noch lange nicht rund laufen die Praxistests zur elektronischen Gesundheitskarte. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere beim Datenschutz, in der Praxistauglichkeit und in der Finanzierung.


Arbeitskreis 1: Arzneimittelversorgung und Demografie. Da es aufgrund des medizinischen Fortschritts immer mehr Ältere gibt, wird es auch für Apotheken in Zukunft reichlich Arbeit geben. Doch die großen Veränderungen bedingen neue Strukturen. Und die Frage der Bezahlung bleibt offen. Beim Arbeitskreis zur Arzneimittelversorgung und demografischen Entwicklung zeigte sich, was dies für die Apotheken langfristig bedeuten kann: neue Leistungen, neue Vergütungskonzepte, mehr Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen und noch mehr Kostendruck im solidarisch finanzierten Gesundheitssystem. Professor Dr. Bertram Häussler vom Institut für Gesundheit und Sozialforschung (IGES) stellte die zu erwartende demografische Entwicklung in Deutschland vor. Johannes-Magnus Freiherr von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbands hob auf die große Bedeutung der Prävention ab, bei der auch die Apotheker gefragt seien. Barbara Neusetzer, Vorsitzende der Apothekengewerkschaft Adexa, forderte einen einheitlichen Bewertungsmaßstab für Leistungen der Apotheken und für die Honorierung der Mitarbeiter. Dr. Max Kaplan, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer, signalisierte die Bereitschaft zu mehr Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Hausapothekern. Marion Rink, Vorstandsmitglied der BAG Selbsthilfe und der Deutschen Rheuma-Liga, kritisierte das sektorale Denken im Gesundheitswesen. Sie forderte auch eine geriatrische Pharmazie. ABDA-Vizepräsident Friedemann Schmidt setzte sich dafür ein, dass der Zugang zum Gesundheitswesen für alle gleich sein müsse.


Arbeitskreis 2: Erfahrungsberichte und Lösungsansätze. Dass die Liberalisierung der Arzneimittelversorgung kein Patentrezept zur Lösung der Probleme im Gesundheitswesen ist, zeigten die beiden Vorträge aus den USA und Norwegen. In Norwegen wird die Arzneimittelversorgung nach der Marktliberalisierung von drei großen vertikal integrierten Apothekenketten dominiert, wie Anne Markestad, Präsidentin der Norges Farmaceutiske Forening, dem Berufsverband der angestellten Apothekerinnen und Apotheker in Norwegen, erläuterte. Preiswettbewerb findet nicht statt. Marktdenken ist zudem auf die Apotheken übertragen worden, es zählt gesteigerter Umsatz, Budgetdruck und es gibt Vorschriften für Zusatzverkäufe. Patienten, die pharmazeutische Beratung brauchen, bleiben auf der Strecke.

Prof. Dr. Stephen Schondelmeyer, Direktor des Prime-Instituts am Pharmazeutischen Institut in Minneapolis, Minnesota, ist dort zuständig u. a. für Pharmakoökonomie. Er berichtete eindrucksvoll von den Schwierigkeiten des US-amerikanischen Gesundheitssystems. Zugelassene Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel habe die Verordnungszahlen steigen lassen. Der freie Markt kann die Preise nicht dämpfen. Kostensenkend wirkt sich dagegen das Instrument der Pharmazeutischen Betreuung aus. Die Herausforderungen seien nur mit einem besseren Therapiemanagement zu lösen.


Arbeitskreis 3: Politische Diskussion zur Arzneimittelversorgung. Die Politiker hatten viele warme Worte für die Apotheker übrig. Ausnahmsweise bot nicht die Vertreterin der Grünen die größte Reibungsfläche, sondern der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Der parlamentarische Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Dr. Marcel Huber, zeigte sich in seinem Eingangsstatement ganz auf ABDA-Linie: "Arzneimittel sind keine x-beliebigen Verbrauchsgüter und Patienten keine Konsumenten." Daher müsse die bewährte Struktur der Apotheken gewahrt bleiben; die inhabergeführte Präsenzapotheke stehe für Qualität, Sicherheit und Fachkompetenz und böte das nötige Sicherheitsnetz. Große Einigkeit herrschte hinsichtlich der Bedeutung des Mittelstandes für das Gesundheitswesen sowie in Sachen Fremdbesitz. "Wir wollen nicht, dass Kapitalgesellschaften den vertikalen Durchgriff haben – vom Hersteller über den Großhändler bis zur Apotheke", erklärte etwa Volkmer. Die Vertreterin der Grünen, Gabriela Seitz-Hoffmann, distanzierte sich von der offiziellen Haltung der Grünen im Bund und sprach sich gegen Ketten in den Händen von Nicht-Apothekern aus. Bauer erklärte, lediglich über den Mehrbesitz lasse sich noch reden. Daniel Bahr, FDP, sieht im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit für ein Rx-Versandverbot zusammenkommen. Die FDP setze sich daher für ein Verbot der Pick-up-Stellen ein.


Eröffnung der Expopharm. Traditionsgemäß überbringen die Vertreter der Industrieverbände und des pharmazeutischen Großhandels politische Grußworte zur Eröffnung der Expopharm. Einig waren sich diesmal alle – einschließlich des Vorsitzenden des Deutschen Apothekerverbands (DAV), Hermann S. Keller – darin, dass die derzeitigen politischen Rahmenbedingungen es zunehmend unmöglich machen, wirtschaftlich erfolgreich zu arbeiten. Doch bei der Suche nach Auswegen gab es keinen Konsens. Während der DAV auf das Zielpreismodell setzt, kündigte der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) ein neues Einsparungsinstrument, den zentralen Erstattungspreis statt Rabattverträge, an. Keller betonte ferner, dass sich der DAV für einen deutlich reduzierten Kassenabschlag einsetzen werde. Für neue Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Innovationskraft des medizinischen Fortschritts in Deutschland plädierte Prof. Dr. Michael Habs, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Er warnte auch davor, OTC-Arzneimittel zu Arzneimitteln zweiter Klasse herabzustufen. Dr. Thomas Werner Vorstandsmitglied des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), kritisierte die Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Dr. Thomas Trümper, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands des pharmazeutischen Großhandels (Phagro), beklagte die dramatischen Auswirkungen der Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen auf den Großhandel. Er forderte die Änderung der Arzneimittelpreisverordnung, nämlich eine kombinierte Vergütung aus Fixbetrag und Marge.


Ovationen für die Paralympioniken. Überraschungsgäste auf dem Apothekertag: Gerade aus Peking zurückgekehrt konnte der Apothekertag drei Medaillengewinner der Paralympics in München begrüßen und feiern. Hintergrund dieser Begrüßung war das Engagement der ABDA für den Behindertensport und das Sponsoring der deutschen paralympischen Mannschaft in Peking.

Anträge

Der Deutsche Apothekertag verabschiedete auch in diesem Jahr eine stattliche Zahl an Anträgen, mit denen Forderungen und Vorhaben umgesetzt werden sollen.

  • Politik und Gesellschaft werden aufgefordert, die Funktion und den Nutzen der eigenverantwortlich inhabergeführten Apotheke für eine patientenorientierte Arzneimittelversorgung bei der weiteren Ausgestaltung des Gesundheitswesens zu beachten.

  • Bundesregierung und Bundestag sollen entsprechend der Initiative mehrerer Bundesländer den Versandhandel mit Arzneimitteln an das europarechtlich geforderte Maß anpassen.

  • Der Gesetzgeber soll allen Maßnahmen entgegenwirken, die eine Einschränkung der wohnortnahen Versorgung zur Folge haben (Versandhandel, Abschaffung des Fremd- und Mehrbesitzes).

  • Bundes- und Landesregierungen sollen das bestehende System einer flächendeckenden und wohnortnahen Arzneimittelversorgung durch die inhabergeführte Apotheke erhalten.

  • Apotheker sollen stärker in bestehende und geplante Versorgungsprozesse für ältere, multimorbide Menschen eingebunden werden.

  • Die öffentlichen Apotheken sollen stärker im Bereich der Primär- und Sekundärprävention eingebunden werden.

  • Apotheker sollen auch aktiv in die Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung von Disease-Management-Programmen zur Betreuung chronisch Kranker eingebunden werden.

  • Die Beteiligten im Gesundheitswesen sollten das Angebot der Apotheker, sich mit ihrer Expertise verstärkt in den interdisziplinären Versorgungsprozess einzubringen, annehmen.

  • Die ABDA soll einen kostendeckenden Honorarvorschlag für die wiederholte Belieferung von Rezepten durch die Apotheke herausarbeiten, um Versorgungsengpässe in der Bevölkerung zu vermeiden.

  • 2009 soll ein Symposium zum Thema "Apotheke als Gesundheitszentrum" organisiert werden.

  • Insbesondere Krankenhausgesellschaften und Krankenhäuser sollen die Voraussetzungen schaffen, durch qualitätsgesicherte pharmazeutische Dienstleistungen den Erfolg der Arzneimitteltherapie in Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern zu ermöglichen.

  • Es soll ein Strategiepapier zum Projekt "Mehrwert Apotheke" erstellt werden.

  • Auf Arzneimittel soll der reduzierte Mehrwertsteuersatz erhoben werden.

  • Der hohe Verwaltungsaufwand in Apotheken soll verringert werden.

  • Die Hersteller sollen insbesondere bei oral zu verabreichenden flüssigen Arzneimitteln Aufbrauchfristen nach Anbruch deklarieren.

  • Bei Arzneimitteln sollen alters- und geschlechtsspezifische Dosierungsangaben verpflichtend aufgenommen werden.

  • Frauen sollen in klinischen Studien proportional zu ihrer Krankheitsprävalenz eingeschlossen und geschlechtsspezifische Auswertungen routinemäßig durchgeführt werden.

  • Die Abgabe von Ärztemustern soll auf ein Jahr beschränkt werden.

  • Ein Antrag, die Notdienstgebühr auf 20 Euro zu erhöhen, wurde zurückgezogen.

  • Der Heimträger soll wie bereits der Apotheker verpflichtet werden, einen schriftlichen Vertrag zur Arzneimittelversorgung des Heimes abzuschließen.

  • Das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nicht gelockert werden, um Patienten vor werblich geprägten Informationen zu schützen.

  • Auch Apotheker sollen pharmakogenetische Untersuchungen veranlassen und entsprechende Beratungsgespräche dazu führen dürfen.

  • Der Gesetzgeber solle für mehr Sicherheit bei der Herstellung von Zytostatika sorgen.

  • Das Fach Klinische Pharmazie soll angemessen in Forschung und Lehre umgesetzt werden.

  • Ein Ausschuss soll sich damit befassen, ob und wie Maßnahmen zur Förderung der Aufnahme einer Weiterbildung geschaffen werden können.

  • Es soll eine einheitliche und rechtssichere Bewertung des Austauschkriteriums "Gleichheit der Indikationsbereiche" im Rahmen der Aut-idem-Ersetzung und der Rabattverträge vorgenommen werden.

  • Der Gesetzgeber soll bei Rabattverträgen deutlich pharmazeutische Gesichtspunkte einbeziehen.

  • Die Krankenkassen sollen beim Abschluss von Rabattverträgen sicherstellen, dass die Versorgung der Patienten nicht beeinträchtigt wird.

  • Die Krankenkassen werden aufgefordert, auf das Apotheker-Zielpreismodell einzugehen.

  • Bundesregierung und Gematik sollen angemessene Rahmenbedingungen für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte schaffen.

  • Es soll eine Öffentlichkeitskampagne der Apotheken gegen Alkoholmissbrauch und seine Folgen insbesondere für Kinder und Jugendliche entwickelt werden.

  • Es sollen Instrumentarien für den Ausgleich von Warenlagerwertverlusten geschaffen werden.

  • Abgelehnt wurde ein Antrag, dass die ABDA ihre Mitgliederorganisationen über das Schicksal der Anträge aus dem Vorjahr vor Ablauf der Antragsfrist des folgenden Apothekertags informiert.


diz

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