Medizin

Was ist eigentlich ... eine perniziöse Anämie?

Müde und unkonzentriert, blasse, teils leicht gelbliche Haut, Kreislaufprobleme wie Herzrasen und Kollapsneigung: das alles kann die Folge eines Vitamin-B12 -Mangels sein. Vitamin B12 (Cobalamin) ist für die Bildung der Erythrozyten unentbehrlich. Fehlt es, so führt das zu erniedrigten Hämoglobin-Werten und damit zu einer Anämie, der sogenannten perniziösen Anämie. Sie wird auch als Morbus Biermer oder Addison-Anämie bezeichnet.

Vitamin B12 wird nur in geringen Mengen vom menschlichen Körper benötigt (3 µg/Tag; Schwangere und Stillende 3,5 – 4 µg/Tag). Der Bedarf muss über die Nahrung gedeckt werden. Im Körper erfüllt das Vitamin wichtige Funktionen. So sorgt es unter anderem für die Bildung der DNS, der Erythrozyten sowie des Nervenscheidengewebes. Kommt es zu einem Mangel an Vitamin B12 , nimmt die Anzahl der Erythrozyten ab. Zusätzlich werden die dennoch gebildeten Erythrozyten größer als normal und weisen zusätzlich einen höheren Gehalt an Hämoglobin auf. Ursache ist eine Zellteilungsstörung der unreifen Vorläuferzellen der Erythrozyten im Knochenmark. Unter dem Mikroskop können sogenannte sehr große Vorläuferzellen (Megaloblasten) und sehr große Erythrozyten (Megalozyten) beobachtet werden.

 

Veganer und Vegetarier sind gefährdet

Bei einer ausgewogenen Ernährung kommt es zu keinem Vitamin-B12 -Mangel. Anders sieht es aus, wenn man Vegetarier oder Veganer ist. Denn das Vitamin B12 kommt vor allem in tierischen Produkten wie Fleisch, Innereien (Leber, Nieren, Herz), Fisch, Milch und Eiern vor. Pflanzen enthalten, mit wenigen Ausnahmen, so gut wie kein Vitamin B12 • Daher können sich bei rein pflanzlicher Ernährung entsprechende Mangelerkrankungen entwickeln.

 

Keine Resorption ohneIntrinsic-Faktor

Damit das in der Nahrung vorhandene Vitamin B12 überhaupt vom Körper resorbiert werden kann, ist ein spezielles Eiweißmolekül (Intrinsic-Faktor) nötig. Dieser Intrinsic-Faktor wird von der Magenschleimhaut produziert, er bindet das Vitamin im Darm und schützt es vor dem Abbau. Fehlt dieser Intrinsic-Faktor, kommt es im Körper zu einem Vitamin-B12 -Mangel. Typischerweise tritt der Mangel nach Magenoperationen mit Magen(teil-)entfernungen oder Entfernung des Ileums auf. Häufig ist Vitamin-B12 -Mangel auch bei Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa. Aber auch entzündliche Magenkrankheiten wie die chronische Gastritis, als Folge einer Autoimmunkrankheit (A-Gastritis) oder bei Parasitenbefall (Fischbandwurm) des Darms kommt es zu einem Cobalamin-Mangel. Der Cobalamin-Verbrauch ist durch Parasiten deutlich erhöht.

 

Im menschlichen Körper sind bis zu 4 mg Vitamin B12 gespeichert. Hauptspeicher sind die Leber und die Muskeln. Volle Vitamin-B12 -Speicher gewähren eine ausreichende Versorgung bis zu fünf Jahren. Bei einer mangelhaften Aufnahme wird also zunächst auf diese Reserven zurückgegriffen. Ein Mangel macht sich somit erst nach einigen Monaten oder Jahren bemerkbar.

 

Weniger bekannt ist ein Vitamin-B12 -Mangel, der durch Veränderungen der Dickdarmflora und der Digestion beziehungsweise der Assimilation der Nahrung zustande kommt. Dies kann nach länger dauernder Antibiotikatherapie, nach oder bei Gallenoperationen, Leber- oder Pankreaserkrankungen auftreten.

 

Symptome derperniziösen Anämie

Typische Symptome der Erkrankung sind Blässe, Kollapsneigung, Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Leistungsminderung und eine Tachykardie. Haut und Augen können durch die Hämolyse leicht ikterisch erscheinen. Die Symptome sind aufgrund der langsamen Entwicklung im Vergleich zum sehr niedrigen Hämoglobinwert nicht sehr ausgeprägt. Der Körper hat sich an den Hämoglobinmangel bereits angepasst. Hämoglobinwerte von unter 6 g/dl (Norm: > 12 g/dl) sind ohne Kollapsneigung und Atemnot zu finden.

 

Brennende Zunge

Ein weiteres Symptom, die Hunter-Glossitis, zeichnet sich durch eine entzündete Mundschleimhaut und eine entzündete, brennende Zunge mit starker Rötung aus. Magen- und Verdauungsbeschwerden sowie Appetitlosigkeit können ebenso beobachtet werden. Im weiteren Verlauf manifestieren sich psychische Auffälligkeiten und neurologische Symptome: Schwierigkeiten beim Gehen, Koordinationsstörungen, Missempfindungen oder Taubheitsgefühl der Haut. Schließlich können auch psychische Symptome wie beispielsweise Depressionen in Erscheinung treten. Bei einigen Patienten sind die psychischen und neurologischen Symptome die ersten Erscheinungen eines Vitamin-B12 -Mangels.

 

Besonders problematisch ist ein Vitamin-B12 -Mangel bei Kindern. Dieser kann besonders dann eintreten, wenn die Reserven der Mutter aufgebraucht sind. Dies kann vorkommen, wenn in der Embryonalzeit und beim Stillen kaum mehr Vitamin B12 geliefert wird und dem Kind aus weltanschaulichen Gründen zudem jede Zufuhr von tierischen Produkten versagt wird (Veganer). Diese Kinder sind häufig verhaltensgestört und entwicklungsretardiert. Bleibende Schäden sind nicht auszuschließen.

 

Blutuntersuchung sichert Diagnose

Neben den offensichtlichen Krankheitszeichen wird die Diagnose durch Blutuntersuchungen gesichert. Das Blutbild zeigt eine megaloblastische und hyperchrome Anämie. Dies heißt, es gibt wenige, aber dafür große Erythrozyten, die mit viel Hämoglobin beladen sind. Je nach Ausprägung der Erkrankung können neben der Erythropoese auch die Thrombo- und Leukopoese gestört sein. Mögliche Ausprägungen sind eine Thrombo- und Leukopenie.

 

Eventuell vorhandene Resorptionsstörungen des Darmes werden mit dem sogenannten Schilling-Test nachgewiesen. Um die Ursache der Erkrankung zu finden, kann auch eine Gastroskopie mit Biopsie der Magenschleimhaut zum Nachweis einer Gastritis vorgenommen werden. Bei der Gastroskopie lässt sich eine atrophische chronische Gastritis vom Typ A darstellen. Bei Verdacht auf eine Schädigung des terminalen Ileums ist eine Koloskopie indiziert. Eine Stuhlprobe wird auf Mikroorganismen (Anlage von Kulturen) und auf Wurmeier untersucht.

 

Eine weitere diagnostische Möglichkeit zur Sicherung einer perniziösen Anämie ist die Bestimmung von Autoantikörpern. Bei der perniziösen Anämie sind bei etwa 90 Prozent der Betroffenen Autoantikörper gegen Parietalzellen und bei über 50 Prozent der Betroffenen Intrinsic-Faktor-Autoantikörper nachzuweisen.

 

Schilling-Test

 

Schilling ist ein US-amerikanischer Hämatologe, der diesen Test in den 1950er Jahren einführte. Der Test diente ursprünglich zur Abklärung eines Vitamin-B12 -Mangels, wird aber auch zur Überprüfung der Aufnahmefähigkeit des Dünndarms eingesetzt. Er existiert zwischenzeitlich in vielen verschiedenen Varianten, das Prinzip ist immer gleich.

In einem ersten Versuch gibt man dem Patienten nur Vitamin B12 und überprüft, welche Menge er davon aufnimmt. In einem zweiten Versuch gibt man dem Patienten Vitamin B12 und zusätzlich den Intrinsic-Faktor. Wieder wird die Menge des aufgenommenen Vitamin B12 gemessen.

Interpretation 

 

• Hat der Patient Vitamin B12 schon im ersten Versuch aufgenommen, dann ist die Funktion des Magens (also die Bereitstellung von Intrinsic-Faktor) und die Aufnahme von Vitamin B12 im Dünndarm in Ordnung. Der zweite Versuch ist überflüssig.

 

• Konnte der Patient beim ersten Versuch kaum Vitamin B12 aufnehmen, beim zweiten aber schon, dann fehlte offenbar der Intrinsic-Faktor. Das Problem ist also am Magen zu suchen.

 

• Wurde auch beim zweiten Versuch kaum Vitamin B12 aufgenommen, hat also der zusätzlich verabreichte Intrinsic-Faktor auch nichts genützt, könnte die Ursache des Vitamin B12 -Mangels im Dünndarm liegen.

 

Quelle: www.med4you.at

Intrinsic-Faktor-Mangel: lebenslang behandeln

Ist der Vitamin-B12 -Mangel Folge einer falschen Ernährung, dann ist die Nahrung umzustellen. Kann die Ursache nicht behoben werden, muss das Vitamin B12 substituiert werden. Da oral zugeführtes Vitamin B12 bei einem Mangel an Intrinsic-Faktor nicht aufgenommen werden kann, muss es injiziert werden. Die Behandlung erfolgt lebenslang.

 

Literatur: 
Beutel G. et al.: Anämie auf einen Blick. Thieme Verlag, Stuttgart 2003
Wick M. et al.: Eisenstoffwechsel. Diagnostik und Therapien der Anämien. Springer Verlag, Wien 2002
Baenkler W. et al.: Innere Medizin. Thieme Verlag, Stuttgart 2001

 

 


 

Dr. med. Ingo Blank, Gärtringen

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