Pharmakobotanik

Der Zaubersalbei

Geschichte, Erforschung und rechtlicher Status als Betäubungsmittel
Von Alexander Schmitz, Günther Harbaum-Neuhaus und Harald Groß

Das Bundesgesundheitsministerium hat zum 1. März 2008 den Zauber- oder Aztekensalbei (Salvia divinorum) als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel eingestuft. Die Pflanze enthält psychoaktive Diterpene und kann schwere Psychosen auslösen. In Zentralamerika wird sie, wie der Name ahnen lässt, bereits seit Jahrhunderten für Heil- und Wahrsageriten verwendet. Der folgende Beitrag informiert über die Kult(ur)-geschichte der Pflanze und die neueren Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Erforschung.

Salvia divinorum ist hierzulande unter den Namen Azteken-, Wahrsage- oder Zaubersalbei bekannt. Sie ist eine immergrüne Staude, die ein bis drei Meter hoch werden kann. Charakteristische Merkmale sind der hohle, für Lamiaceen typische viereckige Spross und die bis zu 10 cm breiten und 30 cm langen, an beiden Enden spitz zulaufenden lanzettförmigen, gegenständig angeordneten Blätter, die einen gekerbten bis gesägten Blattrand aufweisen. Sowohl der Spross als auch die Blattunterseite sind behaart (Abb. 1).

Abb. 1: Lichtmikroskopische Aufnahmen der Ätherisch-Öl-haltigen Drüsen und Haare an der Blattunterseite von Salvia divinorum (Vergrößerung 1000-fach). A) Flächenschnitt: Drüsenschuppe mit vier sezernieren­den Zellen, darüber Drüsenhaar; B) Querschnitt mit Haar; C) Querschnitt mit Drüsenhaar, seitlich; D) Flächenschnitt: Drüsenhaar, im Hintergrund diacytische Spaltöffnung.

In der nur ein- bis zweiwöchigen Blütezeit (Sept. bis Mai) ist S. divinorum an seinen weißen Lippenblüten gut zu erkennen. Sie sind auffällig behaart und wachsen aus einem blau-violetten Kelch hervor. Die Blüten sitzen in Scheinquirlen an einer 30 bis 40 cm langen Scheinähre, die die Spitze des Sprosses darstellt [1]. Die meisten Blüten sind steril. Die (seltenen) Samen weisen eine sehr geringe Keimfähigkeit auf. Die Vermehrung erfolgt deshalb in der Regel vegetativ.

Natürlicherweise fällt der Zaubersalbei nach Erreichen seiner maximalen Höhe durch sein Eigengewicht um. Ist der Boden feucht, bildet der Spross auf der ganzen Länge neue Wurzeln an den Sprossknoten aus. Die in seinem Verbreitungsgebiet, der Sierra Mazateca im südmexikanischen Bundesstaat Oaxaca, ansässigen Heiler (curanderos) vermehren den Zaubersalbei durch Stecklinge, indem sie etwa zehn Zentimeter der Sprossspitze abschneiden, deren untere Blätter entfernen und sie neben der Mutterpflanze einsetzen; nach einigen Tagen schlägt sie unter geeigneten Bedingungen Wurzeln [2]. Die Heiler bauen den Zaubersalbei meist versteckt in Schluchten oder im Wald an.

Ethnopharmakologie

Die Geschichtsforschung geht davon aus, dass der Zaubersalbei bereits den Azteken unter dem Namen "der edelste kleinste Prinz" (pipiltzitzintli) bekannt war und von Priestern in Ritualen verwendet wurde. Vermutlich erst nach der Invasion der spanischen Conquistadores am Anfang des 16. Jahrhunderts und der Zerstörung der aztekischen Kultur gelangten die Pflanze und das über sie bekannte Wissen zu den Mazateken; dafür spricht, dass S. divinorum dort nicht unter einer ursprünglichen Bezeichnung, sondern nur unter dem Namen "ska pastora" bekannt ist, welcher sich aus dem spanischen "hojas de Maria pastora" (Blätter von Maria, der Schäferin) herleitet. Dieser Name zeigt, dass die Mazateken den Zaubersalbei als eine Pflanze der Jungfrau Maria ansehen und ihn entsprechend hoch schätzen [3–5].

Für die traditionellen Wahrsage- bzw. Heilungszeremonien werden frische Blätter eingerollt und im Mund zerkaut, oder es wird ein Presssaft aus frischem Blattmaterial getrunken. Um den Presssaft zu gewinnen, zerquetschen die mazatekischen Heiler fünf bis 34 Blattpaare mit einer traditionellen steinernen Reibmühle, der Metate, und pressen anschließend die Flüssigkeit der Blätter durch ein feines Sieb ab. Der Heiler räuchert und bespricht den bitter und unangenehm schmeckenden Trank, bevor er ihn selbst einnimmt oder dem Patienten überreicht. Danach wird die Räumlichkeit abgedunkelt, und nach etwa einer Viertelstunde beginnt die Wahrsage- oder Heilungszeremonie. Psychische Effekte sind u. a. die Wahrnehmung heller Lichter und lebhafter, tanzender Farben und Formen, das Gefühl der Körperlosigkeit, die Verwandlung in andere Objekte sowie überlappende Realitäten. Diese Effekte dauern dosisabhängig etwa 30 bis 60 Minuten, können aber bemerkenswerter Weise durch die Einwirkung von Licht reversibel unterbrochen werden.

Die Mazateken bewerten die psychotropen Effekte des Zaubersalbeis als mild und setzen ihn daher nur ein, wenn Psylocybin-haltige Pilze nicht verfügbar oder rar sind. Aufgrund der geringeren Potenz und der geringen Toxizität wird S. divinorum auch in der Ausbildung von curanderos verwendet, um sie an die spirituell motivierten Halluzinationen heranzuführen.

Moderne Erforschung

Der westlichen Welt sind diese Riten zwar durch Inquisitionsberichte seit dem 17. Jahrhundert bekannt, jedoch erfolgte die wissenschaftliche Bearbeitung der Pflanze erst im 20. Jahrhundert. Die Anthropologen Johnson [6] und Weitlander [7] berichteten 1938 bzw. 1952 von dem magischen Gebrauch der "hierba Maria" oder "yerba de Maria" (Marienkraut). 1961 wohnte der Ethnomykologe Gordon Wasson einer Wahrsagezeremonie unter Verwendung des Pflanzenpresssaftes bei. Zusammen mit dem Chemiker Albert Hofmann unternahm er im folgenden Jahr eine weitere Expedition, um eine ausreichende Menge Pflanzenmaterial für eine botanische und chemische Charakterisierung zu sammeln [8]. Darauf haben die Botaniker Epling und Jativa in den USA die Pflanze als neue Salbei-Art identifiziert und wissenschaftlich beschrieben [9, 10]. Hofmann gelang es jedoch nicht, die psychoaktive Wirkung des Presssaftes von S. divinorum in seinem Schweizer Labor zu reproduzieren, denn die psychoaktive Komponente ist relativ instabil.

Kurzzeitig wurde auch Thujon, das im ätherischen Öl des Echten Salbeis (S. officinalis, 9 bis 44%) und des Dreilappigen Salbeis (S. triloba, 5 bis 6%) vorkommt, als halluzinogenes Wirkprinzip vermutet, es konnte jedoch in S. divinorum nicht nachgewiesen werden [11, 12]. Zudem gilt Thujon heute nicht mehr als halluzinogen [37].

Erst in den 80er-Jahren wurden die naturstoffchemischen Untersuchungen fortgesetzt, diesmal von den Arbeitsgruppen um Alfredo Ortega in Mexiko und Leander Valdes in den USA. 1982 berichteten Ortega und Mitarbeiter von der Isolierung und chemischen Charakterisierung eines Diterpens aus Blättern von S. divinorum, welches sie Salvinorin nannten (Abb. 2) [13]. Seine halluzinogene Wirkung blieb jedoch vorerst unerkannt. Unabhängig davon testete die Valdes-Gruppe fraktionierte Ether-Blattextrakte auf ihre psychoaktive Wirkung an Mäusen. Durch Aufreinigung aktiver Fraktionen gelangte sie ebenfalls zu einem halluzinogenen Reinstoff, den sie Divinorin A nannte [14]. Schnell stellte sich heraus, dass Divinorin A und Salvinorin identisch sind. Heute trägt die psychoaktive Komponente von S. divinorum den Namen Salvinorin A.

Salvinorin A

Abb. 2: Salvinorin A und B, der halluzinogene Wirkstoff und sein unwirksamer Metabolit (links), sowie das Clerodan-Grundgerüst (rechts).

Salvinorin A ist ein Neoclerodan-Diterpenoid (Abb. 2). Es gehört mit Hydroxybuttersäure und Tetrahydrocannabinol zu den wenigen stickstofffreien Halluzinogenen. Die Substanz ist sehr lipophil und deshalb wasserunlöslich. Dies scheint der Wirksamkeit des Presssaftes zu widersprechen, es ist jedoch möglich, dass Salvinorin A mit anderen Inhaltsstoffen eine Mikrosuspension oder -emulsion bildet und auf diese Weise im Gastrointestinaltrakt resorbiert werden kann. Ohne eine solche Lösungsvermittlung wäre peroral appliziertes Salvinorin A wirkungslos, da es im Magen rasch durch unspezifische Esterasen deacetyliert und damit in das inaktive Derivat Salvinorin B umgewandelt wird (Abb. 2).

Salvinorin A stellt mit 0,15 bis 0,22% den hauptsächlichen Sekundärstoff der getrockneten Blätter dar. In den anderen Pflanzenorganen wie Wurzel, Spross oder Blüte wurde es dagegen nur in Spuren nachgewiesen. Sowohl die Biosynthese als auch die Speicherung finden nur in den Lamiaceen-Drüsenschuppen, jedoch nicht in den Drüsenhaaren statt (Abb. 1), welche sich auf der Blattunterseite befinden [16]. Der exakte Verlauf der Biosynthese wurde erst kürzlich mittels Zufütterung isotopenmarkierter Vorstufen aufgeklärt. Sie erfolgt nicht über den klassischen Mevalonat-Weg, sondern über den Deoxyxylulosephosphat-Weg (Rohmer Pathway) [17].

Wirkungsmechanismus

Wie die psychotropen Effekte von Zaubersalbei hervorgerufen werden, blieb noch lange im Verborgenen. Da die beschriebenen Effekte den Auswirkungen eines Ketamin-Rausches ähneln, wurde anfänglich eine Wirkung über den GlutamatNMDA-Rezeptor-Komplex postuliert. Abgesehen von den psychedelischen Narkotika Phencyclidin und Ketamin wirken die meisten klassischen Halluzinogene durch Bindung an Acetylcholinrezeptoren (Atropin, Scopolamin), Serotoninrezeptoren (LSD, Psilocybin, Ololiuqui) oder Catecholaminrezeptoren (Mescalin, Dimethoxymethylamphetamin). Daher wurde Salvinorin A in einer initialen Screening-Studie (NovascreenTM) auf Interaktionen mit diesen Rezeptoren getestet. Überraschenderweise konnte jedoch an keinem der Rezeptoren eine Bindung nachgewiesen werden [18].

Erst im breiter angelegten National Institution of Mental Health Psychoactive Drug Screening Program (NIMH-PDSP), das auch G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, Liganden-gesteuerte Ionenkanäle und Transportermoleküle mit einschloss, konnte der Wirkungsmechanismus nachgewiesen werden: Salvinorin A ist ein potenter und selektiver Agonist des κ‑Opioidrezeptors (κ‑OR) [19]. Bestechend ist dabei seine außerordentliche Selektivität, denn es konnte keine signifikante Bindung an andere Opioidrezeptoren (z. B. μ oder δ) oder an die über 40 anderen getesteten Zielstrukturen des ZNS festgestellt werden – ein Ergebnis, mit dem man nicht gerechnet hatte, das sich aber durchaus mit den Erfahrungen mit κ‑OR-selektiven Substanzen deckt.

Da κ‑OR-selektive Substanzen auch analgetisch wirken, wurden sie in der Vergangenheit intensiv erforscht. Man wollte mit ihnen die µ-OR-vermittelten Wirkungen von Opioiden (Euphorie, Abhängigkeitspotenzial, Atemdepression) ausschalten und lediglich die analgetische Wirkkomponente nutzen. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht, denn es waren nur partiell agonistisch/antagonistisch wirkende Substanzen verfügbar, welche neben ihrer starken stimulatorischen Wirkung am κ‑OR zusätzlich noch eine schwache agonistische (Pentazocin und Butorphanol) oder antagonistische (Nalbuphin) Aktivität am µ-OR und somit ein Suchtpotenzial aufwiesen. Hochselektiven κ‑OR-Liganden wie MR 2034 fehlten zwar die µ‑OR-vermittelten Wirkungen, sie fielen aber durch Dysphorie und vor allem durch psychomimetische Effekte auf, die denen eines Zaubersalbei-Trips stark ähneln [20].

Die Entdeckung des Wirkungsmechanismus von Salvinorin A weckte das wissenschaftliche Interesse an weiteren Inhaltsstoffen des Zaubersalbeis und anderer Salbei-Arten. In neueren naturstoffchemischen Untersuchungen wurden in S. divinorum neben den bereits bekannten Naturstoffen Nepetoidin B, Dehydrovomifoliol, (Iso-) Loliolid, Methylkaffeesäure, Methyl-3,4-dihydroxybenzoat, 3,4-Dihydroxybenzaldehyd auch zahlreiche neue Neoclerodan-basierte Diterpene isoliert: Salvinorin B bis I, Salvinicin A und B, Salvidivin A bis D und Divinatorin A bis F (Abb. 3) [21–23]. Weitere Salvinorine konnten auch in anderen Salbei-Arten wie dem Feuersalbei (Salvia splendens) [24, 25] oder dem Traubenduft-Salbei (S. melissodora) [26] nachgewiesen werden. Trotz der partiell starken strukturellen Ähnlichkeit der gefundenen Diterpene zeigen nur Salvinorin G und Divinatorin D eine schwache Affinität zum κ‑OR, Salvinorin A bleibt somit der stärkste halluzinogene Inhaltsstoff des Zaubersalbeis.

Abb. 3: Weitere Neoclerodan-basierte Inhaltsstoffe von Salvia divinorum.

Struktur-Wirkungs-Beziehungen

Der κ‑OR toleriert scheinbar nur geringe strukturelle Abweichungen von Salvinorin A. Zur Klärung des Pharmakophors, also desjenigen Teils, der für die pharmakologische Wirkung des Moleküls verantwortlich ist, wurde eine ganze Serie von strukturverwandten Diterpenen synthetisiert. Nach deren biologischen Testung konnten bereits erste Struktur-Wirkungs-Beziehungen abgeleitet werden. Demnach sind die Lactonisierung an C‑17 und die Keto-Funktion an C‑1 nicht für die Bindung am κ‑OR erheblich. Ein Austausch der Substituenten an C-18 oder des Furanrings an C-12 geht mit einem starken Wirkungsverlust einher; daher werden diese beiden funktionellen Gruppierungen als essenziell für die Wirkung angesehen. Weiterhin besitzt der Substituent an C‑2 eine Schlüsselstellung, denn Modifikationen an dieser Position beeinflussen u. a. nachhaltig die Rezeptor-Subtyp-Selektivität der Substanz. Ein 4-Bromo-benzoyl-Rest anstelle der Acetoxy-Gruppe an C‑2 verschiebt die Selektivität von κ- hin zu µ-Opioidrezeptoren, wohingegen eine Epimerisierung (Umkehrung der sterischen Anordnung) der Acetoxy-Gruppe an C‑2 die Selektivität zu δ‑OR leitet [27].

Salvinorine als Leitstrukturen für Arzneistoffe?

Für eine pharmazeutische Anwendung könnten Salvinorin-Analoga mit κ‑OR-antagonistischer Aktivität in Betracht gezogen werden. Zahlreiche neurologische Krankheiten wie Schizophrenie, Alzheimer-Krankheit, Chorea Huntington und Morbus Pick gehen mit Halluzinationen einher. Diese könnten durch eine geänderte κ‑OR-Anzahl oder Signaltransduktion hervorgerufen werden.

Bei Alzheimer-Patienten konnte eine erhöhte κ‑OR-Dichte in bestimmten Hirnregionen nachgewiesen werden [28, 29]. Substanzen, die an κ‑OR binden, ohne sie zu stimulieren, könnten hier neue antipsychotische Behandlungsmöglichkeiten bieten.

Volksmedizinisch wird der Zaubersalbei – in nicht-halluzinogener Dosierung – auch bei Störungen des Stuhlgangs und Wasserlassens, bei Kopfschmerzen, Rheumatismus und als Tonikum bei Blutarmut verwendet [1]. Diese Indikationen wurden noch nicht wissenschaftlich überprüft. Einzig die traditionelle Verwendung bei Diarrhö ist nachvollziehbar, nachdem kürzlich im Tierversuch nachgewiesen wurde, dass ein standardisierter S. divinorum- Extrakt die cholinerge Transmission myenterischer Nerven hemmt [30].

Gebrauch und Missbrauch heute

Seitdem Wasson S. divinorum 1962 in die westliche Welt gebracht hat, findet ein "Freizeitkonsum" allein oder in kleinen Gruppen, losgelöst von jeglichem religiösen Kontext, statt. Zaubersalbei ist keine Partydroge. Als Konsumenten wurden Erwachsene auf der individuellen Suche nach spirituellen Erfahrungen und experimentierfreudige Jugendliche beschrieben. In den letzten Jahren hat der Konsum deutlich zugenommen [31–33]. Sicherlich haben die leichte Verfügbarkeit und die Anpreisung durch das Internet dieser Entwicklung Vorschub geleistet.

Der Zaubersalbei ist allein schon dadurch attraktiv, dass er als gesundheitlich risikolos gilt und relativ billig ist (5 g kosten ca. 5 bis 12,50 Euro) [32]. Zudem unterlagen bis vor Kurzem weder die Pflanze noch ihre Teile noch ihr Wirkstoff explizit einer gesetzlichen Bestimmung. 2002 verbot Australien als erster Staat den Besitz von S. divinorum. Es folgten bis 2006 zahlreiche europäische Staaten (Italien, Schweden, Dänemark, Belgien) und fünf amerikanische Bundesstaaten – in Delaware war zuvor ein 17-jähriger Student im oder nach einem Zaubersalbei-Rausch zu Tode gekommen [34, 35]. In Deutschland wurden 2004 die ersten Anklagen wegen Handel mit Zaubersalbei erhoben. Darauf entschied beispielsweise das Landgericht Frankfurt/Main, dass die Pflanze aufgrund ihrer stark halluzinogenen Wirkung unter die Bestimmungen des AMG fällt. Im Mai 2006 empfahl der Sachverständigenausschuss für Apothekenpflicht, Salvia divinorum der Apothekenpflicht zu unterstellen, um den unkontrollierten Verkauf in "smart shops" und im Internet zu unterbinden; die Bundesregierung folgte dieser Empfehlung nicht, weil es sich nicht um ein Arzneimittel im Sinne des AMG handelt. Ein Jahr darauf empfahl im Juni 2007 der Sachverständigenausschuss für Betäubungsmittel, Salvia divinorum (Pflanze, Pflanzenteile und deren Zubereitungen) in Anlage I (nicht verkehrsmäßige Betäubungsmittel) des BtMG aufzunehmen, was zum 1. März 2008 geschehen ist.

Der Gesetzgeber hat gut daran getan, diese Gesetzeslücke zu schließen, denn abweichend von der traditionell-rituellen Anwendung werden heutzutage meist aufkonzentrierte Pflanzenextrakte (bis 2,5% Salvinorin A) bukkal, sublingual oder pulmonal appliziert. Dadurch ergeben sich wesentlich intensivere und gefährlichere psychedelische Effekte. Besonders die inhalative Anwendung der Droge mittels Vaporizer oder Wasserpfeife ist sehr beliebt, weil der Konsument dabei nicht mit dem bitteren Geschmack der Blätter konfrontiert ist und die Resorption wesentlich schneller und effektiver erfolgt als bei bukkaler Applikation. Die Wirkung stellt sich innerhalb einer Minute ein und wird als sehr intensiv erlebt. Im Rausch zeigen die Anwender eine leere und maskenhafte Mimik, lachen gelegentlich hysterisch los, stehen auf und stolpern über Gegenstände oder laufen gegen Wände. Deshalb ist die Anwesenheit eines nüchternen Aufpassers (Tripsitter) empfehlenswert. Dagegen stellen sich "bad trips" sehr selten ein.

Nach einem Trip kann es am selben Tag zu Konzentrationsstörungen, körperlicher und mentaler Müdigkeit kommen, jedoch wurde kein Hang-over am folgenden Tag beschrieben. Lediglich bei der Einnahme hoher Dosen kann es zu Panik oder Psychosen kommen, so sind z. B. manche Konsumenten davon überzeugt, dass das Universum aufgehört hat zu existieren. Ein Abhängigkeitspotenzial scheint nicht gegeben zu sein. Zur Langzeittoxizität von S. divinorum liegen bisher noch keine Daten vor. Es ist derzeit nicht möglich, das Risiko abzuschätzen. Die jüngsten Erkenntnisse über das Psychose-Potenzial des lange Zeit als folgenlos eingestuften Cannabis-Gebrauchs mahnen hier jedoch zur Vorsicht [36].

Fazit

Mit den berichteten Forschungsergebnissen ist die halluzinogene Wirkung von Salvia divinorum plausibel geworden. Der Hauptwirkstoff Salvinorin A ist nicht nur die erste stickstofffreie Verbindung mit Affinität zu Opioidrezeptoren, sondern er besticht auch durch seine extreme Selektivität zum κ‑Opioidrezeptor. Mit einer Wirkung im µg-Bereich stellt er nach LSD das potenteste Halluzinogen dar. Folglich erscheint die Einstufung als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel gerechtfertigt. Die Interaktion der Salvinorine mit Opioidrezeptoren bietet ein großes Potenzial als Leitstruktur für diverse Indikationen, insbesondere Psychosen. Damit könnte der Grundstein für eine neue Generation von Arzneistoffen gelegt worden sein.

 

Literatur

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Anschrift für die Verfasser: 

Dr. Harald Groß 

Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Bonn 

Nussallee 6, 53115 Bonn

 

 

 

 

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