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Zukunftsszenarien unter der Lupe

In Kürze wird der Europäische Gerichtshof sein Votum zu Fremd- und Mehrbesitz im Apothekenwesen in Deutschland bekannt geben. Die mündliche Verhandlung ist für den Herbst geplant, mit einem Urteil wird spätestens Anfang 2009 gerechnet. Prof. Dr. Ralf Ziegenbein zeigt in diesem Kontext mit seiner Studie "Apothekenmarkt 2015" mögliche Szenarien für die Apotheken auf.

In Deutschland wird die Arzneimittelversorgung von zahlreichen Größen beeinflusst. Dazu zählen beispielsweise pharmazeutische und medizinische Aspekte, etwa neue Arzneimittel, neue Therapieformen oder Änderungen im Generikamarkt durch den Wegfall des Patentschutzes bei älteren Präparaten. Als wirtschaftliche Größen kommen die zahlreichen Reform- bzw. Sparpakete hinzu, die bereits in den letzten Jahren zu starken Belastungen geführt haben. Nicht zu vergessen sind demographische bzw. gesellschaftliche Aspekte wie die Altersstruktur der Gesellschaft. Speziell die Gesetzgebung – Stichwort EuGH – kann in den nächsten Monaten aber möglicherweise zu den größten Umwälzungen führen.

Die Szenarien

Gemeinsam mit Branchenexperten hatte Ziegenbein, der den Studiengang MBA Pharma Management an der International School of Management (ISM) in Dortmund leitet, verschiedene Optionen betrachtet. Im einfachsten Fall ändert sich nichts, Fachleute sprechen von einem Nullszenario. Die Reformgesetzgebung wird zwar die ökonomische Lage der Apotheken weiter beeinflussen, hingegen bleiben die gesetzlichen Rahmenbedingungen unangetastet.

Sollte das Mehrbesitzverbot fallen, dürfen Apotheker mehr als drei Filialen besitzen.

Beim Wegfall des Fremdbesitzverbots hingegen hätten Kapitalgesellschaften bzw. Einzelpersonen aus allen Branchen die Möglichkeit, Apotheken zu erwerben, zu eröffnen und zu betreiben.

Auch die Aufhebung der Apothekenpflicht wurde in den Gedankenexperimenten in Erwägung gezogen: OTC-Präparate könnten dann nach dem Vorbild anderer Länder in anderen Branchen des Einzelhandels erworben werden. Was würde jedoch passieren, wenn das strenge, aber bewährte Korsett der Apothekenbetriebsordnung gelockert würde? Eine Reform der baulichen Voraussetzungen bzw. der Notdienstregelung hält Ziegenbein ebenfalls für denkbar.

Die Ergebnisse

Ziegenbein erwartet von einer Freigabe des Verkaufs von OTC-Arzneimitteln keine einschneidenden Veränderungen des Marktes. Hingegen prognostiziert der Wissenschaftler bei einer Aufhebung des Fremdbesitzverbots langfristig den Rückgang der Zahl der inhabergeführten Apotheken sowie Umsatzeinbußen von etwa zehn Prozent. "Bei einer solchen Entwicklung haben selbstständige Apotheker das Nachsehen, da deren Unternehmen die erforderliche Größe fehlt und es ihnen schwer fällt, neue Geschäftsfelder zu eröffnen", so Ziegenbein. Dementsprechend werden Ketten an Land gewinnen.

Sollte die beschriebene Entwicklung Wirklichkeit werden, haben die Chefin oder der Chef relativ wenig Spielraum: "Den Pharmazeuten stehen in diesem Szenario letztlich zwei Wege offen. Sie können ihre Apotheke an eine professionelle Kette verkaufen oder sich durch Kooperationen – z. B. mit anderen Apotheken, aber auch mit der Industrie, dem Großhandel und Ärzten – geschickt positionieren."

Blitzumfrage

ADEXA hat in einer Blitzumfrage alle Aktiven nach ihrer Meinung zu den Szenarien von Ralf Ziegenbein gebeten. Der überwiegende Teil der Befragten sieht das Fremd- und Mehrbesitzverbot fallen, aber nicht die Apothekenpflicht für OTC-Präparate. "Hoffentlich wird es dann für jedes Land Möglichkeiten geben, viele Dinge selbst zu gestalten", so ein Mitglied aus Frankfurt. Auch eine Änderung der Apothekenbetriebsordnung halten viele der Befragten für eher unwahrscheinlich.

Handlungsempfehlungen für Apothekenleiter

Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen Apothekenleiter heute schon handeln. Die Untersuchung legt nahe, dass es falsch wäre, zu warten, bis man aufgrund von äußeren Zwängen zu einer Reaktion genötigt würde. Ziegenbein: "Hierzu ist ein Wandel in den Köpfen vieler Apotheker erforderlich, welche sich oft noch nicht stark genug als Kaufmann verstehen." Dabei ergänzen kaufmännische Kompetenzen die heilberuflichen – sie sollen diese aber nie ersetzen.

Grundsätzlich ist eine strategische Positionierung jeder einzelnen Apotheke nötig. Diese wird durch die Zielgruppen, also die Kundschaft, durch die Preisgestaltung, die Lage und durch die Abgrenzung gegenüber anderen Apotheken bestimmt. Eine Center-Apotheke mit Laufkundschaft, preisgünstigen OTC-Präparaten, breitem Sortiment und hohem Umsatz kann beispielsweise andere Schwerpunkte setzen als eine auf Homöopathie spezialisierte kleine Apotheke, zu der viele Stammkunden quer durch die Stadt fahren, um vom Spezialwissen zu profitieren.

Ergänzt wird diese Positionierung durch das Eingehen von Kooperationen welcher Art auch immer. Auch das Erscheinungsbild gegenüber den Kunden, die Corporate Identity, muss an Bedeutung gewinnen – mit einem roten Apotheken-A wird es in Zukunft nicht mehr getan sein. Hinzu kommen in den nächsten Jahren neue Vertriebsformen, die die bestehenden ergänzen, aber nicht ersetzen werden.

 

Quelle

Prof. Dr. Ralf Ziegenbein, International School of Management: "Apothekenmarkt 2015 – Szenarien für die Offizin der Zukunft", auf Anfrage kostenfrei erhältlich bei: mbapm@ism-dortmund.de

 


Michael van den Heuvel
 

 

KOMMENTAR

Das Wesentliche nicht aus dem Auge verlieren

Alle Fachleute erwarten, dass in den nächsten Jahren die Dynamik des Marktes weiter zunehmen wird. Ob die Kettenapotheken kommen werden oder nicht, werden die nächsten Monate zeigen. Ob sie aber die Nase vorn haben werden, hängt neben den gesetzlichen Rahmenbedingungen auch davon ab, inwieweit die Individualapotheken ihren MitarbeiterInnen attraktive Angebote machen. Bei allen marktwirtschaftlichen Faktoren darf man nämlich nicht vergessen, dass gut geschulte und motivierte Angestellte das wichtigste Kapital jeder Apotheke sind!

 

Barbara Neusetzer
ADEXA – Die Apothekengewerkschaft
Erste Vorsitzende

 

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