Arzneimittel und Therapie

Sommerloch-Gedanken

Bei einem kürzlichen Bodenseeaufenthalt sind mir in einem der dortigen idyllischen Städtchen drei Apothekenschaufenster aufgefallen: Im ersten waren Homöopathika, im zweiten Bachblüten-Präparate und im dritten Schüßler-Salze ausgestellt. Jeweils im unteren Drittel der Fenster war in großen Lettern zu lesen: Wir beraten sie gern!

Eigentlich wollte ich mich tatsächlich beraten lassen, habe es aber dann – leider – unterlassen. Beim weiteren Stadtbummel gingen mir dann die Fragen nicht aus dem Sinn, wo und wann die Kollegin/der Kollege Pharmazie studiert hatte und ob sie während des Studiums das Massenwirkungsgesetz sowie die Loschmidtsche Zahl, Konzentrations-Wirkungs-Beziehungen und die physiologischen Mineralsalzkonzentrationen im Organismus gelernt hatten. Vielleicht lag das schon lange zurück, was die Werbung in den drei Fenstern erklären könnte, vielleicht hatten sie aber auch gerade in letzter Zeit an einer der wiederholt angebotenen, zertifizierten (!) Fortbildungsveranstaltungen zu den drei Themenkreisen teilgenommen. Schade, dass dies – von mir selbst verschuldet – unbeantwortet blieb.

Nach Hause zurückgekehrt suchte ich nach einschlägiger Literatur, nachdem ich mich ja nicht hatte beraten lassen, und fand Überraschendes. Z.B. im "Homöopathie-Handbuch für die ganze Familie" von Dr. Andrew Lockie (Verlag Zabert Sandmann, München 1996) auf S. 87 unter dem Stichwort Herzinfarkt: Aconitum C30 bei Todesangst, Unruhe, Taubheitsgefühlen, oder Cactus C6 bei Gefühl im Brustkorb, als würde er durch ein Eisenband zusammengepresst. Ob ich diese Zeilen wohl noch schreiben würde, wenn ich bei meinem Herzinfarkt, anstatt mich einer PTCA mit beschichtetem Stent zu unterziehen, – wie empfohlen – Aconitum C30 alle zwei bis fünf Minuten eingenommen hätte?

In demselben Buch findet man unter Schlaganfall (S. 134) folgende Empfehlungen: In der Akutphase Belladonna C30, wenn das Gesicht heiß und rot angelaufen ist sowie die Augen geweitet und starr sind, Nux vomica C6 bei den ersten Anzeichen eines Schlaganfalls, vor allem nach schwerer Mahlzeit oder Alkoholgenuss. In der Erholungsphase nach dem Apoplex soll Hyoscyamus C6 bei unverständlichem Sprechen und Neigung, sich an die Genitalien zu fassen, oder Gelsemium C6 bei Nachwirkungen, zu denen vor allem Taubheitsgefühle, Zittern, Unfähigkeit zu sprechen und Schmerzen im Hinterkopf gehören, gegeben werden.

Korrekterweise muss allerdings noch erwähnt werden, dass in dem Buch von M. Wiesenauer und A. Boes mit dem identischen Titel "Homöopathie für die ganze Familie" (Hirzel-Verlag Stuttgart 2005) keine konkreten Angaben zur homöopathischen Behandlung von Herzinfarkten und Schlaganfällen gemacht werden.

Bei Bachblüten-Präparaten wurde ich vor allem im Internet fündig: Die Bachblüten-Apotheke (www.bachblueten-apotheke.com) schreibt z. B. in ihrer Werbung zu Bachblüten-Rescue-Tropfen: "39 First Aid Remedy. Dieses Mittel hilft und gibt innere Erleichterung in gefährlichen Situationen oder Krisen wie z. B. bei Unfällen, Verletzungen, Ohnmacht, Asthma-Anfällen, Verbrennungen, vor oder nach einer Operation, Panikzuständen, psychischen Ausnahmezuständen, sogar bei Schlaganfällen oder Herzinfarkten usw."

Erstaunlich auch die Angabe in dem Buch "Biochemie nach Dr. Schüßler: Grundlagen, Praxis, Antlitzanalyse " von M. Müller-Frahling (Deutscher Apotheker-Verlag Stuttgart 2007), dass in der Homöopathie die jeweiligen Stoffe, also auch Salze potenziert, bei den Schüßler-Salzen dagegen verdünnt werden. Wie soll nun aber das Salz "wissen", ob es potenziert oder (nur) verdünnt wird? Und wie kann Natrium chloratum D6, also eins zu einer Million verdünntes Kochsalz – wie erwartet – ein Kochsalzdefizit im Organismus bei einer täglichen NaCl-Zufuhr von 6 bis 14 g ausgleichen?

Fragen über Fragen. Wie kann man sich ihnen nähern? Vielleicht mit Shakespeare: "Es gibt viel mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich unsere Schulweisheit träumen lässt", mit Schiller: "Es ist der Geist, der sich den Körper baut", mit der Bibel: "Dein Glaube hat dir geholfen"? Oder doch mit dem lateinischen geflügelten Wort, das ich, um Ärger zu vermeiden, nicht zitieren möchte? Für diejenigen, die es – auf ihre eigene Verantwortung – doch erfahren wollen, nur soviel: Es beginnt mit dem Wort mundus.

Frohe Ferien – vielleicht auch am Bodensee.

Ernst Mutschler

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