Praxis

Bedenken gegen pharmazeutische Bedenken

Unsicherheit bei der Umsetzung in die Praxis ist groß
Bericht von Doris Uhl
Unter dem Titel „Rabattverträge und pharmazeutische Bedenken – Chance und Herausforderung“ haben Landesapothekerverband und Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 3. September 2008 in Stuttgart eine Veranstaltungsreihe gestartet, um ihre Mitglieder über die Umsetzung des Vertragstextes in die Praxis zu informieren. In der Ankündigung war versprochen worden, anhand von praktischen Beispielen das Vorgehen in der Apotheke bei pharmazeutischen Bedenken zu erläutern. Entsprechend hoch war die Erwartungshaltung der Teilnehmer. Denn nach wie vor ist unklar, wie die Kassen im konkreten Fall die Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels aufgrund pharmazeutischer Bedenken bewerten werden, die Angst vor Retaxationen ist groß. Viele Apotheker sind unsicher, wie sie mit dem zur Stärkung des Heilberufs gedachten Instrument umgehen sollen.

Mit der Neufassung des zwischen den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenkassen und des Deutschen Apothekerverbandes geschlossenen Rahmenvertrags nach § 129 SGB V können Apotheker von der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel absehen, wenn pharmazeutische Bedenken bestehen. Mit dieser Möglichkeit sollen die heilberufliche Verantwortung und pharmazeutische Kompetenz des Apothekers gestärkt und die Kommunikation zwischen Arzt und Apotheker gefördert werden. Sie bedeutet aber auch, wie die Referenten der Veranstaltung in Stuttgart, Apotheker Dr. Wolfgang Strölin, Apotheke am Fischbrunnen, Esslingen, und Rechtsanwalt Frank Dambacher vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg, klar machten, wirtschaftliche Verantwortung. Beide legten großen Wert darauf zu betonen, dass von der Abgabe von Rabattarzneimitteln aufgrund von pharmazeutischen Bedenken nur im konkreten Einzelfall abgesehen werden dürfe. Werde das für Ausnahmefälle vorgesehene Instrument so großzügig eingesetzt, dass aus dem Ausnahmefall die Regel wird, werde die Regelung so schnell wieder weg sein wie sie da gewesen ist, prophezeite Dambacher.

Strölin versuchte, basierend auf Folien von Dr. Nina Griese, Dr. Ralf Goebel und Prof. Dr. Martin Schulz vom Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA, die Umsetzung der Pharmazeutischen Bedenken in der Praxis mit Leben zu füllen. Pharmazeutische Bedenken seien immer dann anzumelden, wenn durch Präparatetausch trotz zusätzlicher Beratung der Therapieerfolg und/oder die Arzneimittelsicherheit gefährdet sei. Das sei nur im individuellen Gespräch mit dem Patienten oder Pflegenden zu klären.

Wird ein Rabattarzneimittel aufgrund pharmazeutischer Bedenken nicht abgegeben, dann müssen auf das Rezept das Sonderkennzeichen 2567024 (gleiches Sonderkennzeichen wie bei Nichtlieferfähigkeit und Notdienstregelung) aufgedruckt und der Grund der Bedenken ausführlich erläutert werden. Dambacher und Strölin empfahlen, die Nichtabgabe und die Begründung gut zu dokumentieren, um im Falle einer späteren Retaxation gegenüber der Krankenkasse entsprechend argumentieren zu können. Strölin empfahl, auch das abgegebene Arzneimittel bzw. Rabattarzneimittel in der apothekereigenen Software nach Rücksprache mit dem Patienten zu dokumentieren, damit der Patient bei einer erneuten Verordnung das gleiche (Rabatt-) Arzneimittel wieder erhält.

Kommentar liefert Rahmen

Die von der Geschäftsstelle Arzneimittel der ABDA zur Verfügung gestellten Vortragsfolien orientieren sich streng an dem Kommentar des Deutschen Apothekerverbandes zum Rahmenvertrag. Danach können pharmazeutische Bedenken angezeigt sein unter anderem bei

  • problematischen Arzneistoffen,
  • problematischen Applikationsformen bzw. Applikationssystemen,
  • Non-Compliance,
  • problematischen (lebensbedrohlichen) Erkrankungen,
  • problematischen Patientengruppen,
  • problematischen Hilfs- und Zusatzstoffen.

ProblematischeArzneistoffe

Werden Arzneistoffe mit geringer therapeutischer Breite (z. B. Opioide/Opiate, Phenprocoumon, Ciclosporin) und hohem Nebenwirkungspotenzial verordnet, können pharmazeutische Bedenken angebracht sein. Auch wenn Opioide und Opiate zu den Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite zählen, seien Betäubungsmittel grundsätzlich zu substituieren, so Strölin. Voraussetzung dafür sind unter anderem Wirkstoff- und Dosisgleichheit. Doch auch die Dosierungsempfehlung müsse übereinstimmen. So dürften beispielsweise Capros® 60 mg Retardkapseln 100 Stück nicht gegen Morphin Hexal® 60 mg Retardkapseln 100 Stück getauscht werden, da für Capros® ein Dosierungsintervall von 24 Stunden und die Empfehlung der Gabe einer Retardkapsel pro Tag gilt, das Dosierungsintervall für Morphin Hexal dagegen zwölf Stunden beträgt und zwei Retardkapseln pro Tag empfohlen werden. Weiterhin verwies Strölin auf die besonderen Regelungen zu aut idem bei Fentanyl-Pflastern. Sie dürfen nur getauscht werden, wenn Freisetzungsraten in μg/h und Gesamtmenge an enthaltenem Wirkstoff identisch sind (s. Tabelle). Zu dem Problemfall Levothyroxin, bei dem wegen seiner geringen therapeutischen Breite von vielen Experten bei jedem Präparatewechsel eine TSH-Spiegel-Bestimmung dringend empfohlen wird, verwies Strölin auf die Entscheidung des G-BA. Danach können Levothyroxin-Präparate getauscht werden, weshalb entsprechende Rabattarzneimittel abgegeben werden müssten.

Problem Retardierung

Pharmazeutischer Sachverstand ist vor allem bei der Beurteilung unterschiedlicher Applikationsformen gefragt. Als Beispiel führte Strölin die unterschiedlichen Retardierungsprinzipien von Betablockern (Metoprolol retard – Freisetzung 1. Ordnung, Metoprolol retard ZOK – Freisetzung 0. Ordnung) an und verwies darauf, dass laut G-BA ein Austausch möglich ist. Allerdings gebe es mit Metoprololtartrat und Metoprololsuccinat zwei verschiedene Salze und nur Metoprololtartrat liegt in beiden Retardierungsformen vor. Metoprololsuccinat steht lediglich als ZOK-Form zur Verfügung. In der Praxis stellt das nach Strölin kein großes Problem dar, da meist ein Rabattarzneimittel mit gleicher Galenik zur Verfügung stehe. Zu beachten ist weiterhin, dass im Gegensatz zu Metoprololsuccinat alle Metoprololtartrat-Präparate nur bei Hypertonie und nicht bei Herzinsuffizienz zugelassen sind. Metoprololtartrat ist daher wegen des eingeschränkten Indikationsspektrums nicht zum Austausch von Metoprololsuccinat geeignet.

Problem Teilbarkeit

Sieht die Verordnung eine Teilung einer festen oralen Arzneiform vor der Einnahme vor, darf nicht gegen eine nicht teilbare ausgetauscht werden. Ein Austausch von Tabletten gegen Kapseln ist in diesem Fall ausgeschlossen. Teilbar ist eine Tablette immer dann, wenn sie über eine Bruchkerbe (die allerdings keine Schmuckkerbe sein darf) verfügt oder wenn in der Fachinformation entsprechende Hinweise zu finden sind. Soll die Arzneiform dagegen ungeteilt eingenommen werden, ist der Austausch einer verordneten teilbaren Arzneiform gegen eine nicht teilbare zwingend.

Problem Dispergierbarkeit

Sieht die Verordnung eine undispergierte Einnahme einer dispergierbaren Tablette vor, so muss gegen ein nicht dispergierbares Rabattarzneimittel getauscht werden. Ist allerdings aufgrund von Schluckbeschwerden die Dispersion vor der Einnahme erforderlich, dürfen nicht dispergierbare Rabattarzneimittel nicht abgegeben werden (z. B. Imodium lingual Tabletten gegen Loperhoe® Tabletten).

Problem Inhalationssysteme

Sprays und Pulverinhalatoren sollen nicht gegen ein rabattbegünstigtes Applikationssystem mit abweichender Inhalationstechnik vom Vorgängerpräparat getauscht werden, wenn dadurch eine Gefährdung des Patienten zu befürchten ist. In solchen Fällen empfiehlt Strölin die Rücksprache mit dem Facharzt.

Problem Insulin

Insuline können beispielsweise nur dann getauscht werden, wenn der vom Patienten verwendete Pen mit den abzugebenden Patronen kompatibel ist und der Hersteller eindeutig den Betrieb damit zulässt.

Problem Non-Compliance

Eine Compliance-Gefährdung durch Austausch von Präparaten sieht Strölin vor allem bei Patienten mit chronischen ZNS-Erkrankungen. So sei ein Präparatewechsel gerade Patienten mit Depressionen oft nicht zu vermitteln, die damit verbundenen Probleme seien in der Apotheke nicht lösbar, weshalb er in solchen Fällen zur Nichtabgabe rät. Eine weitere problematische Patientengruppe seien schwer einstellbare Epileptiker. Wegen des erhöhten Anfallsrisikos bei geringen Plasmaspiegelfluktuationen solle von der Abgabe eines Rabattarzneimittels abgesehen werden. Die ABDA-Geschäftsstelle Arzneimittel empfiehlt bei Bedenken die Rücksprache mit dem Arzt und eine Dokumentation der Entscheidung in der Arztpraxis und der Apotheke.

Problematische Patientengruppen

Zu den problematischen Patientengruppen zählen unter anderem Patienten mit Hör- und Sehstörungen, sensorisch-motorischen Einschränkungen und Patienten mit Schluckproblemen, die auf Sondennahrung angewiesen sind. Bei letzteren muss immer in der Apotheke geprüft werden, ob das Rabattarzneimittel sondengängig ist. So dürfen bei diesen Patienten laut Strölin Omep® 20 mg Kapseln magensaftresistent Hexal nicht gegen Omebeta® 20 Kapseln magensaftresistent getauscht werden, da bei Omebeta® keine Angaben zur Sondengängigkeit in der Fachinformation zu finden sind.

Ein seltenes Thema sind nach Ansicht Strölins Allergien in der Apotheke. Pharmazeutische Bedenken könnten beispielsweise dann angemeldet werden, wenn Patienten gegen Hilfsstoffe wie Benzylalkohol empfindlich seien. Bei Lactoseintoleranz hat Strölin Zweifel, ob die in Arzneimitteln enthaltenen geringen Mengen von Lactose überhaupt zu Beschwerden führen. Das könnten auch die Krankenkassen so sehen.

Zu den problematischen Patientengruppen zählen auch alle multimorbiden Patienten über 65 Jahren, die mit fünf oder mehr Arzneimitteln behandelt werden. Strölin warnte jedoch davor, bei all diesen Patienten von der Abgabe von Rabattarzneimitteln wegen pharmazeutischer Bedenken abzusehen. Auch hier gelte es sorgfältig abzuwägen und nur im konkreten, gut begründeten Einzelfall pharmazeutische Bedenken anzumelden.

Keine sicheren Formulierungen

In der Diskussion der Veranstaltung äußerte ein Teilnehmer seine Enttäuschung über die Ausführungen der Referenten und bat um ein bis zwei konkrete Beispiele mit Formulierungshilfen für die Begründung pharmazeutischer Bedenken. Hier konnten ihm die Referenten nicht weiterhelfen. Strölin verwies darauf, dass es sich immer um Einzelfallentscheidungen handeln würde. Oft seien die Probleme durch Kontaktaufnahme mit dem Arzt zu lösen. Die Frage einer Kollegin, was sei, wenn die Kasse in einem Jahr eine gut begründete Nichtabgabe eines Rabattarzneimittels retaxieren würde, beantwortete Dambacher mit einem Schulterzucken und Strölin mit dem Verweis auf ein Retaxationsrisiko, das der Apotheker als Freiberufler eingehen müsse. Dambacher machte deutlich, dass der Begriff pharmazeutische Bedenken ein unklarer Rechtsbegriff sei. Sichere Formulierungen für die Begründung pharmazeutischer Bedenken könne es nicht geben.

Freisetzungsrate und Gesamtgehalt von Fentanyl-haltigen transdermalen Systemen [aktualisierte Fassung DAZ 26/2008].

* entspricht nach Auskunft des BfArM nach Rundung 2,063 mg - gelb unterlegte Präparate sind nicht austauschbar
Präparat
Hersteller
12 µg/h
25 µg/h
50 µg/h
75 µg/h
100 µg/h
Fentanyl AbZ
AbZ-Pharma
2,063 mg
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl-Actavis
Actavis
-\\-
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl AWD® Matrix
AWD Pharma
2,0625 mg*
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl-CT
CT Arzneimittel
2,063 mg
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl Stada®
STADA
-\\-
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl Winthrop®
Winthrop
2,063 mg
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl-ratiopharm®
Ratiopharm
2,063 mg
4,125 mg
8,25 mg
12,375 mg
16,5 mg
Fentanyl-1 A Pharma
1A Pharma
2,89 mg
5,78 mg
11,56 mg
17,34 mg
23,12 mg
Fentanyl-Hexal® MAT
Hexal
2,89 mg
5,78 mg
11,56 mg
17,34 mg
23,12 mg
Fentanyl Sandoz®
Sandoz
2,89 mg
5,78 mg
11,56 mg
17,34 mg
23,12 mg
Fentanyl Esparma
Esparma
-\\-
4,8 mg
9,6 mg
14,4 mg
19,2 mg
Fentanyl Krewel®
Krewel Meuselbach
-\\-
4,8 mg
9,6 mg
14,4 mg
19,2 mg
Fentadolon®
Mibe
-\\-
4,8 mg
9,6 mg
14,4 mg
19,2 mg
Fentanyl Riemser
Riemser
-\\-
4,8 mg
9,6 mg
14,4 mg
19,2 mg
Fentanyl TAD® MAT
TAD
-\\-
4,8 mg
9,6 mg
14,4 mg
19,2 mg
Fentanyl-Hexal® TTS
Hexal
-\\-
2,5 mg
5 mg
7,5 mg
10 mg
Durogesic® SMAT
Janssen-Cilag
2,1 mg
4,2 mg
8,4 mg
12,6 mg
16,8 mg
Matrifen®
Nycomed
1,38 mg
2,75 mg
5,5 mg
8,25 mg
11 mg
Fentanyl Acino
Betapharm/Acino
6 mg
12 mg
18 mg
24 mg

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