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"Hauptproblem sind die Bestell- und Abholstellen"

(bra). Über die Ausfransungen des Versandhandels mit Arzneimitteln und über die Möglichkeiten, darauf angemessen zu reagieren, sprachen wir im DAZ-Sommerinterview mit dem gesundheitspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Daniel Bahr.
Die Auswüchse unterbinden FDP-MDB Daniel Bahr hält es für schwierig, den Versandhandel wieder rückgängig zu machen. Wichtiger ist es aus seiner Sicht gegen Auswüchse wie Bestell- und Abholstellen vorzugehen.

DAZ: Die NRW-FDP hat vor einem Jahr eine Initiative des NRW-Gesundheitsministers Laumann (CDU) ausgebremst. Er wollte erreichen, den Arzneiversand für verschreibungspflichtige Arzneimittel wieder zu verbieten. Jetzt sind andere Bundesländer im Bundesrat vorgeprescht: Bayern, Sachsen, Thüringen zum Beispiel. Wird die NRW-Landesregierung – mit Zustimmung der FDP – jetzt auf den Zug aufspringen? Was sagt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion dazu?


Bahr: Als Bundespolitiker kann ich nicht für die Landesparteien sprechen. In allen Parteien, auch unter den Bundesländern, ist festzustellen, dass es sehr unterschiedliche Einstellungen zur Frage des Arzneiversandhandels gibt. Wie die Länder sich letztlich verhalten, wird man sehen. Die Initiative von Herrn Laumann stand ja bereits im Juni letzten Jahres schon einmal in der Gesundheitsministerkonferenz der Länder zur Abstimmung. Er hat damals keine Mehrheit gefunden. Er wollte diese Initiative dennoch in den Bundesrat einbringen; darüber gab es Verhandlungen innerhalb der NRW-Koalition. Schon damals hat die FDP in den Mittelpunkt die Problematik der Abhol- und Bestellstellen – und ich meine, das ist das entscheidende Problem für die inhabergeführte Apotheke – gestellt. Ich bin optimistisch, dass die NRW-Koalition eine gemeinsame Haltung zeigt. Bayern hat einen Schauantrag für die Landtagswahl in den Bundesrat eingebracht. Ob der eine Mehrheit erhält, ist noch nicht absehbar. Selbst wenn der eine Mehrheit erhält, muss der Bundestag nicht darüber beraten. Ein solcher Beschluss hätte die gleiche Wirkung einer Resolution – nicht mehr und nicht weniger. Die CSU müsste noch nicht einmal befürchten, über die Initiative Bayerns im Bundestag abzustimmen. Ein durchsichtiges Wahlmanöver. Entscheidend ist aber, was eine Mehrheit im Bundestag findet, weil nur die Mehrheit im Bundestag etwas ändern kann.


DAZ: Was den Bundestag angeht: Ist die FDP im Hinblick auf das angestrebte Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel dort immer noch zögerlich? Wenn ja, welche Gründe gibt es dafür?


Bahr: Wir haben gesagt: Unser Hauptproblem sind die Abhol- und Bestellstellen! Sie sind Ausfransungen, die die inhabergeführte Apotheke vor Ort schwächen und gefährden. Die Abhol- und Bestellstellen nutzen die Regelungen zum Versandhandel aus. Ich will unterstellen, dass auch die, die den Versandhandel gewollt und auch politisch beschlossen haben, gar nicht an Abhol- und Bestellstellen gedacht haben. Lassen Sie mich daran erinnern: Es war nicht die FDP, die den Versandhandel zugelassen hat, sondern es waren SPD, Grüne, CDU und CSU, die 2003 gegen die Stimmen der FDP die Zulassung des Arzneimittelversandhandels beschlossen haben. Union und SPD müssten diesen Beschluss rückgängig machen. Wir haben vor den Folgen gewarnt. Gleichwohl müssen wir anerkennen, dass der Arzneiversand – obwohl er seit bald fünf Jahren erlaubt ist – einen sehr kleinen Anteil am Markt hat. Die Gefahr ist nicht so sehr der Versandhandel an sich, das Problem sind die Bestell- und Abholstellen. Es ist eine nicht akzeptable Rosinenpickerei, wenn demnächst eine Drogerie oder eine Tankstelle sich den Anschein einer Apotheke gibt – natürlich ohne die Pflichten eines niedergelassenen Apothekers zu erfüllen. Das muss verhindert werden.


DAZ: Wie sieht der Weg der FDP aus?


Bahr: Wir wollen eine Beschränkung im Gesetz, die die Ausnutzung des Versandhandels über Abhol- und Bestellstellen unterbindet. Deshalb muss durch ein Gesetz klargestellt werden, dass ein Versand von Arzneimitteln nur aus Apotheken durch Apotheken selbst oder von diesen beauftragten Transportunternehmen unmittelbar an den Endverbraucher zulässig ist. Auch das Bundesverwaltungsgerichtsurteil Leipzig geht davon aus, dass der Gesetzgeber seinerzeit den direkten Versand gemeint hat. Aber er hat es dem Wortlaut nach nicht so eng gefasst. Im Umkehrschluss heißt das: Durch eine Einschränkung des Versandhandelsbegriffs könnte man die Ausfransung des Versandes in Form der Abhol- und Bestellstellen unterbinden. Einen solchen Weg haben wir prüfen lassen und jetzt einen Antrag eingebracht. Das Entscheidende ist, dass wir dieses Problem im Bundestag überhaupt erst einmal debattieren können. Wir haben mehrfach das Problem auf die Tagesordnung im Ausschuss gesetzt. Die Regierung hat auf unsere zahlreichen Fragen immer wieder geantwortet, sie werde nichts unternehmen. Das wollen wir nicht mehr hinnehmen. Ich finde es gut, dass es jetzt unterschiedliche Diskussionsbeiträge zur Lösung gibt. Ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneien würde die Abholstellen nicht gänzlich unterbinden. Die Apothekenpflicht würde weiter unterlaufen, wenn beispielsweise Kunden beim Kauf von Arzneien auch noch Gutscheine erhalten. Nur unser Ansatz unterbindet die Ausfransungen.


DAZ: Ein Versandhandelsverbot für Rx-Arzneimittel wäre immerhin – nach dem EuGHUrteil vom Dezember 2003 – EU-konform …


Bahr: EU-konform ja. Aber die Möglichkeit des Versandhandels besteht bald fünf Jahre. Und Klagen gegen eine Beschränkung dieser Möglichkeit sind schon angekündigt. Ein Apotheker, der auch in den Rx-Versand investiert hat, wird klagen. Man muss schon sehr gute Gründe anführen, wenn man die Rx-Versanderlaubnis ganz wieder rückgängig machen will.


DAZ: Noch sind die Marktanteile der Versender sehr klein, damit auch eventuelle Besitzstände. Bei einem Versandverbot für Rx-Arzneimittel könnte der Versender ja weiter im Bereich OTC-Arzneimittel engagiert bleiben …


Bahr: Und trotzdem, Sie müssen für ein Verbot sehr gute Gründe haben. Es ist nicht entscheidend, wie groß der Marktanteil ist. Wenn es für den einzelnen Versender eine Einschränkung seiner Berufsfreiheit ist, müssen diese Gründe schon sehr gewichtig sein. Nach Einschätzung vieler Sachverständiger reichen die bisherigen Argumente nicht aus. Ich finde es aber gut, dass wir endlich eine Debatte um sinnvolle Lösungen haben, wie man die Fehlentwicklung der Abhol- und Bestellstellen unterbinden kann. Ich habe der ABDA-Spitze bereits im letzten Jahr angeboten, mit unserem Antrag die Debatte im Bundestag anzutreiben, man wollte aber erst das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten. Der Ball ist jetzt im Feld von Union und SPD. Sie müssen endlich etwas tun und dürfen sich nicht hinter der Ignoranz der Bundesregierung verstecken. Deswegen wollen wir den Druck erhöhen. Die Zeit wird immer enger. Im nächsten Jahr stehen Bundestagswahlen an.


DAZ: Der FDP-Vorschlag erfasst sowohl verschreibungspflichtige als auch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Wäre nicht die beste Lösung, das eine mit dem anderen zu kombinieren: Rx-Versandverbot plus Präzisierung des Versandbegriffs, um die Bestell- und Abholpunkte in Tankstellen, in Kiosken, in Muckibuden zu unterbinden?


Bahr: Welche gesetzliche Regelung am Ende herauskommt, wofür man Verbündete und Mehrheiten gewinnen kann – das müssen wir in den Anhörungen und Beratungen abwarten. Mir ist wichtig, dass wir die Abhol- und Bestellstellen unterbinden. Dieses könnte gefährdet werden, wenn wir es an ein Verbot des Versandes von Rx-Arzneimitteln koppeln. Denn für letztes gibt es im Bundestag bisher keine Mehrheit. Wir würden es SPD, Gesundheitsministerium und Kanzleramt allzu leicht machen, dabei zu bleiben, gar nichts zu tun – z. B. mit dem Hinweis, die Gefahr von Arzneimittelfälschungen sei im legalen Versandhandel nicht größer als in den Offizinapotheken.


DAZ: Aus der Sicht des Patienten stellt sich das vielleicht etwas anders dar. Wenn von vornherein klar ist, dass es verboten ist, verschreibungspflichtige Arzneimittel per Versand zu bestellen und angeliefert zu bekommen, dann wird er schon das Bestellen sein lassen. Das Risiko – auch das finanzielle Risiko – wäre zu groß. Im Übrigen: Der Laie kann legale von täuschend ähnlichen illegalen Versendern praktisch nicht unterscheiden.


Bahr: Also, damit das klar ist: Der beste Vertriebsweg für Arzneimittel geht über die inhabergeführte Apotheke vor Ort. Gleichwohl sehe ich, dass die Hauptvertriebswege für illegale Arzneimittel nach Aussage des Bundeskriminalamtes nicht Versandapotheken, sondern Sportstudios und illegale Internetseiten sind. Meist geht es um Dopingmittel und Lifestyle-Präparate. Die Bezieher wissen, dass sie sich in einem illegalen Bereich befinden. Verbote allein helfen also nicht. Das Problem der illegalen Vertriebswege bleibt. Das ist ein Grund, weshalb es schwierig sein wird, den Versandhandel wieder rückgängig zu machen.


DAZ: Mord bleibt aber verboten, obwohl er immer wieder vorkommt – oder?


Bahr: Deswegen müssen wir alles unternehmen, um die Auswüchse zu unterbinden. Wenn sich andere über Rosinenpickerei den Anschein einer Apotheke geben, ohne die Pflichten zu übernehmen, werden Apotheker vor Ort immer weniger bereit sein, diese Pflichten zu erfüllen. Das ist eine eklatante Wettbewerbsverzerrung.


DAZ: Die Wettbewerbsverzerrung entsteht aber nicht erst durch die Bestell- und Abholstellen. Auch die normale Versandapotheke macht für ihre entfernt und verstreut wohnenden Kunden keinen Not- und Nachtdienst, keine teure Akutversorgung. Das überlässt sie der Apotheke vor Ort.


Bahr: Jede Versandhandelsapotheke hat eine Apotheke, die diese Pflichten erfüllt. Die meisten Verbraucher sind offensichtlich von der Betreuung vor Ort überzeugt. Der Anteil der Versandapotheken ist sehr gering und offensichtlich nur für wenige Verbraucher attraktiv. Das wird auch so bleiben, wenn die Apotheke vor Ort ihre Möglichkeiten bei der Beratung und der persönlichen Kundenbindung nutzt.


DAZ: Hinzu kommt, dass die örtliche Apotheke die Arzneimittel bei Bedarf noch am gleichen Tag ans Krankenbett, ins Haus, liefert.


Bahr: Richtig, aber mir müssen Sie das nicht sagen. Das müssen Sie in erster Linie Union/SPD/Grüne sagen, denn die haben seinerzeit die Zulassung des Arzneiversandhandels beschlossen, nicht wir als FDP.


DAZ: Herr Bahr, herzlichen Dank für das Gespräch.


Mit Daniel Bahr sprach DAZ-Mitherausgeber Dr. Klaus G. Brauer.

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