DAZ aktuell

Entscheidung rückt näher

STUTTGART (hst). Auch wenn sich in der materiell-rechtlichen Auseinandersetzung um das rechtskonforme Zustandekommen von Arzneimittel-Rabattverträgen nichts tut, geht es bei der Rechtswegfrage zu den Verträgen schrittweise voran. Zum einen liegen jetzt die Entscheidungsgründe des Bundessozialgerichts zu dessen Entscheidung vom 22. April 2008 vor, zum anderen hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf mit Beschluss vom 30. April 2008, dessen Begründung ebenfalls vorliegt, die Zuständigkeitsfrage dem Bundesgerichtshof (BGH) vorgelegt. Damit entscheidet der gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte nun endgültig über die Rechtswegfrage bei Arzneimittel-Rabattverträgen.

Nach Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG) handelt es sich bei den von Vergabekammern erlassenen Zuschlagsverboten um Verwaltungsakte, die vor den Sozialgerichten angefochten werden können. Zuschlagsverbote der Vergabekammern seien keine nach § 17a Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) bindenden Rechtswegentscheidungen, da Vergabekammern Verwaltungsbehörden und keine Gerichte seien.

Auch der Beschluss des OLG Düsseldorf vom 18. Dezember 2007, in dem das OLG den zu ihm beschrittenen Zivilrechtsweg für zulässig erklärt hatte, sei keine bindende Rechtswegentscheidung. Bemerkenswert erscheint indes die Begründung: Diese OLG-Entscheidung sei wegen "offensichtlicher Unhaltbarkeit unbeachtlich". Die Haltlosigkeit der Begründung des OLG liege auf der Hand. Weiter führt das BSG aus, dass sich aus § 130a SGB V und § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Rechtswegzuweisung an die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ergibt. Der Wortlaut dieser Bestimmungen, die Systematik, der Sachzusammenhang zwischen Prozessrecht und materiellem Leistungserbringerrecht sprächen dafür, dass die auf die Gewährung von Primärrechtsschutz gerichteten Entscheidungen der Vergabekammern in jedem Fall durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zu überprüfen seien.

Weder im Grundgesetz noch im EG-Recht erkennt das BSG Vorgaben, wonach eine Überprüfung von Entscheidungen der Vergabekammern allein durch die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Betracht komme. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Sozialgerichte dem Anliegen des Gesetzes, für rasche Rechtsklarheit zu sorgen, aus strukturellen Gründen nicht Rechnung tragen könnten. Ebenso wenig verlange die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), dass nur Zivilgerichte bzw. Oberlandesgerichte über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten der Vergabekammern entschieden.

Zuschlagsverbot ein wirksamer Verwaltungsakt

Das OLG Düsseldorf nahm ein Vergabenachprüfungsverfahren zum Anlass, um die Rechtswegentscheidung vor den gemeinsamen Senat der obersten Bundesgerichte zu bringen. In dem Verfahren ging es um die sofortige Beschwerde eines Arzneimittelherstellers gegen den Beschluss der Bundesvergabekammer vom 16. Januar 2008, mit dem die Bundesvergabekammer es abgelehnt hatte, den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKs) die Festsetzung eines Zwangsgeldes anzudrohen und zu vollstrecken, um die AOKs zur sofortigen Befolgung des entsprechenden Zuschlagsverbotes zu veranlassen.

Das OLG Düsseldorf führt in dem Beschluss aus, dass das Begehren des Arzneimittelherstellers begründet ist und die Voraussetzungen der Androhung von Zwangsgeldern gegen die AOKs gegeben seien. Das Zuschlagsverbot sei ein wirksamer und vollstreckungsfähiger Verwaltungsakt. Für die Vollstreckung bestünde trotz des Beschlusses des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 27. Februar 2008, der den AOKs die Zuschlagserteilung für insgesamt 60 Wirkstoffe untersagt, auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Ob die Gefahr bestanden habe oder noch bestehe, dass sich die AOKs rechtswidrig über das Zuschlagsverbot der Vergabekammer vom 15. November 2007 hinwegsetzten, könne dahingestellt bleiben. Eine derartige Gefahr sei nämlich nicht Voraussetzung für die Androhung eines Zwangsmittels.

Wollte das OLG dem Antrag des Arzneimittel-Herstellers stattgeben und Zwangsmittel gegen die AOKs androhen, würde es von dem rechtskräftigen Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 27. Februar 2008 abweichen. Dies zwinge in entsprechender Anwendung des § 124 Abs. 2 GWB zur Vorlage der Sache an den BGH. Dass es sich beim LSG nicht um ein Oberlandesgericht handele, sei irrelevant. Mit der Regelung des § 124 Abs. 2 GWB solle eine bundeseinheitliche Rechtsprechung in Vergabesachen erreicht werden. Da die Vergabesenate beim OLG als letzte Instanz entschieden, könne es in Vergabesachen zu divergierenden Entscheidungen kommen, die nur durch eine entsprechende Vorlage an den BGH aufgelöst werden könnten. Das gelte erst recht, wenn ein Gericht einer anderen Gerichtsbarkeit wie nunmehr das LSG eine vergaberechtliche Streitigkeit entschieden habe. Die durch diese divergierende Rechtsprechung entstandene Rechtsunsicherheit ließe sich nur durch eine Vorlage der Sache an den BGH auflösen.

Die Rechtswegfrage

Mit dem Vorlage- und Divergenzbeschluss des OLG Düsseldorf ist eine wichtige Voraussetzung zur endgültigen Klärung der Rechtswegfrage durch den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichte des Bundes geschaffen worden. Hält im Vorlageverfahren der BGH den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ebenfalls für gegeben, entscheidet der gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes die Zuständigkeitsfrage endgültig. Dem Vernehmen nach ist nicht absehbar, wann mit einer Entscheidung des BGH und anschließend mit einer Entscheidung des gemeinsamen Senats zu rechnen ist.

Die dargestellten Beschlüsse betreffen lediglich die Rechtswegfrage. Keines der beiden Gerichte hat über die materiell-rechtlichen Fragen entschieden, ob öffentlich-rechtliche Krankenkassen in der Bundesrepublik Deutschland öffentliche Auftraggeber sind und es sich bei den durch die AOKs ausgeschriebenen Rabattverträgen um öffentliche Lieferaufträge im Sinne des Kartellvergaberechts handelt und Arzneimittelrabattverträge deshalb europaweit ausgeschrieben werden müssen. Über diese Fragen wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) voraussichtlich Anfang 2009 entscheiden, nachdem das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 23. Mai 2007 diese Fragen dem EuGH vorgelegt hat. Weitere Entscheidungen hierzu könnten auch das Ergebnis des von der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens sein (vergl. hierzu auch den folgenden Beitrag).

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