Medizin

Was ist eigentlich ... Morbus Meulengracht?

Wenn sich die Skleren gelblich verfärben, dann muss sich dahinter nicht zwangsläufig eine Hepatitis oder eine andere schwerwiegende Erkrankung verbergen. Es kann sich auch um eine harmlose Erhöhung des unkonjugierten Bilirubinspiegels handeln. Die Ursache dafür ist in einem Mangel und einer zu geringen Aktivität des für die Bilirubin-Glucuronidierung notwendigen Enzyms zu suchen. Sie ist genetisch bedingt und kann auch Auswirkungen auf den Arzneistoffmetabolismus haben.

Der Morbus Meulengracht (auch als Morbus Gilbert, Morbus Gilbert-Meulengracht oder als Icterus intermittens juvenilis bezeichnet) ist eine gutartige, genetisch bedingte Erkrankung, die in der Regel mit keinen schwerwiegenden Symptomen einhergeht.

 

 

Benannt wurde sie nach dem dänischen Internisten Jens Einar Meulengracht (1887 – 1976), der maßgeblich an der Erforschung dieser Krankheit beteiligt war. Ein weiterer Namensgeber ist Augustin Nicolas Gilbert (1858 – 1927), der bereits um 1900 an der Krankheit forschte.

 

Morbus Meulengracht ist die Folge einer autosomal-rezessiv vererbbaren Störung des Bilirubinstoffwechsels, die zu einer leichten Hyperbilirubinämie führt.

 

Zu viel unkonjugiertes Bilirubin

Bilirubin ist ein Abbauprodukt des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin und entsteht beim Abbau von Erythrozyten. Das Hämoglobin wird mittels der Häm-Oxygenase über α-Hydroxyhämin zu Biliverdin abgebaut. Biliverdin wird mittels der Biliverdin-Reduktase zu unkonjugiertem Bilirubin reduziert. Zu diesem Zeitpunkt ist es noch nicht wasserlöslich. Es wird als "indirektes Bilirubin" bezeichnet und kann im Blut nur an Eiweiß gebunden transportiert werden. Damit es über Urin und Galle ausgeschieden werden kann, muss es mithilfe einer Glucuronyltransferase in konjugiertes oder auch direktes Bilirubin überführt werden. Bei Morbus Meulengracht führt ein Gendefekt dazu, dass die entsprechende Glucuronyltransferase in geringerer Menge und geringerer Aktivität (ca. 30 Prozent des Normwertes) gebildet wird. Unter diesem Gendefekt leiden ungefähr fünf Prozent der Bevölkerung. Die Erkrankung betrifft mehr Männer als Frauen und manifestiert sich meist nach der Pubertät. Etwa ab dem 40. Lebensjahr "wächst sie sich aus".

 

In den meisten Fällen macht die Krankheit überhaupt keine Beschwerden. Einziges Symptom ist ein von Tag zu Tag schwankender Bilirubinwert. Dieser kann an einer wechselnden Gelbfärbung der Skleren zu erkennen sein. Diese Verfärbung bemerkt meistens nicht der Patient selbst, sondern Verwandte/Bekannte entdecken die gelbliche Färbung der sonst weißen Bindehaut der Augen. Vor allem in Zusammenhang mit Infektionen oder Fasten kann es zu verstärkter Gelbfärbung, gelegentlich sogar zu Unwohlsein, Übelkeit und einem unangenehmen Gefühl im Bereich der Leber kommen. Diese Symptome unterscheiden sich aber vermutlich nicht wesentlich von Patienten mit Infektionen ohne Morbus Meulengracht. Auch intensiver Alkoholkonsum am Vortag kann zur Verstärkung der Gelbfärbung führen.

 

Wie wird die Erkrankung diagnostiziert?

Im Blut finden sich erhöhte Werte für das indirekte Bilirubin (bis 5 mg/dl; Norm: bis 1 mg/dl) bei sonst normalen Laborwerten. Die Sonografie der Leber zeigt eine unauffällige Leber ohne Zeichen einer besonderen Verfettung oder eines zirrhotischen Umbaus. Ein weiterer Beweis ist ein positiver Nicotinsäure- beziehungsweise Fastentest. Durch dreitägige Kalorienreduktion auf 600 kcal/d oder Verabreichung von 50 mg Nicotinsäure intravenös erfolgt ein Anstieg des Bilirubins, besonders des indirekten Bilirubins. Diese Tests haben für die Diagnosestellung aber keine entscheidende Bedeutung, da die Diagnose auch ohne die Tests gestellt werden kann. Die histologische Untersuchung einer Leberbiopsie ist bis auf eine vermehrte Einlagerung des Pigments Lipofuszin unauffällig und daher auch nicht notwendig. Lipofuszin ist ein stark lipidhaltiges Pigment, welches beim Abbau von Phagosomen durch Lysosomen entsteht. Die Menge an Lipofuszin in den Zellen eines Organismus nimmt mit dem Alter zu, weshalb es auch als Alterspigment gedeutet wird. Molekulargenetisch kann die Diagnose durch Analyse des Gens für die Glucuronyltransferasen gestellt werden.

 

Indiziert ist eine Untersuchung bei folgenden Symptomen: Unklare Hyperbilirubinämie, familiäre Hyperbilirubinämie, Abklärung eines Neugeborenenikterus.

 

Auf Medikamente achten

Für diese Erkrankung existiert keine Therapie, da das defekte Enzym in keiner Form repariert oder dem Körper zugeführt werden kann. Vor allen Dingen ist für den Morbus Meulengracht auch keine Therapie notwendig, da weder wesentliche Beschwerden noch eine Einschränkung der Lebenserwartung bestehen. Betroffene Patienten sollten über die Harmlosigkeit der Stoffwechselstörung aufgeklärt werden. Allenfalls sollte eine vernünftige Lebensführung mit genügender Kalorienzufuhr empfohlen werden. Vorsicht ist bei der Therapie mit Arzneistoffen geboten, für deren Elimination entsprechende Glucuronyltransferasen notwendig sind (s. Kasten).

 

Glucuronyltransferasen

 

Glucuronyltransferasen (Uridin-5´-diphosphat-Glucuronosyltransferasen, UGT) lassen sich in zwei Familien (UGT 1 und UGT 2) mit insgesamt 19 Enzymen einteilen. Alle UGT 1-Enzyme, zur denen auch die für die Bilirubin-Glucuronidierung zuständige Glucuronyltransferase zählt, werden nicht von verschiedenen Genen, sondern von einem Gen kodiert. Durch gewebespezifisches Herausschneiden (alternatives Splicing) werden aus diesem Gen neun unterschiedliche Proteine erzeugt. Glucuronyltransferasen sind in der Lage, eine Vielzahl von Arzneistoffen und endogenen Substraten zu glucuronidieren und schaffen damit die Voraussetzung für deren Elimination:

• UGT 1A1: Bilirubin, Ethinylestradiol, SN 38 (Irinotecan-Metabolit), Etoposid

 

 • UGT 1A3: Norbuprenorphin

 

 • UGT 1A4: Amitriptylin, Imipramin

 

 • UGT 1A6: Naproxen, Paracetamol

 

 • UGT 1A9: Propofol

 

 • UGT 2B7: Codein, Ibuprofen, Ketoprofen, Lorazepam, Morphin, Naproxen

 

 
[nach Mutschler E: Arzneimittelwirkungen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart, 2008]

 

Quelle
Bosma et al.: N. Engl. J. Med. 1999; 333: 1171-1175
Monaghan et al.: J Pediatrics 1999;134: 441-6
Sampietro and Iolascon: Haematologica 1999; 84: 150-7
Baenkler H-W: Innere Medizin (Duale Reihe). Thieme Verlag Stuttgart, 2002

 

Dr. Ingo Blank, Gärtringen

 

 

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