Rabattverträge

Rabattverträge – Risiken und Nebenwirkungen

Wieviel sind Compliance, Therapievielfalt und -fortschritt wert?
Von Cosima Kötting und Uwe May

In Deutschland profitieren Apotheker und Ärzte bei ihrer Berufsausübung sowie Patienten bei der Behandlung ihrer Erkrankungen in hohem Maße von der Pluralität der therapeutischen Möglichkeiten und der Breite des angebotenen Arzneimittelsortiments. Zudem ist die Arzneimittelversorgung durch einen hohen Innovationsgrad und einen breiten Zugang der Bevölkerung zum pharmazeutischen Fortschritt gekennzeichnet. Infolge der ökonomischen Wirkungen, die sich derzeit durch die Rabattverträge ergeben, ist auf Seiten der Arzneimittel-Hersteller ein Konzentrationsprozess in Gang gekommen, der die Wertigkeit von Therapievielfalt und Fortschritt untergräbt. Der Beitrag setzt die Einspareffekte der Rabattverträge kritisch in Relation zu potenziellen Risiken und Nebenwirkungen, die mit diesem Instrument einhergehen.

Ein Blick auf die Zahlen reicht, um festzustellen, dass sich der Arzneimittelmarkt seit In-Kraft-Treten des GKV-WSG, d.h., nur innerhalb eines Jahres, grundlegend verändert hat. Grund hierfür die sind die im Gesetz vielfältig festgeschriebenen Anreize zum Abschluss von Arzneimittelrabattverträgen, die insbesondere bei Ärzten, Apothekern und Herstellern ansetzten. So hatten im März 2008 89 Arzneimittelhersteller mit 189 Krankenkassen Rabatte für rund 22.000 Handelsformen vereinbart (Abb. 1).


Abb. 1: Die überwiegende Anzahl der abgeschlossenen Verträge bezieht sich auf Generika. Quelle: IMS Contract Monitor

Die überwiegende Mehrzahl der abgeschlossenen Verträge bezieht sich auf Generika und hier wiederum auf sogenannte Sortimentsverträge einzelner Hersteller. Dies hat zur Folge, dass 46% aller abgegebenen Packungen im generikafähigen Markt rabattiert waren. Die Konzentration auf den generikafähigen Markt liegt hauptsächlich darin begründet, dass der Apotheker im Rahmen der Aut-idem-Substitution verpflichtet ist, bei Verordnungen aus dem generikafähigen Bereich das Arzneimittel abzugeben, welches einem Rabattvertrag der jeweiligen Krankenkasse unterliegt. Verträge über patentgeschützte Arzneimittel befinden sich derzeit eher in einer Erprobungsphase und spielen daher rein zahlenmäßig eine untergeordnete Rolle – das künftige Potenzial derartiger Verträge darf jedoch nicht unterschätzt werden.

Kurzfristige Einspareffekte durch Rabattverträge

Bislang gibt es keine offizielle Aussage darüber, welche Summen die Krankenkassen letztendlich durch Rabattverträge eingespart haben bzw. einsparen werden. Auch die konkreten Rabatthöhen sind nicht bekannt. Grund hierfür ist, dass die jeweilige Rabatthöhe Vertragsgegenstand ist und der Geheimhaltung unterliegt. Bislang sah der Kontenrahmen der GKV lediglich die Ausweisung der Abschläge nach den §§ 130 und 130a SGB V (Apothekenabschlag und Herstellerabschläge) vor. Aufgrund der undurchsichtigen Datenlage sind die Krankenkassen nunmehr ab dem 1. Juli 2008 verpflichtet, die Summe der Rabatte im Rahmen der Rechnungslegung detaillierter, nach Zwangsabschlägen der Apotheker und Hersteller sowie den vertraglich vereinbarten Rabatten zwischen Kassen und Herstellern, auszuweisen. Unabhängig davon haben bislang lediglich der AOK-Bundesverband (rd. 65 Mio. Euro) und der IKK-Bundesverband (5,7 Mio. Euro) Angaben zu der Summe der Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V gemacht [1]. Für das Jahr 2008 soll die erwartete Ersparnis bei insgesamt rund 310 Mio. Euro liegen [2]. Dieser Betrag entspricht einem Anteil von 0,2% der gesamten GKV-Leistungsausgaben bzw. 1,2% der GKV-Arzneimittelausgaben.

Nicht nur durch Rabattverträge konnten die Krankenkassen im letzten Jahr Einsparungen im Generikabereich generieren. Bereits im Jahr 2006, noch bevor die Rabattverträge ihre volle Wirkung entfalteten, unterlag der Festbetragsmarkt, der nahezu gleichzusetzen ist mit dem generikafähigen Markt, einem starken Preisverfall. Die deutschen Generikaunternehmen haben ihren Herstellerabgabepreis innerhalb eines Jahres um durchschnittlich 31 Prozent gesenkt, was einem jährlichen Einsparvolumen von 835 Mio. Euro für die GKV entspricht. Ergebnis dieser Preissenkungen ist, dass das Generikapreisnivieau in Deutschland innerhalb der fünf größten europäischen Märkte deutlich am niedrigsten ist [3].

Konzentrationsprozess: Erfolg durch Unternehmensgröße

Der hohe Verbreitungsgrad und die Zahl der abgeschlossenen Verträge lassen zunächst vermuten, dass sich eine Vielzahl der Arzneimittel-Hersteller aktiv an dem Rabattmarkt beteiligt und somit das therapeutische Spektrum in gewohnter Weise erhalten bleibt. Die Auswertung aktueller Marktdaten belegt jedoch, dass dies mitnichten der Fall ist. Vielmehr wird offensichtlich, dass einige wenige Hersteller den Rabattmarkt weistestgehend beherrschen. Die spezifische Verhandlungssituation, wie sie zwischen Krankenkassen und Herstellern gegeben ist, begünstigt zum einen die Erfolgsaussichten größerer Unternehmen gegenüber kleineren und mittleren Herstellern, und verleiht zum anderen der Kassenseite eine hohe Verhandlungsmacht [4]. Letzteres findet seinen Ausdruck in den Verhandlungsergebnissen im Hinblick auf Rabatthöhen und Einspareffekte.

Die relative Begünstigung von Großunternehmen im Kampf um Umsatzanteile am Rabattmarkt lässt sich aus dem Balkendiagramm (Abb. 2) ablesen.


Abb. 2: Kampf um Umsatzanteile am Rabattmarkt – Großunternehmen sind relativ begünstigt. Quelle: IMS Contract Monitor

Der Rabattmarktanteil großer Unternehmen ist demnach von 5% im April 2007 zunächst sprunghaft und danach kontinuierlich auf 56% im März 2008 angestiegen. Mittelständische Unternehmen lagen im April 2007 mit 11% Marktanteil noch deutlich vor den Großunternehmen, mussten dann aber nach vorübergehenden Marktanteilsgewinnen letztlich bis zum März 2008 einen Rückgang auf 7% Marktanteil hinnehmen [5]. Vor allem die Tatsache, dass große Unternehmen, nachdem sie ihre anfängliche Zurückhaltung bei Angeboten gegenüber Krankenkassen aufgegeben haben, vornehmlich Sortimentsverträge abgeschlossen haben, erklärt den sprunghaften Anstieg ihres Marktanteils und den Bedeutungsverlust der kleineren Unternehmen.

Inwieweit es bereits einzelnen Anbietern gelungen ist, eine Vormachtstellung im Rabattmarkt zu erreichen, geht aus Abb. 3 hervor.


Abb. 3: Die Top 3-Unternehmen haben mittlerweile eine Vormachtstellung erreicht. Quelle: IMS Contract Monitor

Alleine die drei führenden Hersteller konnten bis März 2008 einen Marktanteil von mehr als 60% auf sich vereinigen. Der Anteil am Rabattmarkt, den die Top 10-Firmen bestreiten, beläuft sich auf nicht weniger als 90%. Im Hinblick auf die Bedeutung, die der Zuschlag in einer Rabattverhandlung mit den Krankenkassen für die führenden Unternehmen hat, ist der Anteil der Rabattprodukte am Firmenabsatz als Kennziffer aussagekräftig. Für den Durchschnitt der Top 10-Hersteller liegt deren Wert bei 52%. Bei einigen Firmen sind Rabattprodukte in drei von vier Fällen am Unternehmenserfolg beteiligt.

Der auch weiterhin absehbare Verlust von Marktanteilen einer Vielzahl von Unternehmen zugunsten einer geringen Zahl von Anbietern dürfte schon mittelfristig dazu führen, dass kleine und mittlere Hersteller zum Marktaustritt gezwungen sein werden. Am Ende dieses Prozesses werden Submärkte für einzelne Indikationsgebiete oder Produktgruppen verbleiben, in denen jeweils eine kleine Zahl von Anbietern oder im Extremfall nur ein einzelner Anbieter agiert. Das heißt, es kommt in Teilmärkten zur Bildung von Oligopolen bzw. Monopolen. Im vorliegenden Zusammenhang ist von Bedeutung, dass mit dem Marktausritt der Hersteller i. d. R. auch deren Produkte vom deutschen Arzneimittelmarkt verschwinden werden.

Kassenwünsche: Preisverhandlungen und Arzneimanagement

Auch die Krankenkassen wissen, dass der Generikamarkt hinsichtlich der Preisgestaltung weitgehend ausgereizt ist. Die eigentlichen Einsparpotenziale werden im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel vermutet. Rabattverträge sind für die Kassen daher lediglich eine Übergangslösung, auf dem Weg zu direkten Verhandlungen über Preise und Struktur der Verordnungen. Ausgefeilte Arzneimittelmanagementprogramme werden derzeit von einigen Kassen [6] erarbeitet, mit dem Ziel, indikationsbezogene Therapieschemata – unter Beachtung kassenindividueller Positivlisten – zu etablieren. Patentgeschütze Arzneimittel sollen nach den Vorstellungen der Krankenkassen künftig im Rahmen von komplexen Versorgungsverträgen zum Einsatz kommen. Derzeit testen die ersten Kassen, welche Möglichkeiten sich hier bieten [7]. Insbesondere die Integrierte Versorgung bietet die Möglichkeit, durch die Erstellung von Behandlungspfaden und Therapieschemata, die Verordnung bestimmter Wirkstoffe zu steuern. Nach der aktuellen Gesetzeslage können die Kassen zwar lediglich Rabattverträge mit Arzneimittel-Herstellern abschließen. Direkte Preisverhandlungen und in der Konsequenz kassenindividuelle Positivlisten sind für die nahe Zukunft jedoch nicht auszuschließen. Theoretisch möglich ist jedoch bereits schon heute die gezielte Steuerung der ärztlichen Verordnungsweise durch die Einbindung von Ärzten in Verträge nach § 84 Abs. 1 S. 5 SGB V [8]. Vertragslisten einzelner Krankenkassen und Ärzte sollen nach dem Willen der Politik schon jetzt als Soll in selektivvertraglichen Versorgungsformen, wie der integrierten Versorgung oder der hausarztzentrierten Versorgung zum Einsatz kommen. Das dies bereits Realität ist, zeigt der kürzlich abgeschlossene Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung der Vertragspartner AOK Baden-Württemberg, Medi-Verbund und Hausärztlicher Vertragsgemeinschaft.* Über die Arzneimittelrabattverträge hinaus, mit deren Hilfe die Kassen im generikafähigen Bereich bestimmen, welche Hersteller die Versorgung der Versicherten übernehmen, bergen weitergehende Konzepte, z.B. vertraglich vereinbarte Therapieschemata, die Gefahr einer möglichen zusätzlichen Einflussnahme der Krankenkassen auf das vertragsärztliche Verordnungsverhalten. Auch wenn die Kassen bei vertraglichen Vereinbarungen stets die Therapiehoheit des Arztes hervorheben, bleibt anzumerken, dass diese Freiheit nur auf den gut begründeten Einzelfall reduziert und möglicherweise auch mit finanziellen Einbußen verbunden ist. Es gilt demnach bei derartigen Überlegungen immer das Spannungsverhältnis zwischen Selektivvertrag und dem – derzeit noch bestehenden – einheitlichen Leistungsanspruch des Versicherten zu beachten.


* "Anhang 3 zu Anlage 12 (des Vertrags): Rationale Pharmakotherapie-Zuschlag": Hier sind die Kriterien festgelegt, nach denen den teilnehmenden Ärzten ein Honorarzuschlag von 4 Euro pro Patient und Quartal ausgezahlt wird. Wesentlicher Vertragsbestanteil ist eine spezielle Verordnungssoftware, die auf der Grundlage von AOK-Rabattarzneimitteln konkrete Verordnungs- und Substitutionsempfehlungen vorgibt, was einer kassenindividuellen Positivliste entspricht. Insbesondere die von den Vertragspartnern als unproblematisch dargestellte Austauschbarkeit patentgeschützter und /oder biotechnologisch hergestellter Arzneimittel durch andere (rabattierte) patentgeschützte und /oder biotechnologisch hergestellte Arzneimittel erscheint aus pharmakologischer Sicht mehr als fragwürdig.

Risiken und Nebenwirkungen

Bei dem Versuch, eine vorläufige Erfolgsbilanz des Instruments Rabattverträge zu ziehen, sind auf der positiven Seite vermeintlich die oben beschriebenen Einspareffekte der Krankenkassen zu verbuchen. Den fiskalischen Effekten stehen jedoch unerwünschte Begleiterscheinungen und zum Teil noch nicht vollends absehbare Risiken gegen-über. Diese betreffen zum einen die apothekerliche und ärztliche Berufsausübung im engeren Sinne und zum anderen medizinisch-pharmazeutische Aspekte mit Blick auf die Behandlungsmöglichkeiten für die Patienten.

Zum ersten Punkt ist festzustellen, dass schon die bisherigen Rabattverträge und noch mehr deren aus Kassensicht wünschenswerte Weiterentwicklungen wie individuelle Positivlisten, Therapieschemata und Arzneimittelmanagement den Gestaltungsspielraum in der Arzneitherapie deutlich zu Gunsten der Kassen und zu Lasten der Heilberufe verschieben. Hiermit geht eine zunehmende Monetarisierung der Arzneimittelauswahl bzw. eine Fokussierung auf den Präparatepreis als Auswahlkriterium einher. Auf diese Weise wird die ärztliche Therapiehoheit ebenso in Frage gestellt wie die apothekerlichen Möglichkeiten, auf die individuelle Arzneimittelauswahl Einfluss zu nehmen. Weitere Problemfelder, die in der Apotheke zu Tage treten, aber gleichermaßen die Patienten treffen, sind Lieferengpässe bei bestimmten Generika und negative Auswirkungen auf die Compliance und Patientenzufriedenheit durch wechselnde Arzneimittel. Diese Problemfelder werden auch in dem von den GKV-Spitzenverbänden projektierten Arzneiverordnungs-Report benannt und explizit auf die Schwierigkeiten älterer Patienten durch wechselnde Farben, Formen und Größen ihrer Arzneimittel hingewiesen [9]. Mit Blick auf die Qualität der pharmazeutischen Beratung in der Apotheke ist auch darauf hinzuweisen, dass die Rabattvertrags-Thematik heute einen bedeutenden Teil der zeitlichen Kapazität des Offizinpersonals bindet. Es steht zu vermuten, dass dies für die Intensität der Beratung zu den eigentlich primären pharmazeutischen Fragen abträglich ist. Die vorangehenden Überlegungen betreffen neben den objektiven Effekten auf die Therapie auch die subjektive Patientenzufriedenheit. Dieses Kriterium wird seitens des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) als eigenständige Zielgröße bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln anerkannt [10].

Der zweite grundlegende Aspekt, der oben genannt wurde, betrifft den Einfluss der Rabattverträge auf das Arzneimittelangebot und die -versorgung selbst. In Deutschland bestehen zurzeit jeweils knapp 36.000 Zulassungen für rezeptpflichtige bzw. 8000 Zulassungen für rezeptfreie Arzneimittel. Die Zahl der Neuzulassungen beläuft sich pro Jahr auf mehr als 2000 wovon etwa jede zehnte auf ein Arzneimittel mit neuen Stoffen entfällt [11]. Hinter diesen Zulassungszahlen steht ein pluralistisches Arzneimittelangebot mit einer differenzierenden Vielfalt an Präparaten mit unterschiedlichen Wirkstoffen, Darreichungsformen, Wirkstärken und galenischen Zubereitungen.

Auch wenn Pharmakritiker zutreffend darauf hinweisen, dass mehr als 90% aller Arzneiverordnungen auf die 3000 meist verordneten Präparate entfallen und dass nur ein kleiner Teil der Neuzulassungen als Sprunginnovationen zu klassifizieren sind, bietet gleichwohl im Einzelfall häufig dieses breite Arzneimittelangebot aus pharmazeutischer Sicht die besten Voraussetzungen für eine individuelle und patientengerechte Therapie. Der Stellenwert von Wirkstoffen und Wirkstoffvariationen, die zum Teil als "Schein-innovationen" stigmatisiert werden, ist weder im Hinblick auf die pharmakologische Weiterentwicklung von Wirkstoffen noch unter dem Aspekt einer feinjustierten Therapie vernachlässigbar. Gute Beispiele liefern die Weiterentwicklungen des Calciumantagonisten Nifedipin oder des Protonenpumpenhemmers Omeprazol hin zu den Nachfolgern Pantoprazol, Lansoprazol und Rabeprazol, die heute jeweils ihre Berechtigung bei der Therapie von Refluxerkrankungen haben [12]. Alleine die Definitionsmacht der Kassen darüber, was die Ärzte im Zuge einer leitliniengetreuen Therapie verordnen sollen, kann die für den Versicherten zugängliche Therapievielfalt einschränken. Die hinzukommende Gefahr, dass die heute gegebene therapeutische Vielfalt durch den rabattvertragsbedingten Konzentrationsprozess gefährdet ist, wenn eine Vielzahl von Herstellern gänzlich vom Markt verschwindet, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Für die Weiterentwicklung von Arzneiformen hat der Konzen-trationsprozess darüber hinaus sowohl unmittelbare wie mittelbare Folgen. Unmittelbar verschwindet mit dem Ausscheiden von Herstellern auch deren Entwicklungspotenzial. Zudem spricht vieles dafür, dass in einem oligopolisierten Rabattmarkt per se auch die Innovationsanreize der verbleibenden Unternehmen erlahmen. Mittelbar ist ein ebensolcher Effekt durch die schwindende Finanzkraft der Unternehmen zu erwarten, die sich als Folge der konsequenten Abschöpfung von "Wirtschaftlichkeitsreserven" aus dem gegenwärtigen Herstellungs- und Vertriebsprozess ergibt. Der "Generationenvertrag", wonach die heutigen Arzneimittelverkäufe nicht nur die Deckungsbeiträge für ihre eigene Herstellung erwirtschaften, sondern auch die finanzielle Basis für Forschung und Entwicklung darstellen, wird durch die fast vollständige Abschöpfung der Wirtschaftlichkeitsreserven, die die Krankenkassen kraft ihrer Verhandlungsmacht in den Rabattverträgen erreichen können, nachhaltig aufgekündigt.

Nicht zuletzt ist zu den mittelbaren Risiken und Nebenwirkungen einzelvertraglicher Elemente (wie der Rabattverträge) auch deren Einfluss auf den Versorgungszugang der Bevölkerung zu zählen. Der internationale Vergleich verschiedener Gesundheitssysteme und Pharmamärkte auf wissenschaftlicher Basis zeigt, dass sich mit der zunehmenden Aufnahme dezentraler, d.h. einzelvertraglicher Elemente in die Preis- und Erstattungsregelungen die Definitionsmacht und der Gestaltungsspielraum der Krankenkassen verstärken, mit der Folge, dass sich Leistungskataloge zunehmend differenzieren und der gesundheitspolitisch angestrebte, gleichberechtigte und einheitliche Zugang aller Bevölkerungsgruppen zur Arzneiversorgung abnimmt [13]. Damit geht ein wesentlicher Vorzug der Arzneimitteltherapie, ihre egalitäre Wirkung in dem Sinne, dass sie (bei entsprechendem Budget) leicht allen Menschen in gleicher Weise verfügbar gemacht werden kann, verloren [14]. Der internationale Vergleich belegt überdies auch den beschriebenen Konzentrationsprozess und die zunehmende Bedeutung von Unternehmensgröße als Erfolgsfaktor, die mit der Dezentralisierung einhergeht (Abb. 4).


Abb: 4: Der internationale Vergleich belegt den zunehmenden Konzentrationsprozess und die zunehmende Bedeutung von Unternehmensgröße als Erfolgsfaktor, die mit der Dezentralisierung einhergeht.

Der Preis ist hoch

In der fachöffentlichen Debatte und der öffentlichen Darstellung zu den Rabattverträgen wird einmal mehr der Preis der Medikamente thematisiert und als überhöht eingestuft. Dies entspricht einer tradierten und weit verbreiteten Auffassung, der zufolge rund 90% der Bevölkerung Arzneimittel für so überteuert halten, dass den Herstellern trotz deutlicher Preissenkungen genügend Spielraum für medizinische Forschung verbliebe. Auch sehen knapp 80% der Menschen in den Arzneimittelpreisen den wichtigsten Grund für den Anstieg der Gesundheitskosten [15].

Dieses öffentliche Stimmungsbild erklärt auch einen Teil der Popularität der Rabattverträge und die Tatsache, dass die Risiken des Instruments oftmals in den Hintergrund treten: der "Preis", den Patienten, Heilberufe und die Gesellschaft für die Rabattverträge selbst zu zahlen haben, ist monetär nicht zu beziffern. Das Instrument hat eine Reihe unerwünschter Begleiterscheinungen. Angesprochen wurden hier die negativen Folgen des Rabattsystems auf Individualität und Pluralität der Therapie, die Compliance und apothekerliche Beratungsleistung, die Patientenzufriedenheit, den pharmazeutischen Fortschritt und nicht zuletzt den gleichen (einkommensunabhängigen) Zugang der Bürger zur Arzneiversorgung. Diese Werte sind intangibel, d. h. nicht messbar oder nicht bewertbar. Das macht sie nicht minder wichtig aber weniger operationalisierbar, weshalb sie regelmäßig vernachlässigt werden. Insbesondere kommt dies zum Tragen, wenn auf der anderen Seite, wie im Fall der Rabattverträge, ein substanzielles Einsparvolumen von mehr als 300 Mio. Euro genannt wird. Dass dieser Betrag nicht mehr als 0,2 % der GKV-Leistungsausgaben entspricht, stellt seine argumentative Wirkung offenbar kaum in Frage. Die Einsparungen werden als Effizienzsteigerung interpretiert. Mehr Effizienz würde im vorliegenden Fall allerdings bedeuten, mit weniger finanziellen Mitteln den gleichen Nutzen zu erzielen. Genau dies ist, wie aufgezeigt, hier nicht der Fall. Vielmehr wird mit geringerem Mitteleinsatz auch deutlich weniger Nutzen erzielt.

Damit alle an der Arzneimittelversorgung Beteiligten den o.g. Werten Rechnung tragen (können), müssen entsprechende Anreize vorliegen. In der Apotheke sind die Voraussetzungen für eine patientengerechte Beratung und Arzneimittelabgabe prinzipiell gegeben, werden aber durch die Restriktionen im Zusammenhang mit dem Rabattverträgen behindert. Auf Herstellerebene steht die Bestimmung des Arzneimittelpreises in der GKV (Erstattungspreis) im Vordergrund. Zielgrößen wie Therapievielfalt und -fortschritt, die mit diesem Preis nicht abgegolten werden, werden vom Markt unabhängig von ihrem eigentlichen Wert, auch nicht bereitgestellt. Der Preis der Produkte sollte sich daher an deren Wertigkeit, sprich dem Nutzen für die Gesellschaft orientieren und auch die Effektivität und Effizienz der Arznei-therapie in Relation zu anderen Leistungsarten der GKV ins Kalkül ziehen. Die Bildung des effektiven Preises auf Basis des derzeit praktizierten Rabattvertragssystems wird diesem Anspruch nicht gerecht.

 

Literatur bei den Verfassern

 

Cosima Kötting, Dr. Uwe May, Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH), Abteilung Arzneimittel in der GKV, Ubierstraße 71 – 73, 53173 Bonn

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