Der Staat als allmächtiger Retter?

In einem ungeahnten Kraftakt haben sich die Staaten insbesondere der westlichen Welt zu verschiedenen "Rettungspaketen" und weitreichenden Garantien hinreißen lassen (müssen). Tatsache bleibt aber, dass es eben doch der Markt wieder richten muss, und Verwerfungen werden da nicht ausbleiben. Viel entscheidender wird es sein, dafür zu sorgen, dass letztlich keine künstlichen Märkte heranwachsen.

Lehren aus der Finanzkrise – Teil 3

Hierzu ein paar Eckdaten: Die Jahres-Weltwirtschaftsleistung bewegt sich in der Größenordnung von 40 Billionen Euro. Die Gesamtverschuldung allein der USA (Staat, Unternehmen und Privatleute) dürfte mit 25 bis 30 Billionen Euro vorsichtig eingeschätzt sein; das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der USA liegt bei knapp unter 10 Bio. Euro. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen: Das Volumen aller Derivate, Termingeschäfte und sonstiger "Wetten" auf Dies und Das erreicht unvorstellbare 450 Billionen Euro, also größenordnungsmäßig das Zehnfache der Weltwirtschaftsleistung, oder pro Erdenbürger von Amerika bis Zentralafrika, vom Säugling bis zum Greis fast 70.000 Euro. Das ist mit keinerlei Sachwerten oder "Humankapital" zu hinterlegen. Hier stoßen die sogenannten Rechtsstaaten langsam an ihre Grenzen: Dummerweise stehen hinter all diesen Summen irgendwelche Forderungen und Ansprüche, die sich nicht alle so einfach "in Luft auflösen" oder per autoritärem Federstrich einfach entwerten lassen. Irgendwo tauchen die Summen eben im Wirtschaftskreislauf wieder auf. Die internationale Verflechtung tut das Ihrige dazu.

Die deutsche Wirtschaftsleistung liegt bei 2,4 Bio. Euro. Allein alle Banken Deutschlands weisen aber bereits Aktiva in Höhe von 8 Bio. Euro auf, das Eigenkapital liegt vielfach unter 10%. Die Eigenkapitalquote selbst bedeutender Industrieunternehmen erreicht oft nicht mal ein Viertel ihres Gesamtkapitals. Nicht ungewöhnlich ist es auch, dass hinter jedem Euro, der an Umsatz in die Firmenkasse wandert, 50 Cent Schulden stehen, bei einem Firmengewinn von 2 oder 3 Cent. Das illustriert die enorme Abhängigkeit von Krediten und die drastischen Auswirkungen, falls dieser turbogeladene "Kreditmotor" einmal stottert. Gleichzeitig verfügen die Deutschen über ein Geldvermögen inklusive Aktien, Fonds, Lebensversicherungen und sonstige Geldanlagen von 4,5 Bio. Euro, das Immobilienvermögen kommt noch hinzu. Umgekehrt gibt die Bundesregierung mit einem Bundeshaushalt von nicht einmal 0,3 Bio. Euro eine Garantie für alle privaten Spareinlagen, Tagesgelder und Giroeinlagen ab, die alleine schon einen Betrag von grob überschlagen 1,5 Bio. Euro ausmachen.

Das gesamte "Rettungspaket" der EU hat ein Volumen von 1,8 Billionen Euro, wobei das Meiste davon nur "gesicherte Verfügungsrahmen", aber keine direkte Kapitalspritzen oder Zuschüsse sind. Zusammen mit den USA liegen über 2,2 Bio. Euro "im Ring".

Es geht um Psychologie

Lässt man sich diese dürren Zahlenreihen durch den Kopf gehen, so kommt man schnell zu dem Schluss: Die Staaten bürgen für etwas, was ihre Möglichkeiten bei Weitem überschreitet. Es geht also mehrheitlich um Psychologie und um ein "Anschieben" des stotternden Motors. Der gefährlich abgesunkene Ölstand wird aufgefüllt, und es gibt eine Extraportion Supertreibstoff. An der Konstruktion der Maschine ändert sich bis auf Weiteres nichts Durchgreifendes.

Trotzdem starren jetzt alle auf den vor Kurzem noch vielgeschmähten Staat, den Renten- und Sozialleistungskürzer, den Überregulierer, den unbändigen Steuerschlund. Aber auch den mächtigen Umverteiler, den gütigen "Übervater", der viele Branchen und Einzelpersonen mit einem warmen Regen bedenkt, die ansonsten auf dem "freien Markt" so ihre Probleme hätten oder schlicht mehr Eigenverantwortung übernehmen müssten.

Dabei sind der Staat wir alle. Doch wir haben die Entscheidungen delegiert, an Entscheidungsträger, die im Zweifelsfall die Zahler nicht weiter fragen und dabei selbst keine umfassende Verantwortung übernehmen, weil sie für das, was sie anzurichten vermögen, mit ihren Mitteln gar nicht gerade stehen können. Deshalb hat man es früher mit drastischen Strafen versucht, Versager bisweilen sogar "an die Wand gestellt" (und tut dies in einigen Ländern ja heute noch). Das Dumme: Den Geschädigten hilft das bis vielleicht auf eine kurzfristige Befriedigung niedriger Instinkte in keiner Weise weiter.

Ein Teufelskreislauf

Es sind häufig Entscheidungsträger, die selbst als Schönwetterkapitäne schon eine beschämende Vorstellung abgeben. Denn hier beginnt das Problem: Mit fremdem Geld lässt es sich schön bequem wirtschaften. Im Übrigen ist dies eine der wesentlichen Ursachen der derzeitigen Verwerfungen: Statt an Unternehmer wurde mehr und mehr Verantwortung an Manager delegiert. Immer weniger Menschen hingegen wollten "auf eigene Kappe" Verantwortung übernehmen. Kapitalgeber zogen sich zurück, schoben Vermögensverwalter und entsprechende Gesellschaften oder Banken vor. Dies ist zum einen dem immer weiter hochgezüchteten Wirtschaftsmotor zu verdanken, der mit einem Energiehunger arbeitet, welcher den Einzelunternehmer mehr und mehr überfordert. Wie schon letzthin geschrieben, erfordert gerade die Komplexitätsfalle, das "größer – weiter – höher" immer massivere Anstrengungen. Andererseits hat gerade in Kerneuropa die risikoaverse Geldanlagekultur und die Verteufelung des Unternehmertums seine Spuren hinterlassen. Wer sein Geld nicht selbst unternehmerisch arbeiten lässt, sondern sich auf andere verlässt, kommt zwangsläufig in die Situation, dass Angestellte ohne persönliche Haftung über immer größere Summen entscheiden. Kommen dann noch die Renditegier auf allen Seiten und der Glaube an das immerwährende "Zinseszinsmärchen" garantierter Renditen auf die Ewigkeit dazu, ist der Teufelskreislauf perfekt.

Und so haben schöner Schein, eloquentes Auftreten und die hochgelobte "globale Flexibilität" oft über die Karrieren und Unternehmensschicksale entschieden. Es liegt jedoch auf der Hand, dass es gerade solchen globalisierten Arbeitsnomaden ohne Bindung an eine Heimat herzlich egal ist, was aus der Firma XY in Klein-Entenhausen wird. Daran ändert auch eine nationale Begrenzung von Vergütungen nichts, im Gegenteil. Man ersetzt dann nur die finanzielle Gier durch Beamtentum, Ideologie, Selbstüberschätzung oder eine Mischung aus allem. Wirtschaften Minister besser, weil ihr Jahresgehalt unterhalb der 200.000 Euro-Marke endet? Sind schlecht bezahlte Krankenkassenvorstände die besseren Verwalter fremden Geldes?

Konflikt zwischen Theorie und Praxis

Wir erleben einen klassischen Konflikt zwischen Theorie und Praxis, der vielleicht einmal wieder in einen fruchtbaren politischen Diskurs über den Sinn unseres Wirtschaftens mündet. Das Idealbild des gütigen "Übervaters" schwingt in allen staatszentrierten Ansätzen mit. Und tatsächlich: Vieles ließe sich durch zentrale Steuerung effektiver handhaben. Wozu brauchen wir Tausende an verschiedenen Automodellen? Wäre es angesichts der heutigen Herausforderungen wie neue Antriebstechniken nicht sinnvoller, die Forschung zentral zu koordinieren, mit gebündelter Kraft Alternativen zu entwickeln und den Firmen dann nur die Endentwicklung, die Produktion und den Vertrieb zu überlassen? Und diese Zentralforschung mit Milliardenbeträgen auszustatten, Institute von Weltruhm damit zu betrauen oder solche zu schaffen, und sich nicht mehr mit einer "Kleckerförderung" von (im Einzelfall sicher hochinteressanten und chancenreichen) kleinen Einzelprojekten auf besserem Bastlerniveau aufzuhalten?

Ist es sinnvoll, dass "gierige" Pharmafirmen 20% und mehr Rendite einfordern und 30% ihres Umsatzes in Marketing und Verkauf stecken, ja stecken müssen, weil es eben x andere, vergleichbare Präparate gibt? Wie oft ist ein Blutdruckmittel, Fettsenker oder Krebsmittel schon in verschiedensten Laboren kompetitiv nebeneinander her entwickelt worden? 60 Mrd. Euro werden weltweit von den Firmen jährlich für Pharmaforschung ausgegeben. Wie viel davon ist Parallelforschung? Was könnte man mit solchen Beträgen erreichen, wenn man sie zentral koordinieren und in die Erforschung jener Krankheiten stecken würde, die zum einen das größte Leid verursachen und zum anderen gute Ansatzpunkte bieten, wirkliche Fortschritte (und nicht nur marketingtechnisch aufbereitete) zu erzielen?

Kaum ein vernünftiger Mensch würde da widersprechen. Leider haben wir uns aber gefährlich in die Richtung der Träumerei bewegt – leider! Doch der Blick in die jüngste Realität führt wieder auf den Boden zurück. Erste Politiker fordern beispielsweise schon wieder mitten in einer Kreditkrise günstige Darlehen für verbrauchsgünstige Autos und die so hochgelobte energetische Sanierung von Gebäuden. Man muss schon sehr viel fahren, um alleine den Energieaufwand für die Herstellung eines neuen Autos mit ein oder zwei Litern Minderverbrauch herauszufahren – ein energetischer Unsinn, zumal wenn wiederum Kredite das ganze, unsolide System mit der Diskrepanz zwischen Schein und Haben und einer viel zu dünnen Eigenkapitalbasis weiter aufblasen sollen.

Vor dem Wegwerfen kopieren …

Im Arzneimittelbereich sehen wir das Ergebnis steter Regulierung unseres "Übervaters" Staat ständig vor uns. Selbst eingefleischte Gesundheitsökonomen blicken bei den zahlreichen Eingriffen nicht mehr durch. Sicher ist es für die Apotheken angenehm, falls jetzt der Zwangsrabatt an Kassen wegen des Aufwandes für die Rabattverträge deutlich gesenkt werden sollte. Gleichzeitig wird aber zu großen Teilen das, was die Verträge bislang überhaupt nur einsparen, wieder zurückerstattet. Der wahre Aufwand in den Apotheken dürfte indes noch höher liegen, also hält sich die Freude auch hier in Grenzen. Das ist genauso irrsinnig wie die Anweisung: Vor dem Wegwerfen bitte kopieren ... Eben ein echtes Lehrstück aus Absurdistan, vollbracht von Politikern, auch berufsständischen Politikern. Bloß kein Markt, bloß nicht den eigentlichen Kunden, den Patienten zur Richtschnur machen. Im Gegenteil, der Zahler wird immer weiter entmündigt. Entmündigung ist eben eine der hässlichen Schwestern der Regulierung, der Delegation von Entscheidungen an andere und der Preisgabe von Eigenverantwortung.

Das alles sollte die Augen öffnen, bevor wieder über mehr Regulierung und Staat gesprochen wird. Es ist wohl so, dass der Staat im Moment dieser Zuspitzung der Finanzkrise sich wirklich eine Macht anmaßen musste, die er letztlich nicht hat, und somit die Wogen glätten konnte. Faktisch muss es aber eben doch der Markt wieder richten, und Verwerfungen bleiben da nicht aus. Viel entscheidender wird es sein, dafür zu sorgen, dass es keine künstlichen Märkte werden, die da zunehmend herangezüchtet werden. Herangezüchtet durch Regulierer, Weltverbesserer und Ideologen. Märkte, die dann irgendwann nur mit einem noch lauteren Knall platzen ....

Anschrift des Verfassers:

Dr. Reinhard Herzog, Apotheker, Philosophenweg 81, 72076 Tübingen

E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de
Dreiteilige Serie
Teil 1: Schreibt die Hälfte aller Apotheken schon rote Zahlen? (AZ Nr. 42 vom 13. Oktober 2008)
Teil 2: Downsizing (AZ Nr. 44 vom 27. Oktober 2008)
Teil 3: Der Staat als allmächtiger Retter?

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