DAZ aktuell

Unerträgliche Situation für Schmerzpatienten

FRANKFURT (du). Die Behandlung von schweren chronischen Schmerzen mit retardierten Opioiden erfordert viel Fingerspitzengefühl, denn es gilt, eine dauerhafte Schmerzlinderung bei Vermeidung von belastenden Nebenwirkungen zu erreichen. Ist es gelungen, einen Patienten gut einzustellen, werden die Erfolge oft durch Zwangsumstellungen aufgrund von Rabattverträgen wieder zunichte gemacht. Schmerztherapeuten haben den Deutschen Schmerz- und Palliativtag 2008 dazu genutzt, auf die unerträgliche Situation hinzuweisen.

Gefordert wurde, Medikamente mit geringer therapeutischer Breite aus den Vorschriften rund um die Rabattverträge herauszunehmen. "Wenn Befinden und Lebensqualität durch eine Umstellung leiden, muss diese vermieden oder zumindest rückgängig gemacht werden können, ohne dass dem Arzt dadurch Sanktionen drohen", so Dr. Marianne Koch, Präsidentin der Deutschen Schmerzliga.

Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie, brachte das Dilemma auf den Punkt: Schließen die Krankenkassen mit Herstellern Rabattverträge ab, so müssen die Apotheker diese Präparate abgeben, ansonsten würden ihnen Null-Retaxationen drohen. Zwar könne der Arzt durch Ausschluss von aut idem verhindern, dass der Patient ein anderes als das verordnete Präparat erhalte, doch dann drohen ihm Regresse. Anhand eindrucksvoller Beispiele zeigte er auf, mit welchen Schwierigkeiten Schmerztherapeuten zu rechnen haben, wenn sie beispielsweise anstelle von retardierten Morphingenerika teurere Opioidanalgetika wie Oxycodon oder Hydromorphon verordnen. In ihren Begründungen scheuen die Prüfkommissionen der Kassenärztlichen Vereinigungen dabei nicht davor zurück, Morphin den Status einer Leitsubstanz in der Schmerztherapie mit Opioiden zuzuweisen. Dabei diene Morphin lediglich als Referenzsubstanz, wenn es um die analgetische Potenz der Opioide gehe. Allein in Baden-Württemberg seien bis zu 80 Prozent der Schmerztherapeuten von Regressen bedroht. Die Forderungen liegen laut Müller-Schwefe in Größenordnungen von 3000 bis 150.000 Euro. Besonders unverständlich wird das Vorgehen vor dem Hintergrund, dass die Arzneimittelkosten nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten einer Schmerztherapie ausmachen. Verwiesen wurde auf die Behandlung von Patienten mit Rückenschmerzen, die pro Jahr etwa 25 Milliarden Euro kostet. 72 Prozent des Volumens entfallen auf Kosten für die Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung, dagegen nur 1,4 Prozent auf den Bereich Arzneimittel.


Resolution


In einer Resolution des Deutschen Schmerz- und Palliativtages erklären die rund 2000 Experten, dass die jüngsten Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen das grundgesetzlich garantierte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in eklatanter Weise verletzen. Sie beklagen insbesondere, dass die seit dem vergangenen Jahr geltenden Rabattverträge auch für stark wirksame und dem Betäubungsmittelrecht unterliegende Schmerzmittel gelten. Bei diesen Arzneimitteln müsse die individuell erforderliche Dosis jeweils sehr genau ermittelt und der Patient dann darauf eingestellt werden. "Jeder Austausch von Betäubungsmitteln innerhalb einer Substanz oder unterschiedlicher Substanzen untereinander erzeugt für den Patienten neue vom Arzt zu begleitende Risiken, die in ihren Anforderungen einer Neueinstellung entsprechen. Diese Haftung kann nicht auf den Apotheker übergehen, selbst wenn der Apotheker ein dem Arzt nicht bekanntes Produkt abgibt, z. B. im Rahmen von ökonomischen Einsparpflichten. Die Haftung verbleibt beim Arzt", heißt es in der Resolution.

Schlechtes Kriterium: Bioäquivalenz

Um Regressforderungen zu entgehen, sind viele Patienten in der Vergangenheit auf billigere Präparate und Wirkstoffe umgestellt worden. Zudem mussten und müssen sie, bedingt durch die Rabattverträge, mit Zwangsumstellungen rechnen. Der Bioäquivalenznachweis genügt dabei als Kriterium für die Austauschbarkeit. Wie fatal das für Substanzen mit geringer therapeutischer Breite wie im Falle der Opioide sein kann, machte Priv.-Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg, deutlich. Ein Nachahmerpräparat wird als bioäquivalent zum Originalpräparat eingestuft, wenn die Werte der Parameter Cmax , tmax und AUC in einem Bereich von 80 bis 125 Prozent der Werte des Originalanbieters liegen. Ist ein Patient nun mit einem generischen Präparat, dessen Cmax , tmax und AUC im Bereich von 80 Prozent der Werte des Originals liegen, gut eingestellt und erhält nun ein Generikum, dessen Werte bei 125 Prozent des Originals liegen, dann muss er mit deutlich höheren Plasmaspiegelkonzentrationen rechnen. Nebenwirkungen sind vorprogrammiert. Im umgekehrten Fall kann der Plasmaspiegel unter die für diesen Patienten wirksamen therapeutischen Konzentrationen sinken. Eine ausreichende Schmerzkontrolle ist dann nicht mehr gewährleistet. Um solche Probleme zu vermeiden, sind daher bei allen Umstellungen, sei es vom Original auf ein Generikum, von einem Generikum auf das Originalpräparat oder von einem Generikum auf ein anderes Generikum, Neueinstellungen dringend notwendig.

Kostenersparnis geht zulasten der Lebensqualität

Die Problematik ist nicht neu. Verwiesen wurde auf die Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft aus dem Jahre 2002, die damals schon die Substitution von Substanzen mit geringer therapeutischer Breite wie Opioidanalgetika als kritisch eingestuft hatte. Um zu evaluieren, welche Konsequenzen die gehäuften Präparatewechsel für die Schmerzpatienten haben, hat das Institut für Neurowissenschaften, Algesiologie und Pädiatrie in Nürnberg 424 Patienten prospektiv bei der Umstellung von Opioidanalgetika begleitet. Die Umstellungen wurden in der Regel vorgenommen, um Kosten zu sparen. Alle Patienten erhielten Analgetika aus der Gruppe der Betäubungsmittel entsprechend der Stufe III des WHO-Schemas zur Schmerztherapie. Anhand einer in der Schmerztherapie üblichen Bewertungsskala von 1 bis 10 gaben die Patienten an, ob und in welchem Ausmaß sich ihre Schmerzintensität durch den Präparatewechsel verändert hat. Etwa 85 Prozent der Patienten klagten über eine Verschlechterung ihrer Situation. Dabei wurden Veränderungen von bis zu sechs Punkten in der Schmerzskala registriert. Eine Kostenreduktion "bezahlte" der Patient in dieser Untersuchung mit mehr Schmerzen:

1 Euro Kostenersparnis pro Patient und Tag wurde im Schnitt mit einer Verschlechterung von zwei Punkten auf der Schmerzskala erkauft.

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