Arzneimittel und Therapie

Diabetiker profitieren langfristig von guter Einstellung

Nach den Ergebnissen der großen Diabetes-Studien Accord und Advance wird darüber gestritten, wie eine gute Blutzuckerkontrolle bei Typ-2-Diabetikern auszusehen hat. Für Beunruhigung hatte vor allem die erhöhte Gesamtmortaliät bei HbA1c -Zielwerten unter 6,5% in der Accord-Studie gesorgt. Mit Spannung wurden daher die Zehn-Jahres-Nachbeobachtungsdaten der UKPDS-Daten erwartet, die soeben vorgestellt worden sind: Sie untermauern, dass sich eine gute Diabeteseinstellung noch Jahre später auszahlt, auch im Hinblick auf die Gesamtmortalität.

In der Advance-Studie (Action in diabetes and vascular disease: Preterax and Diamicron-MR Controlled Evaluation) wurde unter anderem verglichen, wie sich eine intensivierte Blutzuckersenkung auf HbA1c-Werte unter 6,5% im Vergleich zu einer Standardtherapie mit Zielwerten von 7,5% auf mikro- und makrovaskuläre Folgekomplikationen auswirkt. Nach fünf Jahren konnte durch die intensivierte blutzuckersenkende Behandlung die Entwicklung einer diabetischen Nephropathie (Neuauftreten und Progression) signifikant um etwa 21% gesenkt werden (NNT = 91 für fünf Jahre). Auch der primäre Endpunkt mikro- und makrovaskuläre Komplikationen war nach dieser Zeit unter intensivierter antiglykämischer Therapie signifikant reduziert, wohingegen makrovaskuläre Komplikationen nicht signifikant seltener zu verzeichnen waren.

Die Accord-Studie (Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes) hatte zum Ziel zu klären, wie sich eine intensivierte Einstellung des Blutzuckers (HbA1c-Wert unter 6,0), des Blutdrucks und der Blutlipide auf makrovaskuläre Komplikationen auswirkt. Nach 3,5 Jahren wurde der Studienteil zur intensivierten HbA1c-Wert-Senkung abgebrochen, weil die Mortalität in der antihyperglykämisch intensiviert behandelten Gruppe im Vergleich zur Standardbehandlung signifikant um 22% gestiegen war. Da sich das Mortalitätsrisiko vor allem für Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen und mit hohen HbA1c-Ausgangswerten erhöhte, wird diskutiert, ob bei solchen Patienten oder generell von einer Senkung der HbA1c -Werte unter 7,0% abgeraten werden muss.

DDG: HbA1c unter 6,5% nicht um jeden Preis

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist der Ansicht, dass die Art und Weise der Intensivierung der antihyperglykämischen Therapie von entscheidender Bedeutung für den Therapieerfolg ist. Sie geht davon aus, dass eine Absenkung des HbA1c-Wertes auf 6,5% gegenüber einem Zielwert von 7,0% für den Patienten vorteilhaft sein kann, aber nur dann angestrebt werden soll, wenn

  • Hypoglykämien (insbesondere schwere) weitestgehend vermieden werden,
  • der therapeutische Effekt nicht mit einer wesentlichen Gewichtszunahme einhergeht,
  • wenig untersuchte Mehrfachkombinationen von oralen Antidiabetika (d. h. in der Regel mehr als zwei), und insbesondere die Beibehaltung solcher Mehrfachkombinationen bei zusätzlicher Gabe von Insulin, vermieden werden.

Das in der Accord-Studie praktizierte polypharmakotherapeutische Vorgehen (mit den entsprechenden Nebenwirkungen) werde, so die Fachgesellschaft, im Verbreitungsgebiet der DDG-Leitlinie nicht empfohlen. Empfohlen wird ein Vorgehen mit präferentiellem Einsatz einer nichthypoglykämisierenden Substanz (Metformin) als Mittel der ersten Wahl sowie der Einsatz von Insulin, falls unter einer Kombinationstherapie von maximal zwei oralen Antidiabetika der HbA1c -Zielwert nicht mehr erreicht wird.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Accord- und Advance-Studie wurde der aktuelle Diskussionsentwurf der DDG-Leitlinie zur "Medikamentösen Therapie des Typ 2 Diabetes" um die Aussage ergänzt, dass der Vermeidung von Nebenwirkungen (Hypoglykämien, wesentliche Gewichtszunahme) eine hohe Priorität zukommt, auch mit der Konsequenz, dass der HbA1c -Zielwert bei 7,0 belassen werden sollte, wenn ein Zielwert von unter 6,5% nur mit solchen Nebenwirkungen erreicht werden kann.

Gute Einstellung mit Langzeiteffekt

Die UKPDS-Studie (United Kingdom Prospective Diabetes Study) hatte gezeigt, dass Typ-2-Diabetiker vor allem im Hinblick auf mikrovaskuläre Komplikationen ein deutlich niedrigeres Risiko aufweisen, wenn sie langfristig auf einen HbA1c -Wert unter 6,5% eingestellt werden. Nach Beendigung der Studie wurde auch bei den Patienten der Kontrollgruppe eine intensivierte Blutzuckersenkung angestrebt. Die jetzt veröffentlichten Daten einer zehnjährigen Nachbeobachtungsphase zeigen, dass die über zehn Jahre intensiviert behandelte Patientengruppe immer noch deutliche Vorteile hatte, obwohl sich die HbA1c -Werte in beiden Gruppen angeglichen hatten. Mikrovaskuläre Komplikationen lagen in dem ursprünglichen Sulfonyl-/Insulinarm um 24% niedriger als in der mit einer Diät behandelten Kontrollgruppe, das Herzinfarktrisiko war um 15% reduziert und Todesfälle um 13%. Bei allen mit Metformin behandelten Patienten betrug die Risikoreduktion nach zehn Jahren in allen Diabetes-bezogenen Endpunkten 21% im Vergleich zur Kontrollgruppe, die Herzinfarktrate war um 33%, die Zahl der Todesfälle um 27% niedriger. Die positiven Auswirkungen auf Herzinfarktrate und Gesamtmortalität waren am Ende der UKPDS-Studie noch nicht erkennbar. Die Ergebnisse der zehnjährigen Nachbeobachtung untermauern in eindrucksvoller Weise, dass Diabetiker auch Jahre später noch von niedrigen HbA1c -Werten auch im Hinblick auf makrovaskuläre Spätkomplikationen profitieren können.

Advance-Studie

Die Action in Diabetes and Vascular disease: Preterax and Diamicron-MR Controlled Evaluation (Advance)-Studie untersuchte den Effekt einer intensivierten Einstellung des Blutzuckers und des Blutdrucks auf makrovaskuläre und mikrovaskuläre Komplikationen im Vergleich zu einer Standardtherapie. Die Ergebnisse der intensivierten Blutdrucktherapie wurden in 2007 publiziert. Insgesamt 11.140 Patienten wurden in 215 Zentren in 20 Ländern (insbesondere Australien, Asien, Europa, Kanada) rekrutiert. Der HbA1c-Zielwert betrug in der intensiviert behandelten Gruppe < 6,5%, in der Standardtherapie-Gruppe sollte ein HbA1c-Wert von 7,5% erreicht werden. Um diese Zielwerte zu erreichen, war für die intensiviert behandelte Gruppe folgendes Procedere vorgesehen:

  • Intensivierung nicht-pharmakologischer Therapie-Optionen
  • Therapieeskalation durch behandelnden Arzt auf dem Boden der HbA1c- und Nüchtern-BZ-Werte unter Berücksichtigung folgender Empfehlungen:

Definition des primären Endpunktes

 

  • Nicht-tödlicher Myokardinfarkt
  • Nicht-tödlicher zerebraler Insult
  • Tod kardiovaskulärer Ursache
  • Mikrovaskulär: Nephropathie, Retinopathie

Quelle: Auszug aus: Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zu den Ergebnissen der Accord- und Advance-Studien

 

 

Accord-Studie

Die Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes (Accord)-Studie untersuchte den Effekt einer intensivierten Einstellung des Blutzuckers, des Blutdrucks sowie der Lipide auf makrovaskuläre Komplikationen im Vergleich zu einer Standardtherapie. Die Ergebnisse der Blutdruck- und Lipidtherapie werden voraussichtlich 2010 publiziert. Aufgrund einer erhöhten Mortalität in der antihyperglykämisch intensiviert behandelten Gruppe wurde dieser Therapiearm der Studie im Februar 2008 nach 3,5 Jahren vorzeitig abgebrochen und die Ergebnisse im Juni 2008 publiziert. Insgesamt 10.251 Patienten wurden in 77 Zentren in den USA und Kanada rekrutiert. Der HbA1c-Zielwert betrug in der intensiviert behandelten Gruppe < 6,0%, in der Standardtherapiegruppe sollte ein HbA1c-Wert im Bereich von 7,0 bis 7,9% angestrebt werden. Um diese Zielwerte zu erreichen, waren sämtliche zugelassenen antihyperglykämisch wirksamen Substanzen (Exenatide, Insulin) einsetzbar, auch Kombinationstherapien waren vom Studienprotokoll her weder von der Zahl noch von der Art der eingesetzten Substanzen eingeschränkt.

Definition des primären Endpunktes


 

  • nicht-tödlicher Myokardinfarkt
  • nicht-tödlicher cerebraler Insult
  • Tod kardiovaskulärer Ursache


Quelle: Auszug aus: Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zu den Ergebnissen der Accord- und Advance-Studien

 

UKPDS-Studie

Die United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS) ist eine randomisierte kontrollierte Studie, die in 15 ambulanten Diabeteszentren in Großbritannien durchgeführt worden ist. Aufgenommen wurden Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes und einem Körpergewicht, das über 120% des Idealgewichts lag. Insgesamt wurden in die 1977 begonnene Studie 4075 Patienten eingeschlossen und entweder mit einer konventionellen, primär diätetischen Therapie behandelt (HbA1c-Zielwert unter 270 mg/dl = 15 mmol/l) oder im Rahmen einer intensivierten Therapie entweder mit Metformin, Glibenclamid, Chlorpropamid oder Insulin (HbA1c-Zielwert unter 108 mg/dl = 6,1 mmol/l) behandelt.

Hauptendpunkte


 

  • Diabetes – bezogene klinische Endpunkte: plötzlicher Tod, Hyper-/Hypoglykämie-bedingter Tod, Myokardinfarkt, Herz-/Niereninsuffizienz, Apoplex, Amputation und Retinopathie.
  • Diabetesmortalität
  • Gesamtmortalität

Quelle

Holman RR et al.: 10-Year Follow-up of Intensive Glucose Control in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2008; 359 doi:10.10156/NEJMoa0806470.

UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group: Intensive blood-glucose control with sulfonylureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type-2 diabetes. (UKPDS 33). Lancet 1998; 352: 837–853.

UKPDS Group: Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34) Lancet 1998; 352: 854–865.

The Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group: Effect of Intensive Glucose Lowering in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2008; 358:2545–2559.

The Advance Collaborative Group: Intensive Blood Glucose Control and Vascular Outcomes in Patents with Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2008; 358:2560–2572.

Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft zu den Ergebnissen der Accord- und Advance-Studien. Stand 15. September 2008.

 

 


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