Arzneimittelrecht

Traditionelle Arzneimittel auf dem Prüfstand

Neue Registrierungsnummern und konkrete Indikationen
Von Jürgen Reichling und Michael Harkenthal

Ende April 2004 ist eine neue europäische Arzneimittel-Richtlinie 2004/24/EG über traditionelle pflanzliche Arzneimittel (Traditional Herbal Medicinal Products Directive, THMPD) in Kraft getreten. Sie regelt die Registrierung sowohl neuer Präparate als auch die Neuregistrierung der derzeit gemäß § 109a AMG zugelassenen Präparate. Im Zuge dieser (Neu-)Registrierung wird eine deutlichere Aussage über die Anwendungsgebiete gemacht als bisher.

Die europäische Richtlinie THMPD wurde durch die Revidierung des deutschen Arzneimittelgesetzes vom 6. September 2005 (14. AMG-Novelle) in deutsches Recht umgesetzt. Sie bietet Herstellern die Möglichkeit, neue traditionelle pflanzliche Arzneimittel sowie Vitamin- und Mineralstoffpräparate nach einem Prüfungsverfahren registrieren zu lassen. Zudem müssen die Hersteller der traditionellen Phytopharmaka, die schon im Rahmen der Nachzulassung auf Qualität und Sicherheit geprüft wurden und sich derzeit im Verkehr befinden (über 600 Präparate), bis Ende dieses Jahres eine Registrierung dieser Präparate nach THMPD beantragen und sie einer erneuten Prüfung unterwerfen. Für alle Präparate, die diese Prozedur nicht durchlaufen und bestehen, erlischt die Zulassung im Jahr 2011; sie werden nach Ablauf dieser Frist vom Markt verschwunden sein.

Anforderungen an ­traditionelle Präparate

Um eine Registrierung zu erhalten, müssen die traditionellen Phytopharmaka viele Voraussetzungen erfüllen, die sich wie folgt zusammenfassen lassen:

1. Die Wirksamkeit bzw. pharmakologische Wirkung muss plausibel sein. Dies muss durch langjährige medizinische Anwendung und Erfahrung, wissenschaftliche Informationen (medizinische Handbücher, Arzneibücher, Monographien etc.) oder Anwendungsbeobachtungen / Behandlungsberichte / Studien belegt werden.

2. Die Anforderungen an die pharmazeutische Qualität des Arzneimittels sind von seiner traditionellen Verwendung unabhängig, d. h. es werden keine Ausnahmen hinsichtlich der physikalischen, chemischen, biologischen oder mikrobiologischen Untersuchungen gewährt. Es gelten die Bestimmungen einer "normalen Zulassung" nach § 21 AMG für pflanzliche oder chemisch-synthetische Stoffe.

3. Die Sicherheit des Arzneimittels muss gewährleistet sein, d. h. unter festgelegten Anwendungsbedingungen muss das Produkt unbedenklich sein.

4. Die vorgeschlagenen traditionellen Indikationen müssen einer Selbstmedikation ohne Inanspruchnahme eines Arztes zugänglich sein.

5. Eine belegte langjährige Tradition der Verwendung. Das bedeutet konkret: eine medizinische Verwendung über mindestens 30 Jahre, davon grundsätzlich mindestens 15 Jahre in der Europäischen Union.

6. Die Anwendung muss oral, äußerlich oder inhalativ erfolgen.


Historie der traditionellen Arzneimittel

Unter dem Begriff "traditionelles Arzneimittel" versteht man Phytopharmaka, die nach Inkrafttreten der 5. AMG-Novelle im Jahr 1994 gemäß § 105 i. V. m. § 109a AMG von der deutschen Arzneimittelbehörde nachzugelassen wurden. Es handelte sich um ein erleichtertes Nachzulassungsverfahren für "Altpräparate" oder "fiktiv zugelassene Arzneimittel", die damals nur registriert waren. Der Hersteller musste den Nachweis einer traditionellen Anwendung und plausiblen Wirksamkeit erbringen, um eine Nachzulassung und somit einen Erhalt der Verkehrsfähigkeit zu erreichen.

In der Kennzeichnung sind diese traditionellen Arzneimittel daran zu erkennen, dass die Angaben zu den Anwendungsgebieten immer mit dem Hinweis: "Traditionell angewendet …" beginnen und in der Regel mit dem Satz enden: "Diese Angabe beruht ausschließlich auf Überlieferung und langjähriger Erfahrung."

Die beanspruchten traditionellen Indikationen beziehen sich auf eine vom Gesetzgeber veröffentlichte Liste für Stoffe und Stoffkombinationen ("Indikationsliste nach § 109a AMG"), beispielsweise:

"Traditionell angewendet:
  • zur Stärkung oder Kräftigung der Blasenfunktion
  • zur Unterstützung der Herz-Kreislauf-Funktion
  • zur Besserung des Befindens bei nervöser Belastung
  • zur Vorbeugung gegen Darmträgheit"

Um die Verkehrsfähigkeit eines traditionellen pflanzlichen Arzneimittels über den 30. April 2011 hinaus zu gewährleisten, muss der Hersteller bis spätestens 31. Dezember 2008 einen Registrierungsantrag nach § 39a-d AMG stellen.

Die neuen Registrierungsnummern

Sind diese Anforderungen erfüllt, erhält das Präparat eine Registrierungsnummer (Reg.-Nr.), die an derselben Stelle der Verpackung angebracht wird, wo bisher die Zulassungsnummer zu finden ist. Sie ist nicht zu verwechseln mit den alten Registrierungsnummern jener Arzneimittel, die zwischen 1994 und 2004 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch nicht abschließend nachzugelassen waren, d. h. als "fiktive (Alt-) Arzneimittel" registriert und im Handel waren. Auch Registrierungsnummern von Homöopathika, die es seit 1976 gibt, sind nicht mit den Registrierungsnummern nach THMPD zu verwechseln. Diese sind neunstellig und deutlich erkennbar durch vier Nullen als Endziffern, getrennt durch je einen Punkt nach der fünften und der siebten Stelle (xxxxx.00.00). Der Zifferncode nach THMPD entspricht demzufolge dem Aufbau der bisherigen Zulassungsnummern.

Neben der Reg.-Nr. sind folgende Hinweise auf der Verpackung und in der Gebrauchsinformation der Präparate gesetzlich vorgeschrieben (§ 10 Abs. 4a und § 11 Abs. 3b AMG):

1. "Das Arzneimittel ist ein traditionelles Arzneimittel, das ausschließlich aufgrund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert ist."

2. "Der Anwender sollte bei fortdauernden Krankheitssymtomen oder beim Auftreten anderer als der in der Packungsbeilage erwähnten Nebenwirkungen einen Arzt oder eine andere in einem Heilberuf tätige Person konsultieren."

Anhand dieser Änderungen ist das pflanzliche Präparat für den Apotheker und den Patienten eindeutig als neu registriertes Arzneimittel nach THMPD identifizierbar.

Aktueller Stand in Deutschland und Europa

Bislang hat das BfArM sechs Registrierungen erteilt (siehe Tab. 1).


Tab. 1: Die ersten neuen Registrierungen traditioneller Phytopharmaka in Deutschland (Stand: Juni 2008)
Bezeichnung
Reg.-Nr.
Wirkstoff(e)
Granu Fink® Blase
66318.00.00
Kürbissamen, zerkleinert; Kürbissamenöl
Klosterfrau Melissengeist
64934.00.00
Destillation aus: Melissenblättern, Alantwurzelstock, Angelikawurzel, Ingwerwurzelstock, Gewürznelken, Galgantwurzelstock, Schwarze Pfefferfrüchte, Enzianwurzel, Muskatsamen, Pomeranzenschalen, Zimtrinde, Zimtblüten, Kardamomensamen
Bad Heilbrunner Weißdorntee
68372.00.00
Weißdornblätter mit Blüten, geschnitten
Canephron N Dragees
64413.00.00
Tausendgüldenkraut-Pulver, Liebstöckelwurzel-Pulver, Rosmarinblätter-Pulver
Canephron N Tropfen
64489.00.00
Mischung aus Tausendgüldenkraut, Liebstöckelwurzel, Rosmarinblätter
Urophyton liquidum
67841.00.00
Queckenwurzelstock-Fluidextrakt

Weitere knapp 30 Anträge sind in Bearbeitung. Bis Ende 2008 könnten etwa 600 Anträge bei der Behörde eingehen. Das entspricht der Anzahl der nach § 109a AMG zugelassenen traditionellen Phytopharmaka, die sich nur mit der Neuregistrierung das Überleben auf dem deutschen Markt sichern können.

Wie viele Präparate letzten Endes die hohe gesetzliche Hürde nehmen werden, bleibt abzuwarten. In der Realität ist gerade der geforderte Nachweis einer nahezu unveränderten 30-jährigen Verwendung nur sehr schwer von den pharmazeutischen Unternehmen zu erbringen.

Auch in anderen EU-Mitgliedstaaten wurde diese Richtlinie bereits in nationales Recht überführt. Danach hat die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) vier Registrierungen und die britische Behörde (MHRA) schon elf Registrierungen für traditionelle pflanzliche Arzneimittel erteilt.

Durch die Umsetzung der europäischen Richtlinie in die Gesetze der einzelnen Länder ergeben sich gewisse Interpretationsspielräume. So wurden in Österreich und vor allem in England weiterreichende Anwendungsgebiete genehmigt, als dies von der deutschen Zulassungsbehörde (BfArM) in ihrer Liste von traditionellen Anwendungsgebieten vom 15. 10. 2007 vorgeschlagen wurde. Die britische Zulassungsbehörde genehmigte für ein traditionelles Johanniskraut-Präparat die Indikationen leichte Depressionen und Angstzustände und für ein Sabal-Präparat die Indikation gutartige Prostatavergrößerung (BPH).

Um das Registrierungsverfahren in Europa weiter zu harmonisieren, wurde ein Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel – das Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) – innerhalb der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMEA) gegründet. Er entwirft und genehmigt Arzneimittel-Monographien, die als Grundlage einer Bewertung der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit dienen. Ferner soll eine Liste pflanzlicher Drogen erstellt werden, deren Präparate in Europa als traditionelle registriert werden können (Artikel 16f THMPD). Diese "Positivliste" wird Angaben zu traditionellen Indikationen, Dosierungen, Anwendungsarten und Risiken der Arzneipflanzen enthalten.

Ein Urologikum im Wandel von 30 Jahren

Alle Änderungen im Zulassungsverfahren haben auch immer Auswirkungen auf den Status und das Indikationsgebiet des betroffenen Arzneimittels nach sich gezogen. Am Beispiel eines pflanzlichen urologischen Präparates (Granu Fink® Blase), das bereits nach THMPD registriert ist (Tab. 1), sollen diese Veränderungen einmal exemplarisch aufgezeigt werden. Das Arzneimittel selbst hat sich in seiner Zusammensetzung bzw. Wirkung dabei nie grundlegend geändert (Tab. 2).


Tab. 2: Änderungen der Bezeichnung und der beanspruchten Indikation eines Produktes infolge der arzneimittelrechtlichen Änderungen des Zulassungsverfahrens (Änderungen der Indikation fett)
Bezeichnung
Status nach AMG
Beanspruchte Indikation
Kürbiskern Kapseln
Dem BGA als im Verkehr befindliches Fertigarzneimittel angezeigt gem. Artikel 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMG (damals ein "fiktiv zugelassenes Fertigarzneimittel")
Ab 1974:
Zur Kräftigung (Tonisierung) der Blasenmuskulatur, zur Erhaltung der normalen Blasenfunktion, zur Vorbeugung von Funktionsstörungen der Blase, zur Vorbeugung von Reizzuständen der Blase
Granu Fink® Kürbiskern Kapseln
Verlängerung der Zulassung als Arzneimittel beantragt gem.
Art. 3 § 7 AMG
Ab 1989:
Zur Kräftigung der Blasenmuskulatur, zur Erhaltung der normalen Blasenfunktion, zur Vorbeugung von Reizzuständen der Blase, zur Vorbeugung von Funktionsstörungen der Blase und Prostata (Beschwerden beim Wasserlassen)
Granu Fink® Kürbiskern Kapseln N
Als traditionelles Arzneimittel zugelassen gem. § 109a AMG
Ab 30. 10. 1996:
Traditionell angewendet zur Stärkung oder Kräftigung der Blasenfunktion Diese Angabe beruht ausschließlich auf Überlieferung und langjähriger Erfahrung
Granu Fink® Blase
Als traditionelles Arzneimittel registriert gem. § 39a-d AMG
Ab 16. 10. 2007:
Traditionell angewendet zur Stärkung oder Kräftigung der Blasenfunktion, z. B.

– bei Blasenschwäche
– zur Erhaltung der normalen Blasenfunktion
– zur Erleichterung der Blasenentleerung
GRANU FINK® BLASE ist ein traditionelles Arzneimittel, das ausschließlich aufgrund langjähriger Anwendung für das Anwendungsgebiet registriert ist

Die Kürbiskernkapseln, die sich bereits seit 1974 im Markt befinden, hat der Hersteller 1978 dem Bundesgesundheitsamt als im Verkehr befindliches Arzneimittel angezeigt (Artikel 3 § 7 Abs. 2 Satz 1 AMG). Der Hersteller legte die beanspruchten Indikationen auf Basis der damals vorhandenen wissenschaftlichen Daten bzw. klinischen Studien zum Arzneikürbis selbst fest. Zusätzliches Erkenntnismaterial lieferte die volksheilkundliche Verwendung der Kürbissamen.

Im Jahr 1989 stellte der Hersteller für das Arzneimittel erneut einen Verlängerungsantrag, wobei er wiederum die Indikationen auf Basis des aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstandes festlegte. Darüber hinaus reichte er eine kurze Beschreibung über die Wirkungsweise des pflanzlichen Arzneimittels ein.

Die Möglichkeit einer traditionellen Nachzulassung für pflanzliche Arzneimittel wurde mit der 5. AMG-Novelle von 1994 eröffnet (§ 105 i. V. m. § 109a AMG). Damals galt es, die Wirksamkeit durch langjährig dokumentierte Erfahrung zu belegen und durch eine Kommission bestätigen zu lassen. Es durften dabei Anwendungsgebiete beansprucht werden, die in einer Indikationsliste des BfArM (nach § 109a AMG) veröffentlicht wurden. Vor dem Anwendungsgebiet stand der obligatorische Zusatz: "Traditionell angewendet …".

Im Jahr 2007 trat nun die neue europäische Arzneimittel-Richtlinie für traditionelle Phytopharmaka (THMPD) in Deutschland in Kraft. Mit ihr wird die Formulierung gemäß der Indikationsliste nach § 109a AMG abgelöst. Stattdessen wird ein konkretes, für den Anwender verständliches Anwendungsgebiet genannt, das nach einer behördlichen Beurteilung festgelegt wird. In diesem Beispiel werden folgende Therapiemöglichkeiten angegeben: Blasenschwäche, Erhaltung der normalen Blasenfunktion und Erleichterung der Blasenentleerung. Diese Indikationsfelder wurden durch klinische Erfahrungsberichte, Studien, Anwendungsbeobachtungen etc. und bibliographische Unterlagen belegt.

Zusammenfassung

Deutschland hat als einer der ersten EU-Mitgliedstaaten die europäische Richtlinie 2004/24/EG (THMPD) hinsichtlich traditioneller pflanzlicher Arzneimittel in das nationale (deutsche) Arzneimittelgesetz umgesetzt. Die Registrierungsvorschriften nach § 39a-d AMG gelten sowohl für neue Produkte als auch für die bereits nach § 109a AMG zugelassenen traditionellen pflanzlichen Arzneimittel. Wie schon die ersten Beispiele von Registrierungen nach THMPD zeigen, wird es deutliche Änderungen bei den Angaben zu Indikationen, Neben- und Wechselwirkungen geben. Der Auftritt des Arzneimittels wird dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand angepasst.

Die neue Registrierungsnummer wird zukünftig dem Apothekenpersonal die Chance bieten, pflanzliche Arzneimittel, die ihre Qualität, Unbedenklichkeit und traditionelle Wirksamkeit erneut bewiesen haben, sofort zu erkennen.

Für die Verfasser:
Prof. Dr. Jürgen Reichling
Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie,
 Abtl. Biologie, Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 364
69120 Heidelberg

 

 

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