Gesundheitspolitik

Dreht der Wind?

Klaus G. Brauer

Sieh an: Während die EU-Kommission sich immer mehr als Großkonzern-Lobbyist geriert und hartnäckig daran arbeitet, den großen Kapitalgesellschaften und Ketten den leichten Zugriff auf Apotheken zu ermöglichen, greift das Europaparlament die Supermarktketten an. Sie seien "günstig, aber nicht gut" – titelt die Süddeutsche Zeitung einen Kommentar. Der Abschied von vertrauten Vorstellungen falle schwer. Straßburg habe so einen Abschied gewagt, als es in einer Resolution vor dem "Machtmissbrauch" der Ketten warnte. In der Tat: Die Resolution kritisiert, "dass in der gesamten EU der Einzelhandel zunehmend von einer kleinen Zahl von Supermarktketten beherrscht wird" (siehe S. 8). Diese Ketten missbrauchten ihre Marktmacht dazu, "die an Zulieferer bezahlten Preise auf unhaltbare Niveaus zu drücken und ihnen unfaire Bedingungen zu diktieren".

Mit der Erklärung, die von 439 der 785 EU-Parlamentarier unterschrieben wurde, fordert das Parlament die Europäische Kommission auf, "die Auswirkungen der Konzentration des EU-Supermarktsektors auf Kleinunternehmen, Zulieferer, Arbeitnehmer und Verbraucher zu untersuchen" und "geeignete Maßnahmen vorzuschlagen, um Verbraucher, Arbeitnehmer und Hersteller vor jeglichem Missbrauch einer beherrschenden Stellung zu schützen".

Was sich im Lebensmittelhandel zunehmend als Gefahr entpuppt – wollen wir es in der Arzneimittelversorgung erst einführen, um es anschließend bekämpfen zu müssen? Die krude Logik des Preiswettbewerbs – Preissenkung wird durch forcierte Absatzsteigerung (über)kompensiert – ist bei Arzneimitteln doch noch viel problematischer als bei Lebensmitteln. Auch die Gefahren einer horizontalen und vertikalen Vermachtung der Versorgung sind wesentlich größer. Oligopole im Apothekennetz, gesteuert von Kapitalgesellschaften mit berufsfremden oder sogar anonymen Eignern, würden den Verbrauchern, den Krankenkassen und auch der Politik sehr bald das Fürchten lehren. Bald würden alle den einstmals freien und unabhängigen Heilberuflern nachweinen, die ihr Gewinnstreben schon aus Eigennutz disziplinieren. Sie konnten und können es sich wegen ihrer lokalen Verwurzelung nicht leisten, langfristig aufgebautes Vertrauen und daraus entstehende Bindungen zu gefährden. Es könnte ihre Existenz zerstören.

Muss man immer erst durch Schaden klug werden? Die EU-Kommission wird weiter weghören. Das Europaparlament vielleicht nicht?


Klaus G. Brauer

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