Interpharm 2008

Unabhängigkeit in Ketten?

Munter, zeitweise hitzig ging es beim Auftritt von Celesio-Chef Dr. Fritz Oesterle auf der Interpharm zu. Einmal mehr zeigte sich, dass der Vorstandsvorsitzende von Europas größtem Pharmagroßhändler seit seinem DocMorris-Coup nicht nur Freunde hat. In Stuttgart diskutierte Oesterle mit Rechtsanwalt Dr. Valentin Saalfrank, dem Vorsitzenden der Initiative für Unabhängige Heilberufe (IfUH), über die Frage: Unabhängige Heilberufe – (k)ein Auslaufmodell? Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Christian Rotta, Geschäftsführer des Deutschen Apotheker Verlags. Im Mittelpunkt der Runde: Das Fremd- und Mehrbesitzverbot bei Apotheken, die Unabhängigkeit der öffentlichen Apotheke und die Frage der Koexistenz von inhabergeführten Apotheken und Apothekenketten.

Sind die gesundheitspolitischen Gründe und Motive, die den Gesetzgeber in Deutschland und den meisten anderen EU-Mitgliedstaaten veranlassten, ein apothekenrechtliches Fremd- und Mehrbesitzverbot zu verankern, heute noch stichhaltig? Warum könnte es heute obsolet geworden sein? Mit diesen Eingangsfragen eröffnete Rotta die lebhafte Diskussion, in die er sich mehrmals auch selbst einschaltete.

Unabhängigkeit der letzten Kontrollinstanz

Für Saalfrank ist das bestehende Fremdbesitzverbot weiterhin durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Es diene dazu, den öffentlichen Apotheken die Erfüllung der ihnen vom Gesetz zugewiesenen Aufgabe zu ermöglichen, an der Schnittstelle zwischen den Arzneimittel herstellenden Unternehmen, den Arzneimittel verordnenden Ärzten und den Arzneimittel anwendenden Patienten als "letzte Kontrollinstanz" tätig zu werden. Die Wahrnehmung einer solchen Kontrollfunktion erfordere nicht nur pharmazeutische Sachkunde, sondern auch Unabhängigkeit – und zwar Unabhängigkeit von allen am Arzneimittelverkehr beteiligten In-stanzen: den Herstellern, den Ärzten, dem Großhandel und den Patienten. Mit der Vorgabe, dass beim Apothekenbetreiber die pharmazeutische und wirtschaftliche Verantwortung in einer Hand liegen müsse, verhindere der Gesetzgeber, dass die Betriebsleitung im pharmazeutischen Bereich in Abhängigkeit von der Betriebsleitung im kaufmännischen Bereich gerate. Hinzu komme, dass ein approbierter Apothekeninhaber im Gegensatz zu einer Kapitalgesellschaft bei Verstößen im Zusammenhang mit der Arzneimittelversorgung nicht nur persönlich hafte, sondern auch riskiere, seine Apothekenbetriebserlaubnis und seine Approbation, mithin seine gesamte berufliche Existenz zu verlieren. Kurzum: Das apothekenrechtliche Fremd- und Mehrbesitzverbot sei wirksamer präventiver Verbraucherschutz.

"Ketten sind nicht schlechter"

Dieser Argumentation wollte Oesterle nicht folgen. Die Unabhängigkeit der Arzneimittelabgabe und Beratung hänge nicht von der Eigentümerstruktur einer Apotheke ab. Das Ausland – von der Schweiz, über die Niederlande bis nach Norwegen – belege, dass Apothekenketten funktionierten: "Ich sage ja gar nicht, dass die Kette besser ist als die inhabergeführte Apotheke – aber sie ist auch nicht schlechter." Deshalb sei der unabhängige Heilberuf auch kein Auslaufmodell. Konfrontiert mit einem DAZ-Interview aus dem Jahre 1999, in dem er sich als damaliger Gehe-Chef noch zustimmend zum apothekenrechtlichen Fremd- und Mehrbesitzverbot in Deutschland geäußert hatte, kommentierte Oesterle lapidar: "Inzwischen bin ich klüger geworden…" Die (Hinter-) Gründe für seinen Meinungswandel wollte der Celesio-Chef nicht preisgeben. Und auf Nachfrage ergänzte Oesterle, dass er heute unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes bei Apotheken in Deutschland befürworte.

Friedliche Koexistenz?

Heute sind in Europa trotz deregulierter Märkte – insbesondere in den neuen EU-Mitgliedstaaten – ca. 80 bis 85 Prozent aller öffentlichen Apotheken kettenunabhängig (wobei, z. B. in Polen, die Eigentümerstrukturen oft sehr intransparent sind). Kann es, auch nach einer eventuellen Lockerung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes durch den Europäischen Gerichtshof, eine (friedliche) Koexistenz unterschiedlicher gesellschaftsrechtlicher Apothekenformen geben? Sind inhabergeführte Apotheken neben Ketten überlebensfähig? Und wie kann ein "Liberalisierungs-Wildwuchs" verhindert werden? Rotta erinnerte an das White Paper, in dem Celesio vor zwei Jahren dafür plädiert hatte, die Niederlassungsfreiheit bei Apotheken zu beschränken. Könne die Forderung gegebenenfalls "reaktiviert" werden? Oesterle winkte ab: Aufgrund der Blockadestrategie der ABDA sei eine solche Initiative heute politisch nicht mehr durchsetzbar. Auch Saalfrank sieht Probleme: "Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehen bei Niederlassungsrestriktionen, d. h. ‚objektiven Zulassungsbeschränkungen‘, hohe verfassungsrechtliche Hürden."

Ob wir in einem Jahr mehr wissen? Immerhin: Die Kontrahenten erklärten sich bereit, auf der nächsten Interpharm ihre Debatte fortzusetzen. "Aber dann mit Honorar", wie der Celesio-Chef süffisant anmerkte.


daz

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