Arzneimittel und Therapie

Doping auch in der Welt der Wissenschaft weit verbreitet?

"Gehirndoping" oder wissenschaftlicher "Neuro-Enhancement" heißt der Versuch, durch erhöhte Dopamin-Konzentrationen die Leistungsfähigkeit des Gehirns zu steigern. Nebenwirkungen sind weitgehend unbekannt, ethische Fragen und gesellschaftliche Folgen umstritten. Eine online-Umfrage unter den Lesern des britischen Wissenschaftsmagazin Nature zum Gebrauch verschiedener Neurostimulanzien ergab, dass sie unter den vorwiegend im medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereich aktiven Lesern offensichtlich stärker als bislang angenommen Verwendung finden.

Unter dem unmissverständlichen Titel "Professors little helper" veröffentlichte das Wissenschaftsmagazin Nature Ende 2007 einen Artikel von zwei britischen Mitarbeiterinnen der Universität Cambridge, die um Beantwortung verschiedener Fragen zur Diskussion über den Einsatz von Medikamenten zur Verbesserung kognitiver Leistungen in einem online-Forum baten [1]. Die Zeitschrift startete daraufhin eine eigene Aktion, die ihre Leser speziell über den Gebrauch der Arzneistoffe Methylphenidat (z. B. Ritalin®), Modafinil (Vigil®) sowie β-Blockern wie Propranolol befragte. Die Auswahl der Arzneistoffe folgte offensichtlich US-amerikanischen Erfahrungen: Methylphenidat, ein Dopamin-Wiederaufnahmehemmer, der vornehmlich zur Behandlung der ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) eingesetzt wird, ist in Deutschland in der Anlage 3 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgelistet und unterliegt einer gesonderten Verschreibungspflicht. Es wirkt stimulierend und gilt bei amerikanischen Studenten als "study aid". Modafinil, in den USA unter dem Handelsnamen Provigil® als "Wachmacher" und Doping-Substanz bei Sportlern bekannt geworden, wird zur Behandlung der Narkolepsie eingesetzt und war in Deutschland ebenfalls als Betäubungsmittel eingestuft, kann und muss aber neuerdings auf normalem Rezept verschrieben werden. Beta-Blocker wie Propranolol wurden wegen ihrer möglichen Anwendung bei Angststörungen gewählt. Die bis zum April 2008 eingegangenen Antworten wurden ausgewertet, wobei sich zum einen zeigte, dass der Einsatz dieser (und ähnlich wirkender) Arzneistoffe bei Wissenschaftlern und anderen Akademikern offensichtlich erstaunlich weit verbreitet ist. Bemerkenswert war aber zum anderen auch die sehr unterschiedliche Haltung der Befragten zum Gebrauch derartiger Mittel [2].

Etwa 1400 Antworten aus 60 Ländern bekam das Nature auf seine Aktion. Rund 20% der Befragten gaben an, mindestens eines der genannten Medikamente benutzt zu haben, um Wahrnehmung, Konzentration oder Gedächtnis zu stimulieren. Überraschenderweise unterschied sich der Gebrauch innerhalb verschiedener Altersgruppen nicht wesentlich, obwohl davon auszugehen ist, dass stimulierende Medikamente vorwiegend in der Gruppe der 18-25-Jährigen und unter Studenten Verwendung finden. 62% gaben an, Methylphenidat genommen zu haben, gefolgt von Modafinil (44%) und β-Blockern (15%); offensichtlich waren von einigen Befragten mindestens zwei der Medikamente genommen worden. Auch andere Amphetamine wurden in einer genaueren Nachfrage genannt. Etwa ein Drittel der Befragten hatten ihre Medikamente über das Internet bezogen, 52% nach Verschreibung erhalten. Von den wenigen Beantwortern aus Großbritannien (n = 14) nannten alle bis auf einen das Internet als Quelle.

Stimulanzien für alle?

Speziell zum ethischen Umgang mit Neurostimulanzien befragt, gaben 96% der Befragten an, dass Personen mit schwerwiegenden Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen entsprechende Medikamente verordnet bekommen sollten. Erstaunlicherweise waren etwa 80% der Meinung, dass gesunde Erwachsene über den Gebrauch allein entscheiden sollten, und 69% würden "milde" Nebenwirkungen in Kauf nehmen. Zwei Drittel gaben an, dass sie Kollegen kennen, die solche Medikamente einnehmen. Immerhin 86% waren der Meinung, Kinder unter 16 Jahren sollten derartige Mittel nicht bekommen, aber ein Drittel würde sich als Eltern "unter Druck" fühlen, wenn andere Kinder in der Schule sie nehmen würden.

 

Quelle

[1] Sakahian, B.; Morein-Zamir S.: Professor’s little helper. Nature 2007; 450: 1157-1159.

[2] Maher, B.: Poll results: look who’s doping. Nature 2008; 452: 674-675.


Dr. Hans-Peter Hanssen, Universität Hamburg, Institut für Pharmazeutische Biologie und Mikrobiologie, Bundesstr. 45, 20146 Hamburg, hans-peter.hanssen@hamburg.de

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