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Bundesversicherungsamt fordert transparente Verfahren

STUTTGART (hst). Der Abschluss neuer Rabattverträge wird für die gesetzlichen Krankenkassen ein immer mühsameres Geschäft. Nachdem zunächst die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKs) Ende Februar mit ihrem Versuch gescheitert waren, für mehr als 60 Wirkstoffe bundeseinheitliche Rabattverträge abzuschließen, sehen sich nun auch die Ersatzkassen dem Vorwurf rechtswidrigen Verhaltens beim Abschluss von Rabattverträgen ausgesetzt.

Dies äußerte das Bundesversicherungsamt (BVA) – die Aufsichtsbehörde der bundesunmittelbaren Krankenkassen – Mitte April in einem neuerlichen Schreiben an neun Krankenkassen. Die Krankenkassen sollen die Unterlagen über das Zustandekommen der Verträge vorlegen und erklären, wie sie zukünftig Rabattverträge abschließen wollen. Zunehmende Bedeutung erlangen mittlerweile Rabattverträge für hochpreisige patentgeschützte Arzneimittel. Das BVA hält deren bisherige Vergabepraxis beim Abschluss von Rabattverträgen für rechtswidrig. Es fordert die betroffenen Kassen daher auf, bis Mitte Mai 2008 ihre Unterlagen über das Zustandekommen der bestehenden Rabattverträge offen zu legen und auszuführen, wie sie sich künftig den Abschluss von Rabattverträgen vorstellen.

"Anbieterverfahren" nicht angegriffen

Während die AOKs sowohl bei Überprüfungen des Verfahrens durch Vergabekammern als auch in einem Eilverfahren vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg wegen unzureichender Transparenz im Vergabeverfahren unterlagen, obwohl sie die Vergabe der Rabattverträge für insgesamt 82 Wirkstoffe bundesweit öffentlich ausgeschrieben hatten und damit jedem Arzneimittelhersteller Gelegenheit gaben, einen Rabattvertrag für einen oder mehrere Wirkstoffe abzuschließen, wurden die von Ersatz- und Betriebskrankenkassen wie Barmer und DAK abgeschlossenen Verträge von den Gerichten bislang nicht angegriffen, weil diese sich für das wesentlich intransparentere "Anbieterverfahren" entschieden hatten. Bei dieser Vorgehensweise schreibt die jeweilige Krankenkasse gezielt ihnen geeignet erscheinende pharmazeutische Unternehmer an und schließt mit einem oder mehreren Anbietern Rabattverträge über ganze Arzneimittelsortimente ab. Bevorzugt sind bei diesem Verfahren in der Regel Unternehmen mit einem Sortiment, das alle wesentlichen generischen Wirkstoffe umfasst. Entsprechend kamen bei dieser Vergabepraxis die großen Player unter den deutschen Generikaherstellern wie Hexal, Ratiopharm und Stada zum Zuge.

Nach der Niederlage vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg sind in den vergangenen Wochen auch einige Ortskrankenkassen auf solche Sortimentsverträge umgestiegen. In Betracht kommenden Arzneimittelherstellern wurden dem Vernehmen nach Standardverträge zugeschickt, in die die Hersteller im Wesentlichen nur den Rabattsatz einsetzen und eine Produktliste beifügen müssen. Einzelne dieser Musterverträge gehen über das rein generische Sortiment hinaus und erfassen auch das nicht generikafähige Sortiment der Anbieter. Solche Anbieterverfahren seien nur zulässig, so das BVA in seinem Schreiben, wenn das Verfahren so öffentlich durchgeführt werde, dass jeder Hersteller ein Angebot abgeben könne. Es fordert die betroffenen Kassen auf, durch eine Aufteilung der ausgeschriebenen Sortimente auf mehrere Lose auch kleineren Anbietern eine Chance zu geben. Dennoch will das BVA dem Vernehmen nach, nachdem einige Kassen für den Abschluss weiterer Rabattverträge ein offeneres Verfahren zugesagt haben, die rechtswidrig zustande gekommenen Sortimentsverträge nicht aufheben.

Bald Schluss mit Sortimentsverträgen?

Ungeachtet der noch offenen Rechtsfragen fordert das BVA bei der Vergabe von Rabattverträgen einen Schutzstandard für Anbieter, der dem vergaberechtlichen Standard gleichwertig ist. Als Aufsichtsbehörde müsse das BVA darauf hinwirken, beim Abschluss der Rabattverträge einen Schutzstandard sicherzustellen, der größtmögliche Transparenz und so einen tatsächlich fairen Wettbewerb gewährleistet, der seinerseits wiederum zu wirtschaftlichen Ergebnissen führe.

Setzt sich das BVA mit seiner Rechtsauffassung durch, ist nach Einschätzung von Beobachtern das Ende der Sortimentsverträge absehbar. Der Aufwand der Kassen beim Abschluss von Rabattverträgen wird damit deutlich größer. Dies hätten die vielen Unklarheiten bei der AOK-Ausschreibung im vergangenen Jahr und die Ausschreibung einiger Innungskrankenkassen Anfang dieses Jahres gezeigt, so ein Industrievertreter. Insbesondere stelle dies wesentlich höhere Anforderungen an die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Ausschreibungsunterlagen und Vertragsabschlüssen.

Rabattverträge für Patentgeschützte

Unterdessen zeichnet sich bei den Rabattverträgen ein neuer Trend ab. Nachdem das Einsparpotenzial durch Rabattverträge im Generikamarkt infolge der Festbetragsabsenkungen seit Juli 2006 als weitgehend erschöpft gilt, befassen sich die Kassen zunehmend mit Rabattverträgen für patentgeschützte Arzneimittel. Ein erstes Beispiel hierfür lieferte unlängst die Techniker-Krankenkasse mit der europaweiten Ausschreibung von Rabattverträgen für TNF-Alpha-Inhibitoren. Aus dieser Wirkstoffgruppe gibt es mit Etanercept, Adalimumab und Infliximab derzeit drei noch patentgeschützte Wirkstoffe ohne generischen Wettbewerb auf dem deutschen Markt.

Ziel dieser Art von Verträgen sei es vor allem, Patienten bei Neueinstellungen auf diese sehr teueren Arzneimittel günstiger versorgen zu können, so ein Kassenvertreter. Hier sind dann weniger die Apotheker bei der Umsetzung gefordert, weil ein Austausch im Rahmen der Aut-idem-Regelung nicht möglich ist, sondern der verordnende Arzt, der die Patienten auf die Wirkstoffe mit Rabattvertrag einstellen soll. Als weitere potenzielle Kandidaten für derartige Verträge gelten u. a. Interferone, monoklonale Antikörper und alle Arten von Onkologika.

Dem Vernehmen nach sollen bereits einige Verträge dieser Art existieren, ohne dass sie in den EDV-Systemen der Apotheken oder Ärzte gelistet sind. Auch ohne Patientenumstellungen könnten die Krankenkassen auf diese Weise ihre Arzneimittelausgaben reduzieren. Beobachter fragen sich allerdings, worin für die gewinnorientierten Pharmaunternehmen die Motivation für beträchtliche Rabatte liegt, wenn damit keine entsprechende Mengenausweitung verbunden ist. Kritiker vermuten, dass vor allem Marketing-Überlegungen eine Rolle spielen dürften und befürchten einen beträchtlichen Ausgabenschub infolge Mengenausweitung bei diesen Produkten.

Gestützt werden derartige Befürchtungen durch eine Regelung in § 106 Absatz 2 Satz 8 SGB V, wonach Verordnungen rabattierter Arzneimittel von Auffälligkeitsprüfungen bei Überschreitung der Richtgrößenvolumina ausgeschlossen sind, wenn der Arzt dem Rabattvertrag beigetreten ist. Diese Einschränkung wird jedoch vielfach übersehen. Für Ärzte könnte es somit ein böses Erwachen geben, wenn sie teuere Innovationen im Vertrauen auf die Ausnahme bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung großzügiger verordnen als bislang, Rabattverträgen jedoch nicht beigetreten sind und somit trotz Rabattvertrag der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch bei Verordnung rabattierter Arzneimittel unterliegen.

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