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Apothekenzukunft im Strudel von Ökonomie und Politik

QUEDLINBURG (tmb). Viele ökonomische, politische und juristische Entwicklungen können zu großen Veränderungen für die deutschen Apotheken führen. Der Quedlinburger Kreis steht seit 14 Jahren für offene Diskussionen über solche Zukunftsszenarien – so auch bei seiner Tagung am 23. August in Quedlinburg. Ziel des Vereins ist, einen Beitrag zum Gesundheitswesen zu erbringen und die Interessen der Apotheker deutlich zu machen, betonte der Initiator und Gastgeber Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins.

Nach Einschätzung des Volkswirtschaftlers Prof. Dr. Günter Neubauer, München, stehen alle demokratischen Industriestaaten vor einem gesundheitsökonomischen Fundamentalproblem: Durch die demographische Entwicklung und den medizinischen Fortschritt wächst der Bedarf an Gesundheitsleistungen jährlich um zwei bis drei Prozent zuzüglich Inflation, die Finanzmittel nehmen dagegen deutlich weniger zu. In Deutschland wird dies durch die einkommensabhängige Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verschärft. Wegen der Mehrheitsverhältnisse werde immer wieder versucht, die Minderheit der Privatpatienten in das System einzubeziehen, doch dann ginge es nur allen gleichmäßig schlechter. Eine angemessene Definition von GKV-finanzierten Basisleistungen finde dagegen bei 20 Millionen Rentnern und vielen anderen potenziell Benachteiligten keine Mehrheiten. Daher könne die GKV nur langsam zu einer Basissicherung umgebaut werden.

Der künftige einheitliche Beitragssatz werde nicht den Wettbewerb stärken, sondern als politischer Kompromiss so festgelegt, dass nicht zu viele Versicherte einen höheren Beitragssatz zahlen müssen. Der Gesundheitsfonds werde durch den Verwaltungsaufwand hohe Kosten verursachen. Daher werde voraussichtlich bald vorgeschlagen, die Mittel direkt vom Fonds an Netze lokaler Leistungserbringer zu zahlen, zumal die Versorgung dort wohnortnah gut zu organisieren ist. Dies verstärke den Trend zur Konzentration, der sich auch aus Ausschreibungen und Hausarztverträgen ergibt. Dies werde schon heute am großen Wachstum der Krankenhausketten und an der Entwicklung medizinischer Versorgungszentren deutlich. So erwartet Neubauer auch für die Apotheken künftig eine verstärkte horizontale und vertikale Konzentration. Durch Filialen werde die Arbeit schon jetzt stark delegiert. Die Freiberuflichkeit in ihrer heutigen Form werde ihrem Ende entgegengehen. Es sei töricht, dies voranzutreiben, aber klug, sich darauf einzustellen.

Wenn Fremdbesitz zugelassen werde, könnten auch Krankenhausapotheken in die ambulante Versorgung einsteigen – insbesondere für die vielen Patienten medizinischer Versorgungszentren, die an Krankenhäuser angegliedert sind. Hier würden Umsatzverluste für die öffentlichen Apotheken drohen. Langfristig erwartet Neubauer einen dreigeteilten Gesundheitsmarkt mit einer Basisversorgung, vielfältigen versicherbaren freiwilligen Zusatzleistungen und privat bezahlten Leistungen. Als Vorbilder für Zusatzleistungen könnten die Angebote der Zahnärzte dienen.

Mehr Kooperation nötig

Auch der ehemalige ABDA-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Rainer Braun, Kronberg, sieht Krankenhausunternehmen als mögliche relevante Apothekenbetreiber in einem Kettenszenario. Doch könnten auch genossenschaftliche Großhändler Ketten organisieren und dabei nicht nur die Aktivitäten ihrer Mitglieder verknüpfen, sondern an aussichtsreichen Standorten wie in medizinischen Versorgungszentren auch neue Apotheken gründen und die Gewinne an die Mitglieder verteilen. Drogerie- und Großmärkte würden den Apothekenbetrieb dagegen eher als Frequenzbringer für ihre vorhandenen Standorte sehen. Wie in Großbritannien seien auch Familienketten mit jeweils etwa zehn bis zwanzig Apotheken denkbar.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Fremdbesitz müsse keineswegs eine "Schwarz-weiß-Entscheidung" werden. Daneben seien die nationalen Regeln zur Apothekenbetriebsordnung, zur Apothekenpflicht und zur Preisbildung mindestens ebenso wichtig für die Zukunft der Apotheken. Die Apothekenbetriebsordnung und die Apothekenpflicht seien als kommunizierende Röhren zu betrachten. Je strenger das eine gefasst sei, umso größer werde der politische Druck, das jeweils andere zu liberalisieren. Als Gegenstrategie zu weiteren Liberalisierungen sollten Apotheker pharmazeutische Dienstleistungen als Teil eines Komplettpakets anbieten. Außerdem sollten Apotheken auch zu einem Ort für Gesunde werden. Als Alternative zum Versandhandel biete sich ein zentral organisierter Botendienst an.

Bei einer Liberalisierung der Preisbildung könnte es wie in den USA zu Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Apotheken(-ketten) kommen. Dies würde im Vergleich zu Rabattverträgen, Festbeträgen und Kosten-Nutzen-Bewertungen sogar die Bürokratie vermindern und zu kassenspezifischen Positivlisten führen. Das sei eine große Gefahr für das feste "Apothekenhonorar". Daher könnten Individualapotheken langfristig nur bestehen, wenn sie die gleichen Rationalisierungseffekte wie Franchise-Verbünde ausnutzen – sogar in einem Szenario ohne Fremdbesitz. Daher sieht Braun noch zunehmenden Bedarf für größere unternehmerische Einheiten der Apotheken, beispielsweise als Franchise-Verbünde unter genossenschaftlicher Führung.

Europäischer Einfluss wächst

Prof. Dr. Hilko Meyer, Frankfurt/Main, stellte den europäischen Einfluss auf die Entwicklung der Apotheken dar und machte die Ambivalenz der europäischen Gesundheitspolitik deutlich. Einerseits solle die Europäische Union (EU) die Gesundheitssysteme nicht vereinheitlichen. Andererseits könne der Europäische Gerichtshof (EuGH) angerufen werden, wenn einzelne Bürger sich in ihren Grundfreiheiten beeinträchtigt sehen – und diese Einflussnahme auf die nationalen Regelungen werde von der nationalen Politik ausdrücklich gebilligt. Der EuGH antworte allerdings oft nicht direkt auf die vorgelegten Fragen, sondern schaffe neue Differenzierungen, was auch beim Fremdbesitzverbot möglich sei.

Zudem sei die europäische Politik selbst für Widersprüche verantwortlich. So beruht die nationale Arzneimittelzulassung auf einer klaren Vorgabe der EU und gerade dies sei das entscheidende Hindernis für den freien Warenverkehr mit Arzneimitteln. Der Parallelhandel löse dieses Problem nicht, sondern existiere überhaupt nur wegen dieses Problems. Auch europäische Ausschreibungen für solche Produkte seien widersinnig und das "Spiel über die Brüsseler Bande" könne für die Hersteller später negative Folgen haben, die noch nicht absehbar sind.

Künftig seien von der EU noch viele Einflüsse auf das Gesundheitswesen zu erwarten. Denn neben politischen Entscheidungen nach dem Prinzip des "Kuhhandels" und europäischen Gerichtsverfahren werde die "offene Methode der Koordinierung" als neue Form der Einflussnahme praktiziert. Dabei würden Vorschläge informell einberufener europäisch besetzter Gremien als Konzepte für nationale Gesetze verwendet. Im Arzneimittelbereich werde derzeit über die Vereinheitlichung der Kriterien für die Kosten-Nutzen-Bewertung, über patientenorientierte Vermarktungsmöglichkeiten und über die Preisbildung gesprochen. Seines Erachtens sei wie bei der Buchpreisbindung eine klare gesetzliche Regelung zu einheitlichen Apothekenabgabepreisen erforderlich.

Probleme der Preisbildung

Zur Preisbildung gab Graue zu bedenken, dass schon der heutige Aufschlag nicht kostendeckend sei. Doch wurde in der Diskussion angeführt, dass künftig weniger der Preis der Arzneimittel, sondern mehr das Honorar für pharmazeutische Dienstleistungen für die Apotheker relevant sein dürfte. Um die honorarpflichtige pharmazeutische Betreuung zu etablieren, müsse sie aber den Nachweis erbringen, letztlich Kosten für die Krankenkassen zu sparen, meinte Braun.

Wettbewerb oder Staatsauftrag?

In der Diskussion verteidigte Neubauer vehement die wettbewerbliche Ausrichtung des Gesundheitswesens und der Gesellschaft insgesamt. Wettbewerb sei aus der Sicht von Ökonomen per se gut, weil er Wahlfreiheit bedeute. Langfristig führe er zu besseren Lösungen als wohlmeinende Entscheidungen ohne Wettbewerb. Auch wenn nur ein kleiner Teil der Patienten souverän handeln könne, beeinflusse dies den Markt zum Vorteil aller. Außerdem seien in einer globalisierten Welt und in einer EU als freiheitsorientiertem Zukunftsraum ohnehin nur wettbewerbliche Lösungen umsetzbar. Nach Einschätzung von ABDA-Justitiar Lutz Tisch geht es dagegen um das politische Paradigma, ob der Apotheker als Freiberufler eine staatliche Aufgabe erfüllen soll, die zwangsläufig mit Auflagen außerhalb der ökonomischen Logik verbunden ist. Meyer hält darüber hinaus auch beim Wettbewerb Regulierungen für nötig, um dessen Funktion zu sichern. Graue forderte als Fazit, bei der Politik für das positive Anliegen der Apotheker im Interesse der Patienten zu werben.

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