Medizin

Was ist eigentlich …ein multiples Myelom?

Das multiple Myelom oder auch Plasmozytom tritt vergleichsweise selten auf. Es ist aber der häufigste Tumor von Knochen und Knochenmark. Pro Jahr erkranken etwa drei bis vier Menschen von 100.000 an dieser Tumorerkrankung. Drei Viertel aller Patienten sind älter als 60 Jahre. Letztendlich sind die genauen Ursachen des Plasmozytoms noch nicht geklärt. Für eine genetische Komponente spricht die familiäre Häufigkeit. Auch ionisierende Strahlen scheinen die Entstehung zu begünstigen.

Das multiple Myelom ist eine bösartige Tumorerkrankung aus der Gruppe der weniger malignen Non-Hodgkin-Lymphome (NHL). Sein Ursprung liegt wie bei allen Lymphomen im lymphatischen Gewebe.

Die Bezeichnung "multiples Myelom" erhielt es wegen seines charakteristischen Erscheinungsbildes: multiple Tumorherde im Knochenmark (sogenannte Myelome). Ist bei einem Patienten nur ein Krankheitsherd vorhanden, wird vom solitären Plasmozytom gesprochen. Die Erkrankung wurde 1873 erstmals von J. v. Rustizky als "Multiples Myelom" beschrieben. 16 Jahre später veröffentlichte Otto Kahler Beschreibungen dieser Erkrankung, die nach ihm auch heute noch als Morbus Kahler bezeichnet wird.

Das Plasmozytom entsteht durch die Entartung einer einzigen Plasmazelle. Plasmazellen gehören zu den Leukozyten und sind im Knochenmark und anderen Körpergeweben zu finden. Sie produzieren Antikörper zur Krankheitsabwehr. Kommt es bei der Ausdifferenzierung von Plasmazellen im Knochenmark zur Entartung einer dieser Zellen und vermehrt sich diese unkontrolliert, entstehen bösartige Wucherungen. Folge ist eine übermäßige, krankhafte Produktion von Antikörpern und Eiweißstoffen (sogenannte Paraproteine) mit Verdrängung der normalen Blutbildung im Knochenmark.

Drei Stadien

Plasmozytome werden abhängig von der Myelomzellmasse in drei Stadien eingeteilt (nach Durie und Salmon).

Stadium I A und B

(alle folgenden Kriterien sind erfüllt): Hämoglobin > 10 g/dl, Serumcalcium normal, normale Knochenstruktur oder nur ein solitärer Herd (Röntgen), niedrige Myelomproteinkonzentration: IgG < 50 g/l (Serum), IgA < 30 g/l (Serum), Bence Jones-Protein < 4 g/24 h (Urin)

 

Stadium II A und B:

Weder Stadium I noch Stadium III

 

Stadium III A und B

(mindestens eines der folgenden Kriterien ist erfüllt): Hämoglobin < 8,5 g/dl, Serumcalcium erhöht, fortgeschrittene Knochenläsionen, hohe Myelomproteinkonzentration: IgG > 70 g/l (Serum), IgA > 50 g/l (Serum), Bence-Jones-Protein > 12 g/24 h (Urin)

 

 

Die Nierenfunktion spielt eine wesentliche Rolle bei der Prognose. Deshalb wird sie in der Stadieneinteilung berücksichtigt. Ein A neben der Stadieneinteilung kennzeichnet eine normale Nierenfunktion (unter anderem Kreatinin < 176 mmol/l beziehungsweise < 2 mg/dl), ein B eine eingeschränkte Nierenfunktion (unter anderem Kreatinin > 176 mmol/l beziehungsweise > 2 mg/dl).

Unspezifische Frühsymptome

Unspezifische Frühsymptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß, Gewichtsverlust und erhöhte Temperaturen können auf das Plasmozytom hinweisen. Mit fortschreitender Erkrankung nimmt die Tumorzellmasse im Knochenmark zu, wodurch Knochenschmerzen, vorwiegend im Rückenbereich, immer mehr im Vordergrund stehen. Durch den gesteigerten Knochenabbau entwickelt sich eine besonders an der Wirbelsäule ausgeprägte Osteoporose. Weiterhin sind sogenannte Osteolysen zu finden. Dies sind einzelne im Abbau befindliche Herde im Knochengewebe. Dadurch werden die Knochen instabil und können leicht brechen. Aus den instabilen Knochen wird vermehrt Calcium freigesetzt mit einer Hyperkalziämie als Folge. Dadurch besteht die Gefahr eines Hyperkalziämie-Syndroms mit Nierenversagen.

Patienten mit einem Plasmozytom erkranken häufiger als andere an schweren Infektionen, da zu wenig Lymphozyten für die Immunabwehr vorhanden sind beziehungsweise gebildet werden. Die Plasmazellen verdrängen die reguläre Blutbildung im Knochenmark und produzieren monoklonale Antikörper (als Paraproteine bezeichnet). Diese Paraproteine werden über die Nieren ausgeschieden und können unter Umständen die Nierenfunktion einschränken. Zudem besteht die Möglichkeit der Ablagerung in anderen Organen. Sie werden als Amyloid bezeichnet und können deren Funktion beeinträchtigen.

Erkrankung wird oft nur durch Zufall erkannt

Durch die späten Symptome ist die Entdeckung der Erkrankung meistens zufällig. Erste Hinweise könnten veränderte Blutparameter sein wie eine erhöhte Blutsenkungsgeschwindigkeit und eine Anämie. Zusätzlich fällt eine verstärkte Infektanfälligkeit auf. Weitere Untersuchungen sind Urinkontrollen, Röntgenbilder, eine Kernspinuntersuchung des Skeletts sowie Knochenmarkproben aus dem Beckenkamm. Folgende Befunde sprechen für die Erkrankung:

• monoklonale Antikörper in Urin und Blut

 

• Nachweis der Osteoporose im Röntgenbild

 

• mehr als zehn Prozent Plasmazellen im Knochenmarksausstrich

 

• histologischer Nachweis von Plasmazellinfiltraten in Knochen und anderen Organen

 

Treffen zwei dieser Kriterien zu, wird die Diagnose "Plasmozytom" als gesichert angesehen. Die Knochenmarksbiopsie aus dem Beckenkamm ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik, weil hiermit auch Aussagen über die Blutbildung und den Knochenumbau gemacht werden können. Insgesamt wird das gesamte Skelett geröntgt, weil die Erkrankung sowohl den Schädel als auch die Rippen und Wirbel, das Becken und den Oberschenkelknochen betreffen kann. Typisch sind Aufhellungen im Schädel, welche diesen wie nach dem Schuss aus einer Schrotflinte aussehen lassen. Deshalb wird auch der Begriff "Schrotschussschädel" bei diesem Bild verwendet. Durch die Kernspinuntersuchung kann beurteilt werden, wie weit sich der Tumor im Knochenmark ausgedehnt hat.

Das Plasmozytom kann derzeit nicht geheilt werden. Jedoch kann eine entsprechende Therapie den Tumor so weit zurückbilden, dass er im Blut nicht mehr nachweisbar ist (Remission). Die Therapie richtet sich nach der Krankheitsausbreitung und danach, welche Knochenregionen befallen sind. Eingesetzt werden hauptsächlich Chemo- und Strahlentherapie. Da die Nebenwirkungen der Chemotherapie häufig stärker sind als die Syptome des Plasmozytoms, wird sie oft erst dann eingesetzt, wenn Beschwerden oder Komplikationen auftreten.

Chemotherapie

Im Anfangsstadium (Stadium I) reicht normalerweise eine beobachtende ("watch and wait") Behandlung aus, weil ein sofortiger Behandlungsbeginn keine Vorteile bringt. Bedingung sind regelmäßige Kontrollen. Eine Chemotherapie würde in diesem Stadium eine größere Belastung darstellen als die Erkrankung selbst. Geht die Erkrankung ins Stadium II über, wird eine Behandlung eingeleitet. Die Stadien II und III werden in der Regel mit einer kombinierten Strahlen- und Chemotherapie behandelt. Andere Behandlungsmöglichkeiten können zusätzlich eingesetzt werden. So kann beispielsweise eine Operation bei drohenden oder bereits eingetroffenen Knochenfrakturen notwendig sein. Hierdurch sollen Komplikationen wie Lähmungen durch Nervenverletzungen, vor allem im Wirbelsäulenbereich, vermieden und die Beweglichkeit wieder hergestellt werden.

 

Durch die Chemotherapie kann das Tumorwachstum vorübergehend zum Stillstand gebracht werden. Bei einigen Patienten verkleinert sich der Tumor deutlich. Weiterhin werden die Überlebenszeit verlängert, tumorbedingte Beschwerden und Schmerzen gelindert und der Gewichtsverlust aufgehalten.

Hochdosis-Chemotherapie plus Transplantation

Mit Hochdosis-Chemotherapie und autologem Stammzellsupport sind bei Patienten unter 65 Jahre höhere Ansprechraten und längere Überlebenszeiten erreichbar. Ob eine Heilung möglich ist, konnte bisher nicht abschließend geklärt werden. Die zu Beginn der Behandlung aufgetretene Frühmortalität von bis zu 50 Prozent konnte in den letzten Jahren deutlich reduziert werden. Kommt es trotz unterschiedlicher Maßnahmen nicht zu einem Rückgang der Erkrankungszeichen, wird eine Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Blutstammzelltransplantation durchgeführt. Die intensive Chemotherapie führt zur Zerstörung des blutbildenden Systems im Knochenmark. Deshalb werden dem Patienten vor Beginn der Hochdosis-Chemotherapie Stammzellen entnommen, die nach Abschluss der Behandlung wieder zurückgegeben werden (autologe Blutstammzelltransplantation). Blutstammzellen sind die "Mutterzellen" aller Blutzellen. Aus ihnen können sich im Knochenmark alle möglichen Blutkörperchenformen entwickeln. Während der Chemotherapie kommt die Immunabwehr des Patienten fast gänzlich zum Erliegen. Es dauert fast ein Jahr, bis das körpereigene Abwehrsystem wieder völlig intakt ist.

Konventionelle Chemotherapie für Ältere

Die konventionelle Chemotherapie wird bei Patienten über 70 Jahren eingesetzt oder für die aufgrund von Begleiterkrankungen die Hochdosistherapie nicht in Frage kommt. Als Standard-Chemotherapie wird initial das MP-Schema nach Alexanian eingesetzt: Melphalan (0,25 mg/kg KG, Tag 1 bis 4 per os, Einnahme morgens auf nüchternen Magen) und Prednison (1 - 2 mg/kg/KG, Tag 1 bis 4 per os). Die Zyklen werden in vier- bis sechswöchigen Abständen wiederholt, wobei zwei Zyklen über die maximal erreichbare Remission hinaus verabreicht werden. Kommt es nach einer über zwölf Monate anhaltenden Remission zur erneuten Progression, kann ein erneuter Therapieversuch mit MP erfolgen.

Mit dieser Therapie ist eine Ansprechrate von 70 Prozent und eine Remissionsdauer von zwölf bis 18 Monaten zu erzielen. Alternativ oder bei zunehmender Therapieresistenz kommen Kombinations-Schemata (zum Beispiel das VAD-Schema: Vincristin, Adriamycin und Dexamethason) zur Anwendung. Allerdings weisen diese Kombinationstherapien eine höhere Toxizität auf. Eine Dexamethason-Monotherapie als Zweit- oder Drittlinientherapie ist insbesondere bei Patienten mit eingeschränkter Knochenmarkreserve zu empfehlen.

Ob der Patient auf die Therapie anspricht, wird am Rückgang des M-Proteins im Serum und Urin, an der Normalisierung einer vorbestehenden Anämie und Hypalbuminämie sowie am fehlenden Voranschreiten der Osteolysen geprüft. Wird die Plateauphase erreicht (maximales Ansprechen eines Patienten), ist die Therapie auszusetzen. Die Effektivität einer Erhaltungstherapie mit alpha-Interferon wird unterschiedlich bewertet.

Ergänzungstherapie

Als Ergänzungstherapie werden lebenslang Bisphosphonate (zum Beispiel Pamidronat 60 - 90 mg monatlich i.v., Zoledronat 4 mg monatlich i.v.) verabreicht. Diffuse Knochenschmerzen werden mittels Analgetika behandelt. Erythropoetin kann bei einer Anämie, insbesondere mit begleitender chronischer Niereninsuffizienz, indiziert sein.

Strahlentherapie

Indikationen für eine Strahlentherapie sind unter anderem frakturgefährdete Osteolysen, chirurgisch versorgte pathologische Frakturen, ein primär operativ versorgtes Querschnittssyndrom, extramedulläre Plasmazelltumoren sowie medikamentös nicht beherrschbare Skelettschmerzen.

Zur Schmerzbehandlung sind meist 10 - 20 Gy ausreichend. Erfolgt die Strahlentherapie parallel zur Chemotherapie, muss auf die höhere Knochenmarktoxizität geachtet werden.

Operative Therapie

Mögliche Indikationen für ein operatives Vorgehen sind der gesicherte Nachweis eines solitären Plasmozytoms, die Frakturgefährdung langer Röhrenknochen, das Auftreten oder Drohen pathologischer Frakturen und unzureichende Erfolgsaussichten/Wirkung einer lokalen Bestrahlung. Ein Notfall ist ein drohendes oder beginnendes Querschnittssyndrom, wenn durch eine Strahlentherapie kein Behandlungserfolg erwartet werden kann.

Neue Ansätze

Die neuen Substanzen Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid haben sich bei der Behandlung des multiplen Myeloms bewährt. Thalidomid löste in den frühen 1960er Jahren einen Arzneimittelskandal aus, weil es, eigentlich als Beruhigungsmittel eingesetzt, bei Schwangeren zu Missbildungen des Embryos führte. Doch zur Unterdrückung von Tumoren hat es sich bewährt. Plasmozytome konnten mit Thalidomid nachweislich unterdrückt und in einigen Fällen sogar verkleinert werden. Jeder vierte damit Behandelte zeigte ein Ansprechen auf die Substanz. Thalidomid scheint die Blutgefäßneubildung zu hemmen (Antiangiogenese) und auch eine Immunmodulation zu bewirken. Neben der bekannten fruchtschädigen Wirkung können Nervenschädigungen, Verstopfung und Schwindel als Nebenwirkungen auftreten. Thalidomid darf deshalb heute nur unter strengen Sicherheitsauflagen eingesetzt werden.

Thalidomid, Bortezomib und Lenalidomid werden in der Regel in Kombination mit Chemotherapie eingesetzt. Darüber hinaus kommen sie nach einer Hochdosistherapie und Stammzelltransplantation zum Einsatz. Der Proteasomeninhibitor Bortezomib ist seit April 2004 für die Behandlung des rezidivierten multiplen Myeloms zugelassen.

Nach abgeschlossener Behandlung werden in festgelegten Abständen Kontrolluntersuchungen (unter anderem Röntgenaufnahmen) durchgeführt. Mittels der Knochendichtemessung kann erkannt werden, ob und wie stark Knochen abgebaut wird. Durch die Nachsorge können Rezidive und auch Folgeschäden rechtzeitig erkannt werden.


Quelle

www.dgho.de

Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie

Goldschmidt H: Das Multiple Myelom (Plasmozytom). Diagnose und Therapie. Uni-Med-Verlag 2002

Baenkler H-W et al.: Innere Medizin (Duale Reihe). Thieme-Verlag 2001.

 


Dr. Ingo Blank, Gärtringen

 

 

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