Fortbildungskongress

Bei älteren Patienten Übermedikation vermeiden

Um die Pharmakotherapie älterer Patienten rational zu gestalten, müssen Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Bonn, zufolge vier Punkte beachtet werden: Das Arzneimittel muss sorgfältig ausgewählt, die Dosis an die veränderte Organfunktion angepasst, die Compliance gefördert und die Medikation regelmäßig überprüft werden.

Die Gruppe der 75- bis 85-jährigen Menschen nimmt die meisten Arzneimittel ein, jeder dritte von ihnen erhält mehr als acht ärztlich verordnete Medikamente, hinzu kommen Mittel der Selbstmedikation und Hausmittel. Dementsprechend ist auch die Rate unerwünschter Wirkungen besonders hoch, da neben physiologischen Veränderungen sowie Über- und -Unterdosierungen zusätzlich Wechselwirkungen auftreten. Unerwünschte Wirkungen sind vor allem auf Herz-Kreislauf-Medikamente, Antidiabetika, Diuretika, nichtsteroidale Antirheumatika, Laxantien und Psychopharmaka zurückzuführen, das heißt auf die Medikamentengruppen, die im Alter besonders häufig verordnet werden. Konsequenzen aus dem Auftreten unerwünschter Arzneimittelwirkungen sind eine mangelhafte Compliance und möglicherweise Krankenhauseinweisungen, was insbesonders für ältere, leichtgewichtige Frauen zutrifft. Eine genauere Analyse zeigt, dass bei einer korrekten Dosierung mehr als 40% dieser Krankenhauseinweisungen vermeidbar gewesen wären.

Ein weiteres Problem sind die sogenannten "Verschreibungs-Kaskaden", wenn zur Linderung unerwünschter Wirkungen neue Arzneimittel verordnet werden. Ferner können Kommunikationsprobleme auftreten, und eine ungenaue Schilderung der Beschwerden kann sich in einer erneuten Medikamentenverordnung niederschlagen, obwohl diese nicht indiziert ist.

Start low, go slow

Gerade bei älteren Patienten müssen die Arzneimittel individuell dosiert und pharmakokinetische und pharmakodynamische Besonderheiten berücksichtigt werden. So verändern sich im Alter Resorption, Verteilung, Proteinbindung sowie die renale und hepatische Exkretion, was zu einem verstärkten oder abgeschwächten Effekt des Arzneimittels führen kann. Jaehde führte als Beispiel die stärkere Wirkung von Anticholinergika und Benzodiazepinen sowie die reduzierte Wirkung von Betablockern auf. Bei der Dosisfindung müssen neben dem Körpergewicht vor allem die Nieren- und Leberfunktion berücksichtigt werden. Zur Einschätzung der Nierenfunktion wird die Kreatinin-Clearance (Ermittlung nach Cockroft und Gault) herangezogen; die Dosierung erfolgt dann unter Berücksichtigung eines Korrekturfaktors. Bei der Anpassung der Dosis an die Leberfunktion wird zwischen Arzneistoffen mit hoher und geringer hepatischer Extraktion unterschieden. Bei Wirkstoffen der ersten Gruppe muss mit einer niedrigen Initialdosis begonnen werden, die Erhaltungsdosis ist ebenfalls reduziert. Der Grundsatz "start low, go slow" kann generell für die Dosierung von Arzneimitteln bei älteren Patienten gelten, da die Effekte eines Wirkstoffs schwer vorauszusagen sind. Des Weiteren sollten Medikamente, die die Sturzgefahr erhöhen, besonders zurückhaltend verordnet werden.


Hilfsmittel bei der Therapieauswahl und Dosierung


  • Beers-Liste: Zusammenstellung von Arzneistoffen, die bei älteren Patienten mit besonderen Risiken assoziiert sind
  • www.dosing.de: Programm des Universitätsklinikums Heidelberg zur Dosisberechnung in Abhängigkeit der Nierenfunktion
  • Erstellen und regelmäßige Überprüfung eines individuellen Therapieplans

Überflüssige Therapien

Häufig werden ältere Menschen übertherapiert, da ihre Medikation nicht regelmäßig überprüft wird und Mehrfachverordnungen und Akuttherapien langfristig übernommen werden. Daher sollte engmaschig kontrolliert werden, ob tatsächlich alle Arzneimittel benötigt werden. Neu auftretende Symptome wie etwa Verwirrtheit oder Stürze können ihre Ursache in einer falschen Arzneimitteltherapie haben und sollten vor Verordnung eines weiteren Medikaments genau analysiert werden. Jaehde betonte in diesem Zusammenhang, es sei ebenso wichtig, eine Behandlung zu beenden, wie sie zu beginnen.


pj

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.