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Neue Anforderungen an die Arzneimitteltherapie

BERLIN (ks). Die Lebenserwartung der Deutschen ist seit Beginn des 20. Jahrhunderts um rund 30 Jahre angestiegen. Das Alt-Werden ist mittlerweile sicher geworden – dazu hat die pharmazeutische Industrie zweifellos einen wesentlichen Beitrag geleistet. Mit dem Alt-Sein haben wir dagegen unsere Probleme: "Anti-Aging" ist allgegenwärtig, doch zugleich nehmen chronische und psychische Erkrankungen zu und die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Das stellt die Pharmaindustrie vor neue Herausforderungen. Wo diese liegen, zeigt eine im Auftrag des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller erstellte Studie von Professorin Adelheid Kuhlmey (Charité Berlin) und Professor Walter E. Müller (Goethe-Universität Frankfurt/M.) auf.

Es ist kein Geheimnis: Der Anteil der Älteren und Hochbetagten in unserer Gesellschaft steigt beständig, während immer weniger Junge nachkommen. Dieser demographische Wandel ist mit vielerlei Herausforderungen verbunden – denn umsonst ist der Gewinn an Lebensjahren nicht zu haben, betonte Kuhlmey bei der Vorstellung der Studie am 28. August in Berlin. Zwar wird die Frage, welche Folgen die Tatsache, dass wir immer älter werden für unseren Gesundheitszustand hat, unterschiedlich beantwortet: Anhänger der Medikalisierungsthese gehen davon aus, dass mit einer älter werdenden Bevölkerung auch die Gesamtmorbidität zunimmt. Nach der Kompressionsthese wird die Morbiditätsanfälligkeit schlicht in die letzten Lebensjahre verschoben. Beispiele gibt es für beide Theorien. Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass es mit zunehmendem Alter wahrscheinlicher wird, dass sich Erkrankungen manifestieren. Zudem steigt die Multimorbidität: In der Altersgruppe der 70- bis 85-Jährigen hat jede vierte Person bereits fünf oder mehr Erkrankungen. Kuhlmey betonte, dass die Vorstellung von einem gesunden Alter, das frei von jeglicher Krankheit und Funktionseinschränkung ist, ein theoretisches Konstrukt sei. Die Herausforderung für die Zukunft sei es nicht, einen Zustand X möglichst lange zu erhalten, vielmehr müssten die Potenziale der alt werdenden Menschen unterstützt werden. "Maßstab für Gesundheit im Alter ist der Erhalt von Lebensqualität", so Kuhlmey. Und hier könne die Pharmaindustrie ihren Beitrag leisten, indem sie sich um Innovationen bemüht, die chronische Erkrankungen in einem frühen Stadium beeinflussen und schwere Verläufe bremsen. Besonders zu berücksichtigen sei zudem die Verträglichkeit der Medikamente für ältere Patienten. Angesichts der zunehmenden Multimorbidität müssten auch Wechselwirkungen möglichst ausgeschaltet werden. Nicht zuletzt forderte Kuhlmey von der Industrie Innovationen, die den Erhalt der Autonomie fördern.

Die Forschung ist gefordert

Müller erläuterte für die Studie exemplarisch die Therapiemöglichkeiten einzelner Erkrankungen, die im höheren Lebensalter zunehmen: Bluthochdruck, Arthrose und Demenz. Bei der Behandlung des Bluthochdrucks sind mit den vorhandenen Arzneimitteln bereits gute Erfolge zu erzielen. Schlaganfälle und Herzinfarkte ließen sich in den vergangenen Jahren deutlich reduzieren – allerdings gibt es auch hier noch "Luft für Optimierung", betonte Müller. Das Problem sei hier neben der häufig schlicht fehlenden Diagnose die mangelnde Compliance der Patienten. Denn Bluthochdruck ist nicht zu spüren und so wissen viele Betroffene nichts von ihrem Risiko – oder wenn doch, fällt es ihnen oft nicht leicht, die medikamentöse Dauertherapie durchzuhalten. Müller sieht die ausgereifte Gen-Chip-geleitete Therapie, gegen neue Angriffspunkte gerichtete Medikamente sowie die Impfung gegen Bluthochdruck als Herausforderung für die Zukunft. Bei der Arthrose, die nicht zuletzt wegen ihrer hohen indirekten Folgekosten durch Arbeitsunfähigkeit und Frühinvalidität als besonders kostspielige Erkrankung gilt, ist es aus Müllers Sicht nötig, nicht nur besser verträgliche Analgetika zu entwickeln. "Spannende Ansätze" gebe es auch bei der Entwicklung von Medikamenten, die den Abbau des Gelenkknorpels verlangsamen bzw. aufhalten sollen. Sehr intensive Grundlagenforschung laufe zudem zur Regeneration von Knorpel – etwa mithilfe von Stammzellen. Was die Demenz betrifft, so gebe es in der Forschung ebenfalls verschiedene Ansätze. Viele Präparate, die auf krankheitsmodifizierenden Strategien beruhten, seien bereits im Stadium der klinischen Erprobung. Hier seien einige Erfolge zu verzeichnen – aber auch eine Reihe von Rückschlägen, so Müller. Ziel müsse es sein, den Eintritt der Demenz so weit wie möglich hinauszuzögern.

Keine Innovationen auf Kommando

Cornelia Yzer, VFA-Hauptgeschäftsführerin, sieht die pharmazeutische Industrie auf dem richtigen Weg: Moderne Medikamente hätten den Patienten bereits bei vielen Erkrankungen Leidensdruck genommen, Lebensqualität zurückgegeben und Lebensjahre geschenkt. Krankheiten, die früher das Todesurteil für einen Patienten waren, seien nun chronische Erkrankungen. Allerdings, so Yzer, habe die innovationsfeindliche Kostendämpfungspolitik der Bundesregierung mit ihren zum Teil widersprüchlichen Überregulierungen viel zu oft verhindert, dass moderne Medikamente noch häufiger eingesetzt werden. "Hier muss ein Umdenken zum Wohle der Betroffenen einsetzen", fordert die VFA-Chefin. Sie versicherte zugleich, dass die pharmazeutische Industrie mit Hochdruck an der Bekämpfung gerade der weit verbreiteten Krankheiten arbeite. Allerdings warnte sie vor der Vorstellung, die Industrie könne "Innovationen auf Kommando" liefern. Niemand könne eine Krankheit über Nacht besiegen, so Yzer.

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