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Die Phalanx steht – Ergebnis offen

Christian Rotta

In einem mehr als siebenstündigen Sitzungsmarathon haben die 13 Richter des Europäischen Gerichtshofs am Mittwoch letzter Woche über die in Europa bestehenden Fremdbesitzverbote bei Apotheken verhandelt. Die Bedeutung der anhängigen EuGH-Verfahren für die rund 150.000 Apotheken in Europa kann kaum überschätzt werden. Einigkeit zwischen den Kontrahenten herrschte in einem Punkt: Welche Entscheidung die Große Kammer des EuGH treffen wird, ist völlig offen. Die Reaktionen der Richter während der mündlichen Verhandlung lassen keinerlei Rückschlüsse darüber zu. Und auch Auguren, die noch vor Kurzem den Eindruck zu erwecken versuchten, dass der Zug einer Etablierung kapitalstarker Apothekenketten europarechtlich ohnehin schon abgefahren sei, reagieren inzwischen schmallippig und wortkarg, wenn man sie um eine Prognose über den Ausgang der anhängigen Verfahren bittet.

So offen der rechtliche Ausgang der anhängigen Verfahren ist, so eindeutig sprachen sich in Luxemburg die allermeisten EU-Mitgliedstaaten für apothekenrechtliche Fremdbesitzverbote aus. Die Phalanx steht: Neben Deutschland (mit Ausnahme des selbstständig repräsentierten Saarland!) sehen Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland, Österreich, Finnland, Lettland und – im Ergebnis – Irland die in Europa geltenden Fremdbesitzverbote als eine geeignete, erforderliche und verhältnismäßige Maßnahme zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung an. Bei Lettland und Irland ist dies umso bemerkenswerter als beide Staaten Erfahrungen mit der Aufhebung des Fremdbesitzverbotes haben. Lettland hatte den Fremdbesitz im Jahre 2001 zugelassen, die "Freigabe" aufgrund der katastrophalen Erfahrungen – schlechter Service in Kettenapotheken, steigende Kosten, weniger Apotheken im Eigentum von Apothekern – jedoch bereits anderthalb Jahre später wieder zurückgenommen (mit einer gebotenen Übergangsfrist bis Ende 2010). Auch der Vertreter Irlands, in dessen Land der Fremdbesitz erlaubt ist, plädierte dafür, bei der Ausgestaltung des Apothekenwesens die Souveränität des jeweiligen Mitgliedstaates zu achten und zu bewahren – ein Gesichtspunkt, der auch von fast allen anderen Prozessvertretern vehement vorgetragen wurde. Besonders die Vertreter Spaniens und Italiens griffen das Spiel der EU-Kommission über die EuGH-Bande frontal an: Es komme einer "Revolution der Rechtsordnung" gleich, wenn die EU-Kommission die Mitgliedstaaten via Gerichtshof zur Harmonisierung des Apothekenwesens nötigen wolle, obwohl ihr hierzu die Zuständigkeit fehle. Der spanische Regierungsvertreter spitzte zu: "Ist die Umwälzung des Systems die Idee eines über Nacht erleuchteten Kommissionsbeamten? Was ist, wenn das System nicht funktioniert? Wer kontrolliert das ‚neue’ System? Wer haftet, wenn die Kosten steigen?"

In Luxemburg wurden die Ursachen der sich allgemein ausbreitenden "Europamüdigkeit" spürbar. Die EU-Mitgliedstaaten sind nicht mehr ohne Weiteres gewillt, sich ihrer Souveränität in Politikfeldern berauben zu lassen, in denen "Europa" erkennbar keine Zuständigkeit haben soll. Man darf gespannt sein, ob sich der EuGH von der Kommission als Ersatz-Gesetzgeber instrumentalisieren lässt. So gesehen haben die in Luxemburg anhängigen Verfahren weit über den Apothekensektor hinaus Bedeutung. In Frage steht nicht nur die rechtliche und politische Zukunft der anderen freien Berufe in Europa, sondern das Subsidiaritätsprinzip im Gesundheitswesen insgesamt: In welchem Umfang ist eine – demokratisch nur schwach legitimierte – EU-Kommission tatsächlich befugt, den einzelnen Mitgliedstaaten eine gesundheitsrechtliche (und gesundheitspolitische) Grundentscheidung aufzuzwingen? Die Frage drängt sich umso mehr auf, als eine europaweite Aufhebung der Fremdbesitzverbote in den einzelnen Mitgliedstaaten zu höchst unterschiedlichen Ergebnissen führen würde. Sie hätte z. B. in Mitgliedstaaten mit apothekenrechtlichem Konzessionssystem gänzlich andere Auswirkungen als in Ländern, in denen – wie z. B. in Deutschland – eine Niederlassungsfreiheit besteht (und aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen muss). Ist das die "Harmonisierung", die wir anstreben? Eine absurde Vorstellung.

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass es ausgerechnet das Saarland ist, an dessen Wesen Europa apothekenrechtlich genesen soll. Als nachgerade peinlich wurde nicht nur von den anderen Mitgliedstaaten der ungenierte Schulterschluss von EU-Kommission, "DocMorris-Celesen" und saarländischem Justiz- und Gesundheitsministerium empfunden. Auch der Vertreter der Bundesregierung bezeichnete den Alleingang des kleinen Bundeslandes als dubios. Undurchsichtig ist in diesem Zusammenhang weiterhin die Rolle des saarländischen CDU-Staatssekretärs Wolfgang Schild (vgl. bereits DAZ Nr. 39/2006, S. 4083). Ihm scheint der Fall des Fremdbesitzverbotes in Deutschland mehr denn je eine Herzensangelegenheit zu sein. In Luxemburg machte er sich höchstpersönlich über die öffentlichen Apotheken in Deutschland lustig (nicht ohne zu versäumen, auf die angeblich so gute Beratungsqualität von DocMorris hinzuweisen). Die Parole der Freunde des Fremdbesitzes: Getrennt marschieren, vereint schlagen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Man darf gespannt sein, ob der EuGH da mitspielt.


Christian Rotta

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