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Explodiert die Bombe doch?

Peter Ditzel

Die apothekereigene Pharmagroßhandlung Sanacorp denkt darüber nach, auf den Wunsch von Pharmaherstellern einzugehen und ein Exklusivvertriebskonzept aufzubauen (Direct To Pharmacy, DTP). Das würde bedeuten, dass die Auslieferung bestimmter Produkte eines Herstellers deutschlandweit nur über diesen einen Großhändler erfolgt. Eine Bestellung dieser Arzneimittel über einen anderen Großhändler als Sanacorp wäre dann nicht mehr möglich.

Noch vor drei, vier Jahren ging ein Aufschrei der Entrüstung durchs Land, als Pfizer erstmals an die Großhändler herantrat, sie nicht mehr als Vollsortimenter nutzen zu wollen, sondern als simple Logistiker zu missbrauchen. Der Großhändler wird zum Spediteur, schrieben wir damals. Intention von Pfizer war es, die vollkommene Kontrolle über ihre Produkte vom Werk bis zur Apotheke zu erhalten. Der Hintergrund dieser geplanten Umstellung war rein merkantiler Natur: Aus dem deutschen (Niedrigpreis-)Markt flossen Pfizer-Arzneimittel auf dem Weg von Exportgeschäften in Länder wie beispielsweise England, in denen diese Arzneimittel teurer als in Deutschland verkauft wurden. Pfizer wollte nicht mit ansehen, wie sein Hochpreisgeschäft dort zusammenbrach. Offiziell verkaufte Pfizer sein Ansinnen als Beitrag für eine stärker kontrollierte Arzneimittelsicherheit. Wir nannten dieses Vorhaben damals eine Bombe. Das Zünden der Bombe konnte bisher verhindert werden.

Noch im September 2005 wehrte sich der Großhandelsverband Phagro vehement gegen das Ansinnen von Pfizer und die damit verbundene gravierende Beeinträchtigung des Systems der Arzneimittelversorgung. Die Rede war von einer "schwerwiegenden Beschränkung des Rechts der Apotheke auf freie Wahl ihrer Lieferanten". Doch die Gespräche zwischen Pfizer, Phagro und auch dem Deutschen Apothekerverband wurden seinerzeit ausgesetzt und meines Wissens nicht zu Ende geführt. Die Bombe konnte nicht entschärft werden.

Jetzt also holt Sanacorp-Chef Renner diese Bombe hervor und kann sich sogar vorstellen, dass das von ihm geführte Unternehmen auf ein DTP-Modell einsteigt. Er geht davon aus, dass dieses Modell, unabhängig davon, ob man es gut oder schlecht findet, "eindeutig nicht in unserer Entscheidungshoheit liegt". Renner wörtlich: "Wir müssen heute ganz klar davon ausgehen, dass diese Mutation in der Arzneimitteldistribution kommen wird." Bei bestimmten Großhandelsunternehmen soll dies bereits zu Überlegungen geführt haben, sich für einen Distributionsvertrag zu bewerben. Und somit ist auch Sanacorp dabei, sich dafür ins Spiel zu werfen. Die Genossenschaftsmitglieder sollen bereits Rückendeckung signalisiert und der Aufsichtsrat befürwortet haben, dass sich die Genossenschaft ins Exklusivvertriebsgeschäft einbringen sollte. Der Deutsche Apothekerverband gab zu erkennen, dass er seinen Segen zum Exklusivvertrieb geben wolle, wenn er sich denn nicht verhindern lasse und bevor dieser Weg von anderen besetzt werde.

Aber ist es tatsächlich schon so weit, dass man vor den Ansinnen, der Kontrollwut der Pharmariesen einknicken muss? Müssen sich die Großhändler, allen voran die apothekereigene Sanacorp, zum Handlanger und Steigbügelhalter eines neuen Vertriebssystems machen? Noch vor drei Jahren hallte ein Aufschrei der Entrüstung durchs Land, heute ruft man "ich mache mit, bevor es andere tun".

20 Prozent des Marktes sollen für das DTP-Geschäft angeblich zur Disposition stehen. Für die Apotheke bedeutet dies: der funktionierende Weg über den eigenen vollsortierten Großhandel wird zerstört. Bestimmte Arzneimittel können nur noch über einen Großhändler – praktisch wie per Versand über einen Logistiker – bezogen werden. Nicht in ein, zwei Stunden, sondern frühestens am nächsten oder übernächsten Tag trifft die Sendung in der Apotheke ein. Die Apotheke wird sich überlegen müssen, größere Mengen eines Arzneimittels zu bestellen (Kapitalbindung!), um lieferfähig zu sein und Lieferzeiten zu überbrücken. Patienten, Kunden werden öfters auf ihre Präparate warten müssen. Schaut man sich heute die bereits vorgenommenen Direktlieferungen von Firmen an, beispielsweise von Pfizer, so kann einem das Grausen kommen. Fehler in der Auslieferung, in der Fakturierung und lange Wartezeiten auf die Sendung sind nicht selten. Immer wieder beschweren sich Apotheken über die unzureichende Logistik der Hersteller. Ganz zu schweigen von den ökologischen Nachteilen (Packmaterial, Transportenergie) und dem ökonomischen Mehraufwand in der Apotheke, die einzelnen Päckchen auszupacken, Rechnungen zu kontrollieren und zu überweisen. DTP, ein Rückschritt in Logistikvorzeiten – und unsere Großhandlungen machen mit?


Peter Ditzel

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