Rechtsprechung aktuell

Viagra auf Rezept?

Die vor zehn Jahren zugelassene blaue Pille "Viagra" machte den Traum vieler Männer von nicht versiegender Liebeskraft wahr. Der damit verbundene Wunsch allerdings, dass die gestärkte Intimdurchblutung auch rundum glücklich machte, ist nicht bei jedem eingetreten. So gab es zum Beispiel immer wieder Streit darüber, ob die "Pille für den Mann" von ihm selbst zu bezahlen ist oder ob seine Krankenversicherung beziehungsweise – für einen Beamten – der Dienstherr leisten müsse.

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Übernahme der Kosten für Viagra, sofern sie einem Beamten entstehen, nicht gänzlich ausgeschlossen werden dürfe. In dem Fall lag eine ministerielle Anordnung auf dem Richterpult, nach der das potenzsteigernde Mittel generell "nicht beihilfefähig" sein sollte. Die Richter machten jedoch deutlich, dass es bei der Prüfung für die Beihilfefähigkeit nur darauf ankomme, ob bei dem Beamten eine "behandlungsbedürftige Krankheit vorliegt". (Hier wurde einem – nach einer Prostataoperation unter Erektionsstörungen leidenden – Staatsdiener die Kostenübernahme zugesprochen). (AZ: 2 C 26/02)

Danach ergangene Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten (OVG) klärten Details.

So stellte das OVG Nordrhein-Westfalen fest, dass die Beihilferegelung für Medikamente für Beamte, Richter und Pensionäre in NRW rechtwidrig war, in der geregelt wurde, dass Medikamente, die überwiegend der Behandlung von "krankhaft erektilen Dysfunktionen" dienen, generell ausgeschlossen seien. Weil aber den Staatsdienern grundsätzlich "im Krankheitsfall eine Beihilfe zu ihren notwendigen und angemessenen Aufwendungen" zu gewähren ist, konnte sich ein Beamter, der nach einer Prostataoperation an Potenzproblemen litt, durchsetzen. Medizinisch Notwendiges dürfe nicht eingeschränkt werden. (AZ: 6 A 232/06 u. a.) Ebenso entschied das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. (AZ: 10 A 11598/06)

Anders der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg: Der Dienstherr habe nicht für den Ausgleich "jeglicher aus Anlass von Krankheits-, Geburts- und Todesfällen entstandener Aufwendungen" einzustehen. Weil das Mittel in erster Linie zur "Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedroh-

licher Zustände" genommen werde, könne es keinen Zuschuss vom Staat geben. Krankheiten, bei denen die Übergänge zwischen krankhaften und nicht krankhaften Zuständen maßgeblich vom subjektiven Empfinden des Einzelnen abhängen, dürfen nicht aus öffentlichen Kassen geheilt werden, so das Gericht. (AZ: 4 S 101/05).

Gesetzlich Krankenversicherte konnten nur bis 2003 verlangen, Viagra "auf Krankenschein" zu bekommen – wenn es ihnen krankheitsbedingt verordnet wurde. Seit 2004 brauchen die Krankenkassen dafür nicht mehr aufzukommen, weil dies "wegen der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung" aufgehoben wurde. (AZ: B 1 KR 25/03 R)

Und das gelte auch dann, wenn ein Versicherter das Medikament schon jahrelang finanziert bekam und es "auf Dauer braucht, um seine Ehe nicht zu gefährden". (LSG Nordrhein-Westfalen, L 11 KR 66/06)

Leidet allerdings ein privat Krankenversicherter an Erektionsstörungen und stufen zwei Sachverständige die Beschwerden unabhängig voneinander als Krankheit ein, so muss die Versicherung die Kosten für das Potenzmittel übernehmen. Sie kann die Leistungen nicht mit dem Argument verweigern, Viagra sei kein Heil-, sondern ein "Stärkungsmittel". (Amtsgericht Frankfurt am Main, 32 C 3312/03-48)

Und das gilt auch dann, wenn der Versicherte "schon" 60 Jahre alt ist. Er hat Anspruch darauf, dass seine private Krankenversicherung (PKV) einen Teil der Kosten (hier 30 %) übernimmt, wenn die Potenzstörung krankheitsbedingt ist (hier bejaht, da sie durch Antidepressiva hervorgerufen worden war). Das Argument der Kasse, "mit 60 Jahren ist die Lebensplanung abgeschlossen", zog nicht, denn: "Es hat sich wohl herumgesprochen, dass man(n) beim Thema Sex nicht nur an Fortpflanzung denkt". (Landgericht Dortmund, 2 S 25/04)

Die PKV kann einem Versicherten auch dann nicht die Übernahme von Viagra verweigern, wenn er wegen einer koronaren Herzkrankheit unter Potenzstörungen leidet und die Assekuranz bei vermehrtem Geschlechtsverkehr ein Infarktrisiko sieht. Viagra ist – medizinisch anerkannt – sinnvoll. Die Risiken eines Infarktes trage der Patient allein, so das Oberlandesgericht Karlsruhe. (AZ: 12 U 32/03)

Sozialhilfeempfänger, die an Potenzstörungen leiden, können – ebenfalls seit 2004 – nicht mehr verlangen, dass das Sozialamt das Präparat finanziert. (Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 10 UE 2731/03)


Wolfgang Büser und Maik Heitmann

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