Praxis aktuell

Biosimilars sind keine Generika

Seit April 2008 muss eine Aut-idem-Substitution bei Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke nach den grundlegend geänderten Vorgaben des nunmehr geltenden modifizierten Rahmenvertrags durchgeführt werden. Trifft dies auch für Biopharmazeutika zu? Der Beitrag befasst sich am Beispiel von Wachstumshormon-Präparaten mit der Frage, ob auch Biosimilars ausgetauscht werden können. Unter rechtlichen und pharmazeutisch-wissenschaftlichen Aspekten kommt der Autor zu dem Schluss, dass hier keine Substitution durch den Apotheker vorgenommen werden kann.

Die beim aktuellen Rahmenvertrag neu zu beachtenden Voraussetzungen sehen vor, dass für einen Austausch innerhalb wirkstoffgleicher Alternativpräparate eine gleiche Wirkstärke, Indikation, Packungsgröße sowie eine zumindest austauschbare Darreichungsform vorliegen muss. Wie aber sieht die Substituierbarkeit bei Biopharmazeutika aus? Als wirkstoffgleich im Sinne dieses Vertrages gelten Ester, verschiedene Salze, Isomere und Mischungen von Isomeren sowie Komplexe und Derivate eines Wirkstoffs.

Eine ausführliche Stellungnahme der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) verdeutlicht beispielhaft den fachlich begründeten Bedarf, diverse Inhalte dringend nachbessern zu müssen, um eine verantwortungsgerechte Substitutionspraxis wirkstoffgleicher generischer Arzneimittel durch den Apotheker zu ermöglichen. [1]

Vorläufig jedoch ist in der täglichen Praxis nicht nur einer teils erheblichen Verunsicherung aller Beteiligten sowie in Einzelfällen nachhaltig einem zum Ausdruck gebrachten Unmut zu begegnen, sondern es ist zwangsläufig auch notwendig, Abgabe und etwaigen Austausch im Sinne der aktuellen Rechtslage vorzunehmen.

Das sicherlich wichtigste Arbeitsmittel hierzu sind die gängigen apothekenspezifischen Softwareprogramme. Letztendlich ist es unabdingbar, die konkreten Austauschvorschläge der Datenbankanbieter in gebotener Weise einer fachlichen Prüfung zu unterziehen, um eine qualitätsgerechte und fehlerfreie Substitutionspraxis durchzuführen.

Ein entsprechendes Vorgehen wäre sicherlich schon ausreichend durch den genannten Forderungskatalog der DPhG begründet; leider wird die ohnehin schon komplexe Problematik aber in letzter Zeit auch durch sowohl rechtlich als auch fachlich nicht nachvollziehbare Austauschvorschläge fokussiert.

So fordert seit Mitte April die Apothekensoftware zumindest einiger Softwareanbieter den Apotheker auf, statt des ärztlich verordneten somatropinhaltigen Arzneimittels Genotropin® 5 mg Trs 5 St N1 das Somatropin-Biosimilar Omnitrope® 5 mg Trs 5 St N1 im Rahmen eines Aut-idem-Austauschs abzugeben.

Die Unzulässigkeit einer Aut-idem-Substitution von Biopharmazeutika ist hierbei nicht nur für Wachstumshormon-Präparate herzuleiten, sondern allgemein durch rechtliche und auch fachliche Aspekte zu begründen.

Die rechtlichen Aspekte

Bekanntermaßen besteht nach Patentablauf eines entsprechenden Wirkstoffs für die Nachfolgeprodukte der jeweiligen Biopharmazeutika ein zentrales europäisches Zulassungsverfahren. Die EMEA stellt als zuständige Behörde ausdrücklich fest, dass entsprechende biologische Produkte definitionsgemäß keine Generika sind, somit für diese Produkte das für Generika geltende Zulassungsverfahren wissenschaftlich nicht geeignet ist, und spezifiziert eine umfängliche Abgrenzung zu den Generika schon begrifflich durch die übergeordnete Bezeichnung als sogenannte Biosimilars [2]: "Es sollte akzeptiert werden, dass es sich schon per Definition bei ähnlichen Arzneimitteln nicht um generische Arzneimittel handelt, da davon ausgegangen werden kann, dass zwischen ähnlichen biologischen Arzneimitteln von verschiedenen Herstellern oder im Vergleich mit Referenzsubstanzen feine Unterschiede zu erwarten sind, die möglicherweise vor einem breiten klinischen Einsatz nicht voll ersichtlich sind. Daher sollte das jeweilige Arzneimittel, das einem einzelnen Patienten verabreicht wird, klar identifiziert werden können, um das Monitoring im Rahmen der Pharmakovigilanz zu unterstützen."

Im Ergebnis muss die – auch nach dem nunmehr modifizierten Rahmenvertrag nach § 129 SGB V zwingend festgeschriebene – Voraussetzung der Wirkstoffgleichheit für Biosimilars verneint werden und mithin fehlt die Grundvoraussetzung für eine Aut-idem-Substitution.

Die derzeit bestehende Relevanz in der Apothekenpraxis wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass eine aktuelle Zulassungssituation der Biosimilars für nunmehr ein Somatropin-Produkt, drei Epoetin alfa-Produkte sowie zwei Epoetin zeta-Produkte besteht. Für vier weitere Biosimilars (Wirkstoff: Filgrastim) hat das Expertengremium der EMEA, das CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use), im Februar 2008 Zulassungsempfehlungen ausgesprochen. Die offiziellen Zulassungen durch die Europäische Kommission sind unmittelbar zu erwarten.

Es sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass auch Stellungnahmen des Bundesgesundheitsministeriums und den Veröffentlichungen diverser KV-Landesverbände zu entnehmen ist, dass Biosimilars völlig unstreitig keine Generika sind. [3]

Zum Nachlesen

Biosimilars

Zum Thema Biosimilars finden Sie einen lesenswerten Beitrag von Professor Theo Dingermann und Dr. Ilse Zündorf in DAZ 2007, Nr. 38, S. 68: "Biosimilars – ähnlich aber nicht gleich."

Ebenfalls äußerte bereits im Jahr 2002 das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für Impfstoffe grundsätzliche Bedenken, diese auf der Basis der deklarierten Wirkstoffe auszutauschen. "Im Gegensatz zu Pharmazeutika ist für biologische Arzneimittel die Identität der Wirkstoffe chemisch nicht eindeutig zu definieren. Vielmehr haben die eingesetzten Ausgangsstoffe (z. B. Mikroorganismen, Zellkulturen, biotechnologische Zellkonstruktionen), die Art der Herstellung (z. B. Züchtung, Fermentierung, Inaktivierung) sowie die Formulierung (z. B. Adsorption, Adjuvanzien, Stabilisatoren) einen entscheidenden Einfluss auf die aktive Substanz und damit auf die Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels."

Erheblich restriktiver erscheint im Vergleich sogar die Gesetzgebung im europäischen Ausland. So wurde in Frankreich im Februar 2007 ein neues Arzneimittelgesetz verabschiedet, das dezidierte Verbotsbestimmungen einer automatischen Substitution eines biotechnologischen Originalprodukts durch Apotheker ohne ausdrückliche Zustimmung des verordnenden Arztes vorsieht. Seit September 2007 besteht eine derartige Vorschrift auch in Spanien.

Die pharmazeutisch-wissenschaftlichen Aspekte

Das breite Spektrum der zahlreichen Aspekte, die bei Auswahl eines Biopharmazeutikums zu beachten sind, verdeutlichen nachhaltig die vielfältigen Detailfragen, die der Apotheker im Falle einer Umstellung jeweils beachten sollte, um insoweit betroffene Patienten und auch Verordner verantwortungsgerecht beraten zu können. [4] Insbesondere auch Unterschiede zu abweichenden Applikationssystemen, Stabilitäten, Zusammensetzung der Hilfsstoffe, Transport- und Lagervorschriften müssen beratend erläutert werden, da ein etwaiger Fehlgebrauch die Arzneimittelsicherheit für diese Produkte in hohem Maß gefährdet.

Die somit notwendigen unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe für chemisch-physikalisch definierte bzw. für biologische Arzneimittel werden gelegentlich durch eine Betrachtung veranschaulicht, nach der bei synthetisch hergestellten kleinen Arzneistoffmolekülen das eigentliche Produkt, also der Wirkstoff, die Qualität bestimmt, für ein biologisches Molekül die Qualität jedoch in signifikanter Weise durch den Herstellungsprozess bestimmt wird. Anders als bei chemischen Produkten sind einzelne Chargen eines biopharmazeutischen Produkts als Resultat der zufälligen Variabilität der Prozesse in lebenden Organismen also zwangsläufig heterogen.

Dieser Umstand führt letztlich dazu, dass für zwei aus unterschiedlichen Zellbänken hergestellte biologische Arzneistoffe bzw. Biosimilars nicht vorausgesetzt werden kann, dass – obwohl sie sich ggf. in den In-vitro-Tests nicht unterscheiden – sie einheitliche klinische Eigenschaften haben und somit sich etwaige Unterschiede leider auch in differierender Immunogenität ausdrücken können.

Da die Fragestellungen zu Immunogenitätspotenzialen zum Zeitpunkt der Markteinführung auch durch die vorliegenden klinischen Studien nicht zweifelsfrei beantwortet werden können, verlangt die EMEA für alle Biosimilars ein umfangreiches Postmarketing-Pharmakovigilanz (PV)-Programm inklusive einer Postmarketing Safety Studie sowie die Vorlage eines Risiko-Management-Plans.

Wie auch bei Behandlung mit Wachstumshormon-Präparaten handelt es sich bei einer Vielzahl der Indikationsgebiete von Biopharmazeutika um Langzeit- oder Dauertherapien. So kommt dem Zeitpunkt des Behandlungsbeginns entscheidende Bedeutung zu, da hier unter Abwägung aller notwendigen Entscheidungsparameter festgelegt wird, ein Referenzmedikament oder ein Biosimilar einzusetzen.

In der zugänglichen Literatur wird eine Therapieumstellung für das hier vorliegende Beispiel des Wachstumshormons kritisch diskutiert. [5, 6] Auch die aktuelle Empfehlung der EMEA zur Therapieumstellung, also zur Aut-idem-Problematik, lautet, dass "die Entscheidung, einen Patienten mit einem Referenzmedikament oder einem Biosimilar zu behandeln, im Ermessen des behandelnden Arztes" liegen muss.

Im Ergebnis sollte für das konkrete Beispiel der fraglichen Substitutionsmöglichkeit von Wachstumshormon-Präparaten somit nicht zuletzt auch der Pharmakovigilanzauftrag aller Beteiligten einem entsprechend unkritischen Präparateaustausch widersprechen müssen.

Schon in näherer Zukunft werden für zahlreiche weitere Biopharmazeutika Patentschutzfristen erlöschen. So verwundert es nicht, dass eine beständig wachsende Anzahl pharmazeutischer Unternehmen konkrete Zulassungsvorhaben zu diversen Biosimilars vorantreibt, um zukünftige Marktanteile erobern zu können.

In der täglichen Praxis sollte hierbei grundlegend beachtet werden, dass Biosimilars keine Generika sind.

Da demnach für diese Präparate keine Wirkstoffgleichheit gegeben sein kann, welche jedoch – nach den aktuellen Vorgaben, die der Apotheker seit 1. April des Jahres gemäß dem modifizierten Rahmenvertrag nach § 129 SGB V bei der Auswahl preisgünstiger Arzneimittel zu beachten hat – ausdrücklich für einen regulären Aut-idem-Austausch vorauszusetzen wäre, kann auf Grundlage des Rahmenvertrages keine Substitution durch den Apotheker vorgenommen werden.

 

Literatur:

[1] DPhG-Statement; Dtsch Apoth Ztg 2008;148:1902-03,

[2] vgl. Doc. Ref EMEA/393905/2006 und 74562/200

[3] KV Sachsen – KVS-Mitteilung 3/08 zur Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln

[4] M.Bohn, F.Dörje, I.Krämer; Checkliste zur Bewertung von Biopharmazeutika, Krankenhauspharmazie 2007;28:427-435

[5] M.Pavlovic et al.; Similar Biological Medicinal Products Containing Recombinant Human Growth Hormone: European Regulation; Horm Res 2008;69:14-21

[6] M.Ranke; New Preparations Comprising Recombinant Human Growth Hormone: Deliberations on the Issue of Biosimilars; Horm Res 2008;69:22-28

 


Anschrift des Autors

Dr. Matthias Bohn, 
Leitender Pharmaziedirektor, 
Apotheke der Universitätsmedizin Göttingen, 
Robert-Koch Str. 40, 
37075 Göttingen

 

 

 

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