Feuilleton

Leonardo da Vinci als Konstrukteur und Ingenieur

Maschinen, Fahrzeuge, Bauwerke, Kriegsgeräte, Messinstrumente und mechanische Apparate von Leonardo da Vinci sind das Thema einer Wanderausstellung der ExtraMax GmbH, Kranenburg, die bis zum 15. Juni im Sächsischen Industriemuseum Chemnitz zu sehen ist. Gezeigt werden über vierzig funktionsfähige Großmodelle aus Holz.

Die wichtigste Sammlung von technischen Zeichnungen und Schriften Leonardos ist der Codex Atlanticus (in der Biblioteca Ambrosiana, Mailand); Konservatoren hatten ihn Ende des 19. Jahrhunderts aus 1119 losen Blättern zusammengestellt.

Wer erfand das Fahrrad?

Als der Codex Atlanticus 1968 in Mailand restauriert wurde, entdeckte man beim Öffnen eines zugeklebten Blattes eine Skizze, die ein Fahrrad darzustellen schien. Längere Zeit galt Leonardo nun als möglicher Erfinder des Fahrrads – lange vor dem badischen Freiherrn Karl Drais von Sauerbronn. Doch Hans-Erhard Lessing, der ehemalige Kustos des Mannheimer Museums für Technik und Arbeit, widerlegte die Vermutung und schrieb 1997 im "New Scientist", die vermeintliche Skizze von Leonardo da Vinci sei nichts anderes als ein knapp 40 Jahre altes Gekritzel. Er stützte sich auf folgendes Faktum: Vor der Restaurierung waren die zugeklebten Blätter des Codex Atlanticus an der University of California in Los Angeles durchleuchtet worden. Damals waren bei der besagten Skizze lediglich zwei von Schlangenlinien durchzogene Kreise aufgefallen. Daraus schloss Lessing, dass einer der Mailänder "Restauratoren" die beiden Kreise zu einem Zweirad "vervollständigt" hat. Der Gedanke, Leonardo könnte der Vater des "Drahtesels" sein, war indessen so abwegig nicht, denn er hat viele spätere Erfindungen in seinen Skizzen vorweggenommen.

1452 in Vinci bei Florenz zur Welt gekommen, wurde Leonardo Schüler des Florentiner Bildhauers und Goldschmieds Andrea del Verocchio, brachte es aber sehr schnell auch auf anderen Gebieten der Kunst zur Meisterschaft. Als Kind seiner Zeit strebte er danach, den Stil der antiken Kunst zu kopieren, doch sein größtes Vorbild war die Natur. In seinen Gemälden und Zeichnungen stellte er mit Vorliebe merkwürdige Landschaftsformen, seltene Pflanzen und Tiere oder ungewöhnliche Gesichter dar.

Nutzung der Naturgesetze

Aufgrund seiner Erkenntnisse aus Leichensektionen und intensiver Beobachtungen in der Natur verstand Leonardo das Universum als lebenden Organismus. Aus diesem Verständnis heraus entwickelte er Methoden für die Nutzung der Naturgesetze. So erkannte er zum Beispiel, dass der Mensch allein aus eigener Kraft nie seinen uralten Traum, wie ein Vogel zu fliegen, verwirklichen wird. Deshalb konstruierte Leonardo als Fluggerät einen über ein Ruder steuerbaren Lenkdrachen. Vier Jahrhunderte bevor sich der erste Hubschrauber in die Luft erheben sollte, erfand er eine Luftschraube mit Kurbelantrieb. Wie zahlreiche andere Konstruktionen des Meisters wurde auch dessen Fallschirm nachgebaut und auf seine Funktionsfähigkeit erprobt. Mit Erfolg: Obwohl Leonardo keine Luftöffnungen vorgesehen hatte, glitt der Schirm nach dem Abwurf aus dreitausend Meter Höhe ruhig und sicher zu Boden. Übrigens hatte Leonardo auch beobachtet, dass Geschosse stets eine parabelförmige Flugbahn zurücklegen ("Wurfparabel").

Kriegsgeräte für den Herzog von Mailand

Zwar hat Leonardo persönlich den Krieg zutiefst verabscheut, aber viele seiner Entwicklungen dienten vordergründig kriegerischen Zwecken. Dies war wohl den politischen Verhältnissen seiner Zeit geschuldet. Florenz, Venedig, Mailand und andere italienische Stadtstaaten suchten die Kriegsführung zu verbessern. Deshalb waren Konstrukteure von Kriegsmaschinen gefragte Leute.

So bot Leonardo dem Mailänder Herzog Ludovico Sforza 1482 an, dass er "Seiner Exzellenz in verständlicher Weise seine Geheimnisse (in der Entwicklung von Kriegsgeräten) darlegen wolle", damit dieser "zu gegebener Zeit all die Dinge einsetzen" könne. Am Mailänder Hof war Leonardo zwar als Bildhauer und Bronze-Gießer eingestellt worden, doch suchte er offenbar auch Betätigung als militärischer Ingenieur.

Leonardo konstruierte also Kriegsgeräte: von einem hölzernen Panzer mit Pferdeantrieb über eine Grabungsmaschine bis zu einem Schieber, mit dessen Hilfe an die Mauer gelehnte feindliche Leitern umgeworfen werden konnten. Er erkannte, dass einem Fischkörper ähnelnde Kriegsschiffe eine höhere Geschwindigkeit erreichen, und stattete sie zum Schutz vor feindlichen Attacken mit einer doppelten Schiffswand aus. Ebenso dürfte Leonardo transportable Brücken, Schleusen und Kanäle in erster Linie für militärische Zwecke konstruiert haben.

Erfindungen für zivile Zwecke

Ein Windmessgerät, eine Nachtuhr, ein Neigungsmesser für den Flugeinsatz und ein Scheinwerfer nach dem Reflexionsprinzip zählen zu den höchst erstaunlichen Erfindungen Leonardos. Darüber hinaus entwickelte der Meister hydraulische Maschinen, ein Gerät zum Heben von überlangen Lasten, einen Nockenhammer, einen Wagenheber und viele andere Geräte, die nicht nur im Krieg, sondern auch für friedliche Zwecke eingesetzt werden konnten.

Verschlüsselung durch Spiegelschrift

Nach seinem Tod – er starb 1519 in Frankreich auf Schloss Cloux bei Amboise – hinterließ das Universalgenie der Nachwelt viele Rätsel. Er hatte nämlich sämtliche Texte in Spiegelschrift notiert. Eine mögliche Erklärung dafür ist seine Linkshändigkeit. Andererseits liegt die Vermutung nahe, dass der geniale Erfinder mangels Urheberschutz seine Erkenntnisse zu verschlüsseln versuchte. Diese Annahme stützen absichtliche Fehler in seinen Zeichnungen: Bei experimentellen Nachbauten stellte sich immer wieder heraus, dass das Gezeichnete erst nach einer Modifizierung von Details funktionsfähig ist.

Ein Roboter zur Belustigung

So war auch die Konstruktion von Leonardos Roboter jahrhundertelang ein Geheimnis geblieben. Erst 2002 gelang es einem NASA-Experten, den "Robot Knight", dessen Original der Meister 1495 für ein opulentes Fest entwickelt hatte, am Computer zu rekonstruieren. Am Mailänder Hof hatte die Ritterrüstung zum Erstaunen der Gäste automatisch Schultern, Ellenbogen, Arme und Handgelenke bewegt und sogar das Visier geöffnet.

Auf der Suche nach Quellen für die Funktionsweise des Roboters konnte der Kunsthistoriker Carlo Pedretti 1950 erstmals einen Zusammenhang zwischen verschiedenen Texten und Zeichnungen im Codex Atlanticus herstellen. Seine Erkenntnisse und das Blatt 579, auf dem Leonardo ein komplettes Flaschenzugsystem dargestellt hat, ermöglichten schließlich die virtuelle Rekonstruktion.


Reinhard Wylegalla

1 Kommentar

Gute Website

von Jannes Wijers am 17.11.2019 um 11:19 Uhr

Ich muss einen Vortrag über da Vinci halten, und diese Website hat mir viel geholfen.

Vielen Dank

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