Feuilleton

Viertausend Jahre Gastgewerbe

Die facettenreiche Geschichte des Gastgewerbes – von Gilgameschs "Stammkneipe" bis zum Coffee Shop unserer Zeit – dokumentiert das Stadtmuseum Erfurt in einer Sonderausstellung mit über 350 Exponaten. Die Ausstellung "Zu Gast – 4000 Jahre Gastgewerbe" läuft dort bis zum 5. Oktober und ist später in Museen in Solingen und Hannover zu sehen.

"Du, Gilgamesch, fülle deinen Magen, erquicke dich. Mache täglich ein Freudenfest, tanze und spiele bei Tag und Nacht. Nur das ist die Bestimmung des Menschen", versuchte die Schankwirtin Siduri den Helden Gilgamesch zu trösten. Dieser war teils göttlicher, teils menschlicher Abstammung und wusste, dass sein Leben endlich ist. So war er empfänglich für Siduris einfühlsamen Zuspruch, der freilich nicht ohne Eigennutz war; schließlich verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Speis’ und Trank.

Das Gilgamesch-Epos belegt somit, dass bereits um 2100 v. Chr. Wirte in Mesopotamien auf die Befindlichkeiten ihrer Gäste eingingen und diese zum Verzehr animierten. Davon profitierten beide: Die Stimmung der Bewirteten verbesserte sich, und die Gastgeber steigerten den Umsatz.

Auch gesetzliche Spielregeln für Gastronomen und Gäste sind keine Erfindungen neuerer Zeit: Um 1700 v. Chr. erließ der babylonische König Hammurapi das älteste bekannte Gastgewerbegesetz der Welt. Wirten, die ihre Gäste betrogen oder gar in ihrem Haus Verschwörer duldeten, wurden drastische Strafen angedroht.

In Susa, einst Hauptstadt des Reiches Elam, legten Archäologen erst vor wenigen Jahren die älteste Bierkneipe der Welt frei. Diese hatte offenbar mehrere Schankräume und eine separate Gästetoilette. Auch wurden Reste von in den Boden eingelassenen Biervorratsgefäßen geborgen. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gab es in Mesopotamien einst rund siebzig Biersorten. Einige davon zeichneten sich durch den Zusatz von Kräutern durch besonders lange Haltbarkeit aus, sodass sie ohne Qualitätsverlust über tausend Kilometer weit transportiert werden konnten.

Antike Kochbücher sagen sogar etwas über die Speisekarten in gastronomischen Betrieben des Alten Orients aus. Demnach standen in Garküchen und Bierschänken, aber auch in Bordellkneipen und anderen Etablissements des Gastgewerbes um 1600 v. Chr. warme Speisen wie Fleischeintopf nach assyrischer Art oder die aus vegetarischen Zutaten zubereitete "elamische Brühe" hoch im Kurs. Nicht einmal die "Sterneköche" im herrschaftlichen Palast dünkten sich zu erhaben, diese offenbar sehr schmackhaften Gerichte zuzubereiten.

Dionysos prellte die Zeche

Im Alten Ägypten gab es bis in das vierte vorchristliche Jahrhundert hinein keine Geldwährung. Dies ist wohl eine Erklärung, warum sich dort keine gewerbliche Gastronomie entwickeln konnte. Arbeitsleistungen wurden mit Bier entlohnt, das man als wichtigstes Alltagsgetränk und Grundnahrungsmittel in staatlichen Brauereien sowie in Haushalten herstellte. Gastlichkeit – insbesondere zu Ehren Verstorbener – fand ausschließlich im privaten Rahmen statt. Um den Gastgeber nicht zu überfordern, brachten die Gäste Getränke oder Speisen mit.

Wohl aber kannte man im Reich der Pharaonen schon das "Catering": Der Staat organisierte die Beköstigung der Arbeiter beim Pyramidenbau, damit sie bei Kräften blieben. Die Reste einer Halle in Gizeh deuten darauf hin, dass hier um 2445 v. Chr. die älteste Betriebskantine der Welt gestanden hat. In zwei angegliederten Bäckereien konnten gleichzeitig bis zu 600 Kilogramm Brot für die Gemeinschaftsverpflegung gebacken werden.

Von Aristophanes erfahren wir einiges über die Berufsrisiken der gewerbsmäßigen Gastgeber in Griechenland, denn immer wieder versuchten Gäste sie zu übervorteilen: "Da ist er, der verfluchte Schuft, der neulich in unserer Schänke eingekehrt und 16 Laib Brot uns aufgefressen. Und als ich die Zeche machte, sah er barsch mich an und brüllte wie ein Stier. Dann riss er aus und nahm das Tischtuch mit", ereifert sich in Aristophanes’ 400 v. Chr. verfasster Komödie "Die Fische" eine Wirtin über Dionysos.

Aber auch die Wirte genossen nicht den besten Ruf. Eine Ausnahme machte Kadmos, Bruder der Europa, der (in einer Variante des Mythos) Koch des Königs von Sidon in Phönizien war.

Bruder Gastungsmeister wird Gastwirt

Seit den Anfängen der Gastronomie vor vier Jahrtausenden hält sich hartnäckig das Gerücht, Wirte und Gäste würden gleichermaßen betrügen. Der Betrug wurde bei Wirten streng bestraft; in Babylon erwartete unehrliche Gastronomen sogar die Todesstrafe. Zechprellerei wird hingegen seit genau so langer Zeit nur milde geahndet. Deshalb kam es nicht selten vor, dass ein Wirt auf seinem "Kerbholz" sitzen blieb. Im deutschen Strafrecht fehlt bis heute – anders als in der Schweiz – der Tatbestand der Zechprellerei. Allenfalls Hoteliers wird per legem ein Pfandrecht zugebilligt. Aber egal, wie hoch die Schuld eines Gastes auch sein mag: Sein Ehering oder seine Luxuslimousine bleiben zum Pfänden tabu.

In der Metropole des Imperium Romanum prosperierten einst Hunderte Gastwirtschaften und Herbergen. Weil es in den Mietskasernen für ärmere Schichten keine Kochgelegenheiten gab, nahmen die Bewohner ihre Mahlzeiten in einer "ganea", einer "popina" oder einer "taberna" ein. Vornehme Römer blickten freilich verächtlich auf diese "loca inhonesta" und deren Inhaber hinab. Allein Helena, der Mutter Kaiser Konstantins des Großen, sah man ihre Vergangenheit als Wirtin nach. Sie wurde hoch verehrt und später sogar heilig gesprochen.

Für begüterte Genießer gab es in Rom "popinae divites" oder "popinae ambitiosae". Dort konnten sie auf bequemen Liegen lagern und sich auf edlem Geschirr Delikatessen servieren lassen. Dem Senat waren diese noblen Etablissements ein Dorn im Auge. Doch Verbote wurden immer wieder mit List und Tücke umgangen. Das in den Tavernen übliche Glücksspiel war ebenfalls illegal. Aber wer erwischt wurde, durfte mit einer moderaten Strafe rechnen.

Nachdem bereits im vierten nachchristlichen Jahrhundert im Mittelmeerraum die ersten Hospize entstanden waren, formulierte Benedikt von Nursia – von dem neuerdings bezweifelt wird, dass er überhaupt gelebt hat – im Jahr 530 die Gebote der christlichen Barmherzigkeit schwarz auf Weiß. Laut Benediktinerregel war jeder Reisende, Arme oder Kranke im Kloster kostenlos zu beherbergen und zu beköstigen. Infolge zunehmender Mobilität ab dem 11. Jahrhundert wurden die Vorratskammern und Budgets der Ordensleute jedoch schließlich überfordert. Anstelle der Gastfreundschaft für einen Gotteslohn mussten die Gäste nun auch in den Klöstern Kost und Logis mit klingender Münze bezahlen; aus dem Bruder Gastungsmeister wurde ein kommerzieller Wirt.

Der Gast stößt mit dem Wirt an

Um sich zusätzliche Einnahmequellen zu erschließen, begannen die Ordensleute, noch mehr Bier zu brauen und Wein zu keltern – freilich zum Missfallen weltlicher Gastronomen, die sich seit der Spätantike längs der Überlandstraßen angesiedelt hatten und nun um ihren Fortbestand bangten. Doch nicht allein die Konkurrenz des Klerus, sondern auch die Veränderung der "antiken Geraden" zu neuen, an territorialen Machtstrukturen orientierten Verkehrswegen wurde ihnen im Mittelalter zum Verhängnis.

Das Reisen durch die Lande und selbst die Einkehr in Gasthöfe waren einst nicht ohne Gefahr. "Traue nur denen, mit denen du zum Biere gesessen und angestoßen hast", heißt es in einem altdeutschen Sprichwort. Um sicher zu sein, dass das angebotene Getränk nicht vergiftet war, wurden die Gefäße vor dem Trinken heftig angestoßen. Dabei schwappte Bier oder Wein in das Glas des Ausschenkenden und umgekehrt. Weigerte sich der Gastgeber daraufhin zu trinken, machte er sich verdächtig, dem Gast nach dem Leben zu trachten.

Gesetze sollten Reisende vor Gefahren schützen

Ab Mitte des 11. Jahrhunderts – ausgehend von der französischen Kampagne "Pax Dei" – wurden zusehends Landfriedensgesetze erlassen, welche Reisende besser vor Gefahren schützen sollten. Unter anderem wurde darin die Errichtung von Gasthöfen an den Überlandstraßen geregelt. Vorbildlich handelte diesbezüglich Königin Margarete I. von Dänemark: In ihrem Reich ließ sie ab 1396 an den Straßen alle vier Meilen einen Krug einrichten, damit niemand mehr schutzlos im Freien übernachten musste.


Stadtmuseum Haus zum Stockfisch, Johannesstraße 169, 99111 Erfurt Tel. (03 61) 6 55 56 51, Fax 6 55 56 59, www.stadtmuseum-erfurt.de Geöffnet: dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr

Katalog: 255 S., zahlr. Abb., 24,90 Euro, ISBN 3-930315-31-9

Vom 31. Oktober 2008 bis zum 13. April 2009 wird die Sonderausstellung im Deutschen Klingenmuseum in Solingen, vom 13. Mai bis zum 30. August 2009 im Museum August Kestner in Hannover gezeigt.

Die Stammkneipe hat bis heute überlebt

Gegen Ende des Mittelalters waren in fast allen europäischen Städten Rechte und Pflichten des Gastgewerbes durch Verordnungen geregelt. Man unterschied zwischen Herrenwirten, Mittelwirten und Kochwirten. Wer eine Konzession erwerben wollte, musste zuvor einen Eid ablegen. Überdies gab es Trinkstuben sowie saisonal betriebene Tisch-, Winkel- und Heckenwirtschaften. Der Komfort war aber von heutigen Qualitätskriterien meistens weit entfernt: Noch bis Ende des 18. Jahrhunderts mussten vielerorts die Gäste Trinkhumpen, Essschüsseln und die Herbergsbetten miteinander teilen.

1647 war mit der Eröffnung des ersten westeuropäischen Kaffeehauses in Venedig ein neuer Typ der Gastronomie entstanden. Im Kaffeehaus standen nicht mehr einfache Kost und Logis, sondern allein der gediegene Genuss und die feine Lebensart im Mittelpunkt. Später gesellte sich zu ihm das Teehaus. Nach der Französischen Revolution eröffneten ehemalige Köche des Hochadels Restaurants, in denen nun Bürger fürstlichen Genüssen frönen konnten. Seitdem hat sich die Gastronomie weiter differenziert: vom Bistro und dem Schnellrestaurant über die Sushi-Bar bis zum gediegenen Gourmet-Tempel. Die Stammkneipe mit der Seelentrösterin hinter der Theke ist aber heute noch so populär wie schon zu Zeiten des Helden Gilgamesch.


Reinhard Wylegalla

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