Feuilleton

In vino veritas

Herrn Prof. Dr. Theo Dingermann in kollegialer Verbundenheit zum 60. Geburtstag gewidmet.

 

"Der Wein erfreue des Menschen Herz." (Psalm 104,15)

"Vom Urbeginn der Schöpfung ist dem Wein eine Kraft beigegeben, um den schattigen Weg der Wahrheit zu erhellen." (Dante)

Was in der Bibel über den Wein geschrieben steht, hat auch heute noch seine volle Gültigkeit. Was aber die Erkenntnis von Dante Alighieri anbelangt, so hat man des Öfteren versucht, sie auf chemischem Wege zu modifizieren. Dazu später einige Wahrheiten. Zuvor wollen wir erfahren, wie drei Menschen, die die Welt verändert haben, mit dem Wein umgegangen sind.

 

 

Goethe schrieb viel und trank nicht wenig, beides mit Qualität.

Ein Mädchen und ein Gläschen Wein,

 

die lindern alle Not,

 

und wer nicht küsst und wer nicht trinkt,

 

der ist schon lange tot.

Zu den Lieblingsweinen von Goethe zählte der "Würzburger Stein". Auch Kurt Tucholsky soll den Steinwein sehr geschätzt haben.

Wie man aus alten Rechnungen an den Dichterfürsten ersehen kann, bestellte er den Steinwein eimerweise. Das heißt aber nicht, dass er den Wein eimerweise trank (er begnügte sich mit zwei Litern täglich). Im Übrigen ist hier nicht das Behältnis, mit dem man das Vieh zu tränken pflegte, gemeint, sondern eins der vier alten deutschen Flüssigkeitsmaße:

  • Schoppen, in Württemberg und in der Pfalz 0,5 Liter.
  • Maß, in Bayern einst 1,07 L (Bier für einen Pfennigbetrag). Heute sollte es ein Liter sein. Doch dort, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint, wird man durch absichtlich schlechtes Einschenken geneppt, und das auf der Wiesn zuletzt für € 7,90. Vor 23 Jahren kostete dort die Maß Bier noch 1,70 D-Mark!
  • Eimer, in Bayern 68,42 L, in Preußen 68,7 L, in Württemberg 293,93 L.
  • Fuder, in Württemberg 6 Eimer = 1763,56 L, sonst meistens 12 Eimer, z. B. in Baden 1500 L und in der Pfalz 1000 L.

Die Pfälzer – zu welchen ich mich zählen darf – lieben die glatten und runden Sachen, so auch hier: Ein Schoppen sind 500 ml, ein Fuder sind 1000 L.

Napoleon hatte auch seine Lieblingsweine. Dazu gehörte der portweinähnliche "Vin de Constance". Angeblich soll er die Schlacht bei Waterloo nur deshalb verloren haben, weil sein Stimulanz nicht rechtzeitig zur Stelle war.

Der berühmte Napoleonwein, den man heute noch auf Schloss Thurnstein in der Nähe von Meran trinken kann, hat allerdings seinen Namen nicht von Napoleon I., sondern von seinem Enkel Napoleon III., und zwar daher, dass dort die Nachricht von dessen Gefangennahme bei Sedan mit Begeisterung aufgenommen wurde.

Beethoven trank zwar gerne Wein, doch konnte er sich wegen permanent schlechter Haushaltslage keinen teuren leisten. Teuer und gut waren damals noch zwei zusammenhängende Tugenden. Er trank also billigen, mit Bleizucker = Blei(II)acetat gesüßten Wein, was höchst wahrscheinlich zur Folge hatte, dass er viele Jahre mit allen Symptomen einer Bleivergiftung gelebt und daran im Alter von 57 Jahren in Wien gestorben ist.

Weinschönung

Damit wären wir bei den "Additiva" angelangt. Nach den Ausführungen im Römpp-Chemie-Lexikon, dem Klassiker unter den Nachschlagewerken im Bereich Chemie, dürfte eine Definition wie folgt lauten:

Additive , unspezifische Bezeichnung für alle Stoffe, die anderen Stoffen in kleinen Mengen zugesetzt werden, um deren Eigenschaften in gewünschter Richtung zu verändern.

Beim Wein war die gewünschte Richtung süß, bis man endlich erkannt hatte, dass trockene Weine viel bekömmlicher sind. Wenn unsere Altvorderen gelegentlich einmal "voll" waren, dann waren sie "voll des süßen Weines".

Warum soll man heute noch den giftigen Bleizucker benutzen, wenn es doch echten Zucker (Rohrzucker, Saccharose) in Hülle und Fülle gibt? Dem Wein nach abgeschlossener Gärung Zucker zuzusetzen, um den Geschmack in eine bestimmte Richtung zu lenken, ist in der EU nicht erlaubt. Bei der EU-Weinmarktreform hat man sich aber darauf geeinigt, die Anzuckerung des Mostes in bestimmten Grenzen zu erlauben. Dieser Eingriff in die ansonsten von Gott geleistete Arbeit dient nicht dazu, den Wein süßer zu machen, sondern bei der Vergärung den Alkoholgehalt zu erhöhen. Auf dem Etikett muss diese Prozedur nicht vermerkt werden.

So hin und her gerissen wird also heute die Meinung von Martin Luther: "Bier ist Menschenwerk, Wein aber ist von Gott."

Neben dem in Wasser leicht löslichen Blei(II)acetat existieren weitere chemische Verbindungen, die keine Zucker sind und dennoch süß schmecken. Ich denke dabei nicht an die Süßstoffe, sondern an Alkohole, die mit Glycerin (Glycerol) strukturell verwandt sind, die Glykole. Ein Synonym von Glycerin lautet übrigens Ölsüß.

"Glykole " ist heute eine Gattungsbezeichnung für Verbindungen, die sich von der Stammverbindung Glykol (= Ethylenglykol = Monoethylenglykol = Ethandiol) ableiten und an zwei benachbarten C-Atomen OH-Gruppen tragen bzw. verethert sind (s. Formeln.).

Glycerin, Ethylenglykol und Diethylenglykol sind insofern ideale "Qualitätsverbesserer" für Weine, als sie drei Forderungen erfüllen, die an "corriger la fortune"-Verbindungen zu stellen sind: wasserlöslich, süß schmeckend und geschmacksabrundend. Die Fahndung nach diesen unerlaubten Weinzusätzen wird dadurch erschwert, dass Glycerin und Ethylenglykol zu den natürlichen Gär-Nebenprodukten des Weines gehören.

Ethylenglykol ist in unverfälschten Weinen in Konzentrationen von 1 bis 10 mg pro Liter enthalten. Eine Verfälschung kann daher durch eine quantitative Analyse bewiesen werden.

Schwieriger ist es beim Glycerin , das als nativer Bestandteil in einer Größenordnung von 6 bis 25 Gramm pro Liter Wein enthalten sein kann. Ein unerlaubter Glycerinzusatz ist an den sich ändernden Mengenverhältnissen zu anderen Gär-Nebenprodukten wie Brenztraubensäure, Acetaldehyd, Bernsteinsäure oder höheren Alkoholen ("Fuselöle") zu erkennen. Da auch der Alkoholzusatz zur unerlaubten Verbesserung der Weinqualität benutzt wird, ist das Gewichtsverhältnis von Glycerin zu Alkohol, das sich ohne Zusätze zwischen 7: 100 und 10: 100 bewegt, von forensischem Interesse. Ein Glycerinzusatz erhöht, ein Ethanolzusatz erniedrigt das Verhältnis.

Weinskandale

Obwohl der Verschnitt mit Glycerin zu den älteren Fälschungsmethoden zählt, hat er nichts an seiner Aktualität verloren, wie Meldungen von Lebensmittelkontrolleuren zeigen, die 2007 erneut in drei Proben von italienischen Weinen illegal beigemischtes Glycerin entdeckten.

1985 war "Glykol" das Wort des Jahres, verursacht durch den Glykolwein-Skandal. Einige österreichischen Winzer hatten ihre Weine zur Geschmacksverbesserung mit Diethylenglykol verschnitten. Das Musterbeispiel für eine raffinierte Weinverfälschung wurde – auf einen kurzen Nenner gebracht – durch das Finanzamt entdeckt, als die Steuerprüfung in einer Kellerei auffallend hohe Rechnungen für Diethylenglykol ans Tageslicht beförderte. Im Burgenland wurden vier Weinbauern festgenommen, zwei davon verurteilten die Gerichte zu mehrjährigen Haftstrafen. Den meisten Glykolwein produzierten die Winzer am Wagram, einer Geländestufe nördlich der Donau in Niederösterreich. Die Gemeinde Wagram im Marchfeld war im Juni 1809 Schauplatz des Sieges von Napoleon über Erzherzog Karl. Dabei gab es, wie bei damaligen Schlachten üblich, sehr viele Tote. Fast zwei Jahrhunderte später hatte die Gemeinde einen außergewöhnlichen Todesfall zu beklagen, nämlich den von Karl Grill. Der Inhaber der Firma Gebrüder Grill hatte sich nach seiner Verurteilung im Glykolwein-Prozess das Leben genommen.

Die Äußerung, in Rheinland-Pfalz habe vor Jahren das Finanzamt eine Weinpanscherei infolge zu hoher Wasserrechnungen aufgedeckt, gehört wohl ins Reich der Fabeln. Doch nebenbei kam beim Glykolwein-Skandal heraus, dass auch namhafte Weinabfüller aus Rheinland-Pfalz deutsche Weine mit österreichischen Glykol-Weinen gestreckt hatten. Inzwischen hat sich Österreich von dem fast zum Erliegen gekommenen Weinexport wieder erholt. Heute muss jede Flasche aus Österreich mit einer staatlichen Banderole gekennzeichnet sein, bevor sie in den Verkehr gebracht werden darf.

Wein als Arznei

Verlassen wir das Gebiet der unerlaubten Weinschönung mit dem Aphorismus eines anonymen Verfassers "Im Wein liegt Wahrheit, der Schwindel liegt im Etikett" und fragen uns, ob der Wein zu den Arzneimitteln oder den Nahrungsergänzungsmitteln zu zählen ist. In den alten Arzneibüchern ist der Wein in verschiedener Form als Arznei- und Hilfsmittel beschrieben. Noch im DAB 6 , das 1926 in Kraft getreten ist, stehen die folgenden Monographien:

Vinum – Wein

Vina medicata – Medizinische Weine

Vinum camphoratum – Kampferwein (Analeptikum, Expektorans)

Vinum Chinae – Chinawein (Tonicum)

Vinum condurango – Kondurangowein (Stomachicum, Amarum)

Vinum Pepsini – Pepsinwein (Verdauungshilfe)

Tinctura Rhei vinosa – Weinige Rhabarbertinktur (Mildes Abführmittel).

"Der Wein ist unter den Getränken das nützlichste, unter den Arzneien die schmackhafteste und unter den Nahrungsmitteln das angenehmste."

 

Plutarch

Im DAB 7 und im DAB 8 war keine Rede mehr vom Wein, doch in die 9. und 10. Ausgabe des Deutschen Arzneibuchs (1986 bzw. 1992) schlich sich letztmals die Monographie "Vinum liquorosum" als Hilfsstoff und Geschmackskorrigens ein. Ich war damals Vorsitzender des Ausschusses Pharmazeutische Chemie der Arzneibuchkommission, wasche aber meine Hände in Unschuld, da der Wein Angelegenheit des Ausschusses Pharmazeutische Biologie war.

Wein ist also heute nicht mehr zu den Arzneimitteln zu zählen, obwohl er wesentlich zur Gesunderhaltung der Seele und des Körpers beitragen kann. Über seinen endgültigen Stellenwert sollen spätere Generationen entscheiden, und zwar dann, wenn das französische Paradoxon im Doppelblindversuch endgültig bestätigt ist. Aber woher soll man zu Vergleichszwecken so viele Franzosen in den besten Jahren hernehmen, die keinen Rotwein trinken?

Das französische Paradoxon besteht in dem Umstand, dass die durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen bedingte Mortalitätsrate in Frankreich wesentlich niedriger liegt als in anderen europäischen Ländern. Der Verzehr gesättigter Fettsäuren ist in Frankreich nicht niedriger als anderswo, und die in epidemiologischen Studien ermittelten Serum-Cholesterol-Werte stimmen mit denen in anderen Ländern ermittelten Werten überein. Der Grund liegt (hypothetisch) im höheren Rotweinkonsum, dessen antioxidative Inhaltsstoffe dem Herzinfarkt vorbeugen.

Polyphenole im Wein

Warum Rotwein und nicht Weißwein? Die antioxidative Wirkung beruht auf den im Wein enthaltenen Polyphenolen in Form der Proanthocyanidine (Polyflavan-3-ole). Diese den oxidativen Stress abwehrenden physiologischen Wohltäter befinden sich vor allem in den Schalen und Kernen der Trauben. Bei der Rotweinbereitung lässt man die Maische einige Tage vergären. Erst dann wird bekanntlich gekeltert, d. h. der Most von den Schalen, Kernen und Stängeln abgepresst. Dadurch können die Proanthocyanidine und Gerbstoffe (= kondensierte Proanthocyanidine) in Lösung gehen, die dem Rotwein seine Farbe, seinen Geschmack und seine antioxidativen Eigenschaften verleihen.

"Der Wein kann mit Recht als das gesündeste und hygienischste Getränk bezeichnet werden."

 

Louis Pasteur

Wenn in Publikationen behauptet wird, die gesundheitsfördernde Wirkung würde in erster Linie auf Catechin und dem diastereomeren Epicatechin beruhen, so ist das kein Widerspruch zu den vorangehenden Feststellungen, denn Catechin und Epicatechin entstehen beim hydrolytischen und metabolischen Abbau der Proanthocyanidine.

Weiterhin ist das Resveratrol (3,4’,5-Stilbentriol) zu nennen, das in letzter Zeit im Fokus der protektiven Wirkungen steht. Doch möchte ich an dieser Stelle den Vorsicht signalisierenden Zeigefinger erheben: Da Resveratrol zu den Hydroxystilbenen gehört, würde es mich nicht wundern, wenn selbsternannte Experten demnächst erkennen sollten, dass es zu den Phytohormonen gehört, die nicht nur den alten Rotwein trinkenden Männern – pardon, gemeint sind die alten, Rotwein trinkenden Männer – die Gesundheit erhalten, sondern den nicht mehr ganz jungen Frauen die Wechseljahre erleichtern.

Natürlich sind solche gesundmachenden Verbindungen auch im Weißwein enthalten, aber in geringeren Konzentrationen. Man müsste also mehr Weißwein trinken, um den gleichen Effekt zu erreichen. Doch lesen Sie dazu, was am 18. März 2008 in der Bild-Zeitung stand:

"Wein schädigt das Gehirn mehr als Schnaps. Forscher der Uni Göttingen haben herausgefunden, dass bei starken Weintrinkern das Gehirn stärker schrumpft als bei Bier- oder Schnapstrinkern."

Da kann man nur mit Heinrich Heine vermuten: "Sie trinken heimlich Wein und predigen Wasser." Halten wir uns an das, was Plutarch und Louis Pasteur zum Thema Wein gesagt haben (Zitate auf der vorherigen Seite)!

Notabene. Der Verlag Hoffmann und Campe vergibt seit 2002 einen neuen Kritikerpreis, der in einem Werk von Heinrich Heine und 99 Flaschen Qualitätswein besteht.

Was haben schon die alten Lateiner gesagt?

Nunc vino pellite curas!

(Nun vertreibt mit Wein die Sorgen!)

 

Verfasser

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-Naumann-Str. 33 76187 Karlsruhe

www.h-roth-kunst.de

info@h-roth-kunst.com

 

 

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