Management

Der Apothekenmarkt der Zukunft

Neue Marktstrukturen als Ergebnis einer zunehmenden Dynamik

Der Apothekenmarkt ist im Wandel. Anfang 2008 zeichnen sich verschiedene Wege auf, in die sich die Apotheke entwickeln könnte. Welcher Weg tatsächlich eingeschlagen wird, hängt allerdings noch von einigen Unwägbarkeiten ab, beispielsweise von gerichtlichen Entscheidungen und von politischen Konstellationen. Der nachfolgende Beitrag aus der Sicht eines Lehrers für Pharma-Management geht von der Annahme aus, dass eine weitgehende Liberalisierung kommt, dass das Fremd- und Mehrbesitzverbot fällt und weitere Umwälzungen nicht mehr aufzuhalten sind.

Die Arzneimittelversorgung ist einerseits geprägt durch ein normatives Umfeld, das durch das einzelne Unternehmen nicht oder nur sehr begrenzt beeinflusst werden kann. Dazu zählen etwa die nationale bzw. europäische Gesetzgebung, die Demographie, die Veränderung gesellschaftlicher Werte, die Ökologie, die medizinische bzw. pharmazeutische Forschung usw. Diese Faktoren beeinflussen permanent den gesamten Markt und führen zu nachhaltigen strukturellen Veränderungen, die die öffentlichen Apotheken unmittelbar und in ihrem engeren Unternehmensumfeld betreffen. Insbesondere die Anpassung des ordnungspolitischen Rahmens als Reaktion auf Initiativen niederländischer Versandhändler bzw. auf Versuche, Apothekenketten im Fremdbesitz zu etablieren, ist derzeit kennzeichnend für die Dynamik.

Für die inhabergeführte Apotheke stellt sich damit das Unternehmensumfeld in folgenden Aspekten neu dar:

  • Durch Versandapotheken haben sich neue Vertriebskanäle ergeben, die zwar nur eine sehr begrenzte Zielgruppe ansprechen, aber insbesondere in dem immer wichtiger werdenden Bereich der OTC-Produkte in Anspruch genommen werden.
  • Immer mehr Apotheken schließen sich Systemanbietern an, z. B. Avie, Linda, vivesco. In unterschiedlicher Intensität werden diese Apotheken hinsichtlich des Marketings, des Einkaufs sowie anderer betrieblicher Aufgaben von den Systemzentralen unterstützt. Verbundeffekte schaffen Größenvorteile hinsichtlich Effektivität und Wirtschaftlichkeit.
  • Das beschränkte Mehrbesitzverbot ermöglicht es Apotheken, bis zu drei Filialen zu betreiben. Wenn auch in einem derzeit noch sehr begrenzten Maße, realisieren damit Apotheken in einem regionalen Umfeld schon Größenvorteile, die es Einzelapotheken erschweren, den Markt zu bearbeiten.
  • Die Kostenträger im verschreibungspflichtigen Bereich entwickeln Kundenbindungskonzepte (z. B. Hausapothekenmodell) und Modelle der Integrierten Versorgung, denen sich Einzelapotheken anschließen können.
  • Durch den Zusammenschluss von Partnern unterschiedlicher Wertschöpfungsstufen (z. B. Celesio und DocMorris) entstehen neue Handelsstrukturen, die geprägt sind durch eine starke Kapitalmacht und Größenvorteile.

Die zukünftigen Formen der Arzneimittelversorgung

Damit steht der Arzneimittelmarkt derzeit allerdings erst am Anfang eines noch nachhaltigeren Veränderungsprozesses, dessen Abschluss noch nicht absehbar ist. Bei der Betrachtung anderer Gesundheitssysteme wird deutlich, wohin die Reise zukünftig gehen kann. Norwegen und Großbritannien sind viel zitierte und gleichermaßen gefürchtete Beispiele. Wenngleich davon ausgegangen werden kann, dass solche Verhältnisse aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausgangssituationen vor der Liberalisierung nicht auf das deutsche System zukommen, lassen sich sowohl von diesen beiden Märkten als auch von weiteren, z. B. den USA oder Australien, Erkenntnisse über zukünftige Strukturen des deutschen Arzneimittelmarktes und damit zu Handlungsoptionen von Apothekerinnen und Apothekern ableiten.

Es gibt Juristen, Politiker und Ökonomen, die davon ausgehen, dass bis spätestens zum Jahr 2009 das Fremdbesitzverbot vom EuGH aufgehoben ist und die Änderung in deutsches Recht überführt werden wird. Damit einher geht der Wegfall des (beschränkten) Mehrbesitzverbotes. Derzeit nur im Schatten dieser anstehenden gesetzlichen Änderungen diskutiert wird eine mögliche Änderung der Apothekenbetriebsordnung, was etwa dem Einzelhandel, z. B. in Form von Shop-in-Shop-Systemen, neue Absatzformen ermöglicht. In der öffentlichen Diskussion ebenfalls nur am Rande beachtet wird gegenwärtig der mögliche Wegfall der Apothekenpflicht für OTC-Produkte. Bei der Betrachtung der Versorgungssysteme unserer europäischen Nachbarn ist aber anzunehmen, dass auch dieser ordnungspolitische Schutzwall über kurz oder lang fallen wird. Als Indiz hierfür sind die Engagements der Drogeriemarktketten zu werten, die vermutlich nicht alleine darauf spekulieren, Apotheken betreiben zu dürfen. Vielmehr geht es ihnen auch um den Vertrieb verschreibungsfreier Medikamente ohne die Fach- und Beratungskompetenz eines approbierten Pharmazeuten.

In großen Teilen sind dies aus Sicht des heilberuflichen Auftrags beunruhigende Entwicklungen. Sie scheinen aber bei nüchterner Betrachtung unausweichlich zu sein. Konsequenterweise müssen wir davon ausgehen, dass der Apothekenmarkt im Jahr 2015 mit den Strukturen heute bzw. vor fünf oder zehn Jahren nichts mehr gemeinsam haben wird. Es zeichnet sich ab, dass es sieben verschiedene Versorgungsformen geben wird, die in Konkurrenz zueinander treten:

1. Inhabergeführte Einzelapotheke: Diesen unabhängigen Versorgungstyp wird es auch zukünftig geben. Allerdings werden solche Apotheken nur durch ihre konsequente Spezialisierung mit entsprechendem Zielgruppenzugang existieren können, oder sie befinden sich in einer 1A-Verkaufslage mit einem hohen Anteil Laufkundschaft (z. B. Flughäfen, Bahnhöfe, exklusive Innenstadtlagen).

2. Inhabergeführte Apotheke mit Filialen: Um eine größere Zielgruppe zu erreichen und gleichzeitig Mengendegressionseffekte erzielen zu können, werden immer mehr Apotheker ein Filialgeschäft betreiben. Die Zahl der Filialen wird nicht auf drei beschränkt bleiben. Insofern hat eine erfolgreiche Apotheke neue Möglichkeiten der Expansion in die Fläche, wobei die Regionalität wesentlicher Erfolgsfaktor bleiben wird.

3. Inhabergeführte Apotheke im regionalen Markenverbund: Sowohl für die Einzelapotheke als auch für die Apotheke mit Filialgeschäft wird der regionale Markenverbund ein wichtiger Erfolgsfaktor werden. Die individuellen Stärken (z. B. Spezialisierungen) werden gepaart mit einer hohen Marktdurchdringung. Zentrale Voraussetzung ist allerdings die konsequente, einheitliche Markenführung.

4. Inhabergeführte Apotheke im überregionalen Markenverbund: Überregionale Markenverbünde existieren bereits, allerdings derzeit noch mit unterschiedlicher Markenkraft. So haben es etwa DocMorris, Avie oder auch easy-Apotheke geschafft, mit einer hohen Durchgängigkeit ihres Auftritts und ihrer Kommunikation eine dem Kunden bekannte und präsente Marke zu schaffen. Andere Verbünde wie etwa Linda, vivesco oder Partner-Apotheke sind von einer durchgängigen Wahrnehmung noch weit entfernt. Der langfristige Erfolg solcher Verbünde wird maßgeblich von der Qualität der Markenführung und der Akzeptanz dieser Dominanz durch die Inhaber abhängen.

5. Kettenapotheken: Von verschiedenen Kapitalgesellschaften werden durch den Aufbau überregionaler Markenverbünde bereits die Vorbereitungen getroffen, nach Fall des Fremdbesitzverbotes Apothekenketten zu etablieren. Anders als etwa in Norwegen oder Großbritannien werden diese Ketten den deutschen Markt nicht unter sich aufteilen; sie werden mit den anderen Versorgungsformen konkurrieren. Gleichwohl werden sie aufgrund der damit verbundenen ökonomischen Vorteile mittel- bis langfristig einen nachhaltigen Stellenwert haben.

6. Einzelhandelsketten: Auch neue Spieler werden sich ein Stück des Kuchens sichern. Lebensmitteleinzelhändler und Drogeriemärkte werden zukünftig Arzneimittel vertreiben. Anders als die Renditen in ihren angestammten Produktbereichen kann mit OTC-Medikamenten ein Mehrfaches dessen erzielt werden. Einerseits werden wir in Form von Shop-in-Shop-Systemen den Apothekenbetrieb in ausgewählten Filialen dieser Ketten finden. Andererseits werden OTC-Produkte in der Freiwahl platziert sein.

7. Versandapotheken: Versandapotheken werden ihren Marktanteil ohne eine stationäre Komponente kaum weiter ausbauen können. Es scheint bereits eine virtuelle Grenze erreicht worden zu sein. Allerdings können Versandapotheken zukünftig stärker von Ketten oder Markenverbünden betrieben bzw. genutzt werden, um einen weiteren Absatzkanal zum stationären Geschäft hinzuzufügen.

Aktueller Handlungsbedarf

Apothekerinnen und Apotheker haben damit verschiedene Optionen für die Gestaltung ihrer Zukunft in der Arzneimittelversorgung. Damit verbunden sind unterschiedliche Maßnahmenpakete (Strategien), die zu den gewünschten Zielen führen. Ob es gilt, die Braut (Apotheke) hübsch zu machen für eine Hochzeit mit einem starken Bräutigam (Großhändler, Lebensmitteleinzelhändler), oder das Unternehmen durch Spezialisierungen, Erweiterungen in der Fläche und neue Netzwerke stark zu machen, es gibt einige Erfolgsfaktoren, die schon heute von den Apothekerinnen und Apothekern berücksichtigt werden sollten. Dazu zählen etwa die Entwicklung einer Qualitätsführerschaft gepaart mit einer Spezialisierung in definierten Indikationsgebieten, eine zielgruppenkonforme Markenstrategie, der Aufbau eines multikanalen Vertriebs, die Gestaltung eines proaktiven Netzwerkmanagements oder auch die Elektronifizierung bzw. Automatisierung von Geschäftsprozessen.

Zusammengefasst bleibt festzuhalten, dass sich die Marktstrukturen noch weiter verändern werden. Apothekerinnen und Apotheker sind damit bereits heute aufgefordert, Entscheidungen für eine erfolgreiche Zukunft zu treffen.


Prof. Dr. Ralf Ziegenbein, Studiengangsleiter, MBA Pharma Management, International School of Management (ISM), Otto-Hahn-Straße 19, 44227 Dortmund, E-Mail ralf.ziegenbein@ism-dortmund.de, www.ism.de

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