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Werden wir immer noch älter?

Klaus Heilmann

Die Mehrzahl der Menschen bei uns stirbt heute an den gleichen Krankheiten, an denen die Menschen schon vor 50 Jahren gestorben sind. Und wenn der Medizin nicht unerwartet Bahnbrechendes gelingt, werden sie an ihnen auch in den nächsten Jahrzehnten sterben.

Herz-Kreislauf-Krankheiten bleiben die Todesursache Nummer eins. 43 Prozent der Verstorbenen (150.472 Männer und 208.211 Frauen) waren 2007 davon betroffen. Zweithäufigste Todesursache ist Krebs. Über ein Viertel aller Gestorbenen (113.405 Männer und 98.360 Frauen) erlag einem Krebsleiden. Alles wie gehabt, wenn auch im Herz-Kreislauf-Bereich ein eher rückläufiger Trend erkennbar ist.

Im Zusammenhang mit diesen jährlich vom Statistischen Bundesamt herausgegebenen Ergebnissen der Todesursachen wird uns nun ständig von den Medien und der Politik verkündet, dass unsere Lebenserwartung kontinuierlich steigt, wir also immer noch älter werden.

In Wirklichkeit werden wir aber nicht immer noch älter, sondern immer mehr Menschen erreichen heute ein hohes Alter. Krankenkassen begründen damit dann auch ihre Beitragserhöhungen, Ärzte die Notwendigkeit für zunehmende Leistungen, und die Offiziellen der Ärzteschaft schieben diese erfreuliche Entwicklung dem medizinischen Fortschritt zu und sind so kühn, der nächsten Generation eine Lebenserwartung von hundert Jahren vorauszusagen.

Aber wie ist die Lage wirklich? Fakt ist, dass die Lebenserwartung für einen Jungen, der heute zur Welt kommt 76,9 Jahre und für ein neugeborenes Mädchen 82,3 Jahre beträgt. Nach der letzten Berechnung des Statistischen Bundesamtes der Jahre 2004 bis 2006 waren es 76,6 Jahre für die Jungen und 82,1 Jahre für die Mädchen. Ein Unterschied von 0,3 beziehungsweise 0,2 Jahre. Da müsste sich also noch dramatisch etwas ändern, wenn die prognostizierte hundertjährige Lebenserwartung erreicht werden soll.

Und wie sah es in der Vergangenheit aus? Seit dem Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts ist die menschliche Lebenserwartung enorm angestiegen, jedoch nicht kontinuierlich. Sie lag 1900 für Männer bei 42 und für Frauen bei 46 Jahren. Der größte Zuwachs wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzielt, vor allem durch die Senkung der Säuglingssterblichkeit und die erfolgreiche Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Danach verlangsamte sich der Anstieg. Die menschliche Lebenserwartung lag 1975 bei etwa 67 Jahren für Männer beziehungsweise 75 Jahren für Frauen. Zwischen 1975 und 1985 gab es noch einmal einen Anstieg von etwa drei Jahren, und von 1985 bis 1997 sind für Frauen noch einmal zwei Jahre und für Männer 3,5 Jahre hinzugekommen. Um die Jahrtausendwende betrug die Lebenserwartung für den Mann etwa 73,6 und für die Frau 80 Jahre. Das bedeutet, dass die Lebenserwartung in den letzten 25 Jahren des 20. Jahrhunderts nur noch um etwa sechs Jahre zugenommen hat, im Vergleich zu etwa 25 Jahren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. An dieser Entwicklung hat sich auch im ersten Dezennium des 21. Jahrhunderts nichts wesentlich geändert.

Diese Entwicklung der Lebenserwartung ist nur zum Teil ein Verdienst der Medizin selbst, auch wenn dies von den Ärzten gerne so gesehen wird. Wenn man glaubt, die Hoffnung auf hundert Jahre Lebenserwartung mit zunehmendem medizinischen Fortschritt – zum Beispiel Erfolgen in der Transplantationsmedizin – begründen zu können, so sei daran erinnert, dass sich beispielsweise die Bypass-Operationen, die wir seit nunmehr 40 Jahren haben, wohl auf die individuelle Lebensqualität und -erwartung ausgewirkt, die allgemeine Lebenserwartung aber kaum beeinflusst haben.

Zu den wichtigsten unserer heutigen hohen Lebenserwartung zugrunde liegenden Faktoren zählen verbesserte Hygienemaßnahmen, eine genügende und gesündere Ernährung, Fortschritte im Gesundheitswesen, Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelnen wie im Ganzen, sowie ein gestiegener Bildungsstand und damit ein verbessertes Gesundheitsbewusstsein. Auf einen Nenner gebracht kann man sagen, dass günstige materielle Lebensbedingungen die Voraussetzung für gute Gesundheit und damit ein langes Leben sind.

Es ist anzunehmen, dass auch in Zukunft bei der allgemeinen Lebenserwartung dieselben Einflüsse wirksam werden wie bisher, doch besteht in den Industriestaaten der Eindruck, dass persönliches Verhalten in Bezug auf Ernährung, Genussmittel und Bewegung sogar noch wichtiger sein wird als Nahrungsbeschaffung und Gefahrenkontrolle.

Ehe wir also lange darauf warten, dass sich dies ändert, sollten wir uns einfach die Erkenntnis zu eigen machen, dass Gesundheit weitgehend in unserer eigenen Hand liegt und Prävention (auch in ökonomischer Hinsicht) die wichtigste Konsequenz für die Zukunft ist.


 

Klaus Heilmann


Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" greift Heilmann Themen aus Pharmazie, Medizin und Gesellschaft aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf.

 

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