Feuilleton

Fruchtgummibären und Lakritz

Die Geschichte der Firma Haribo, die Herstellung von Fruchtgummi, Lakritze und anderen Süßwaren sowie die Werbung für diese Produkte sind bis zum 20. August Thema einer Ausstellung im Industriemuseum Chemnitz. Künstlerische Arbeiten, die sich mit diesen Markenartikeln auseinandersetzen, ergänzen die Präsentation.

"Haribo macht Kinder froh!", verspricht ein bekannter Süßwarenhersteller seit 1935. Mit der Ergänzung "… und Erwachsene ebenso" wird seit 1962 auch die reifere Generation animiert, Fruchtgummi und Lakritze zu konsumieren – offenbar mit Erfolg. Die Geschichte der Firma begann 1920 in einer Hinterhof-Waschküche in Kessenich bei Bonn, als der 27-jährige Hans Riegel sie unter dem Namen "Haribo" – ein Akronym seines Namens und des Firmensitzes – in das Bonner Handelsregister eintragen ließ.

Mit originellen Ideen traf der junge Bonbonkocher den Geschmack der Konsumenten: Der 1922 kreierte Fruchtgummibär wurde von dem ehemaligen Kaiser Wilhelm II. als "Glanzstück der Weimarer Republik" gepriesen und ist bis heute der wohl "prominenteste" Artikel des Haribo-Sortiments geblieben. Drei Jahre später bekam der bunte Bär einen schwarzen "Bruder" aus Lakritze.

Von der Arznei zum ­Genussmittel

Lange Zeit war die Herstellung von Confectiones aus Rohrzucker und Heilkräutern das Metier der Apotheker gewesen. 1747 entdeckte der Berliner Apotheker Andreas Sigismund Marggraf, dass der Zucker der Runkelrübe mit dem aus Übersee importierten Rohrzucker chemisch identisch ist. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelang es Franz Carl Achard, Rübensorten mit höherem Zuckergehalt – die Zuckerrüben – zu züchten sowie ein rationelles Extraktionsverfahren zu entwickeln. Damit hatte er der industriellen und somit preisgünstigen Herstellung von Zucker und Süßwaren ab dem 19. Jahrhundert den Weg geebnet.

Auch der Einzug der aus Süßholzwurzeln gewonnenen Lakritze in die Sortimente der Süßwarenhersteller ist einem Apotheker zu verdanken. In dem englischen Städtchen Pontefract (Yorkshire) wurde seit dem frühen 16. Jahrhundert die Süßholzwurzel kultiviert. Die daraus hergestellten "Pontefract Cakes" waren ursprünglich ein Arzneimittel, bis George Dunhill um 1760 in seiner Offizin eine Rezeptur entwickelte, die nicht für medizinische Indikationen bestimmt war: Er mischte Zucker und andere Zutaten in den Süßholzextrakt und kreierte eine neue Art von "Pontefract Cakes", die noch heute in Großbritannien populär ist. Seit 1972 gehört das Erbe des findigen englischen Apothekers, die Firma "Dunhills", zur Haribo-Gruppe.

Heilkräftiges Süßholz

Die heilsame Wirkung der Süßholzwurzel (Glycyrrhiza glabra), die auf ihrem Gehalt an Triterpensaponinen, insbesondere Glycyrrhizinsäure, beruht, ist seit der Antike bekannt. Ägyptische Papyri belegen, dass schon im Reich der Pharaonen Wurzeln der im Mittelmeerraum und Westasien heimischen Fabacee als Arzneimittel geschätzt waren. Theophrast schrieb, dass die "skythische Wurzel" antidiuretisch und durststillend wirkt. Griechische und römische Ärzte empfahlen ihren Patienten die Wurzelextrakte bei Husten, Erkältung und Katarrh. Auch die Chinesen schätzen das Süßholz schon lange als Arzneipflanze. In Mitteleuropa ist es erst seit dem Mittelalter bekannt. Hier wurde es insbesondere in der Gegend von Bamberg angebaut.

Die moderne Wissenschaft hat die expektorierende, sekretolytische und sekretomotorische Wirkung der Glycyrrhizinsäure nachgewiesen. Ferner wirken die Extrakte der Süßholzwurzel antibakteriell und antimykotisch. Die antiphlogistische Wirkung, die der Anwendung beim Ulcus ventriculi und U. duodeni zugrunde liegt, wird u. a. mit der Hemmung der Wanderung der Leukozyten zum Entzündungsort erklärt. Darüber hinaus ist ein Effekt gegen Hepatitis-A- und -C-Viren belegt.

"Reine" Inhaltsstoffe

Mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen konnte Hans Riegel wohl kaum für "Süßigkeiten mit Gesundheitseffekt" werben. Aber der gute Ruf der Lakritze als altbewährtes Heilmittel trug dazu bei, die Salmiak- und Veilchenpastillen, Lakritz-Menthol-Perlen, Schweizer Pektoral-Tabletten oder "Honigbienen" mit Bienenhonig und Hartgummi-Lakritze erfolgreich zu vermarkten.

Kabel, Pfeifen, Schnecken, Riesenstangen und andere Lakritz-Artikel aus der Gründerzeit, insbesondere aber Fruchtgummibären verführen heute noch "Kinder und Erwachsene ebenso" zum Naschen. Durch stetige Erweiterung der Produktpalette reagiert das Unternehmen auf kulturell bedingte Konsumgewohnheiten und aktuelle Trends. So werden für bestimmte Produkte Rohstoffe verwendet, die den Reinheitsgeboten des Judentums und Islams genügen, z. B. Rinder- statt Schweinegelatine. Sogar für vegetarisch lebende und lactoseintolerante Leckermäuler gibt es spezielle Süßigkeiten. Nach Angaben des Herstellers wird auch keine Stärke aus gentechnisch verändertem Mais verwendet.

Die zunehmende Prävalenz von Adipositas und Diabetes mellitus sollte indessen eine Mahnung sein, der Lust auf Süßes nur in Maßen zu frönen. Wie sagte doch einst Paracelsus? "Die Dosis macht das Gift."

 

Museum

Sächsisches Industriemuseum

Zwickauer Straße 119, 09112 Chemnitz

Tel. (03 71) 36 76-1 40, Fax 36 76-1 41, www.saechsisches-industriemuseum.de

Geöffnet: Montag bis Donnerstag 9 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag 10 bis 18 Uhr

Reinhard Wylegalla

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