Gesundheitspolitik

dm-Urteil: Individualzustellung beim Arzneimittelversand nicht nötig

Das Bundesverwaltungsgericht legt seine Entscheidungsgründe vor

Berlin (ks). Seit dem 13. März haben die Arzneimittel-Bestell- und Abholstellen der Europa-Apotheek Venlo in dm-Drogeriemärkten den Segen des Bundesverwaltungsgerichts. Nun liegen auch die Entscheidungsgründe vor. Aus ihnen geht hervor, dass der am Verfahren beteiligte Vertreter des Bundesinteresses im Einvernehmen mit dem Gesundheitsministerium eine ungeregelte Ausweitung der Vertriebswege- und -formen für Arzneimittel für "sehr bedenklich" hält. Das Gericht sah sich hierdurch allerdings nicht veranlasst, den Versandhandelsbegriff einschränkend auszulegen. Zugleich machen die Urteilsgründe deutlich: Der Gesetz- und Verordnungsgeber hätte durchaus Möglichkeiten gehabt, Fälle wie den vorliegenden zu unterbinden.

Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich in der Revision insbesondere mit der Frage auseinander, ob die Kooperation des dm-Marktes (Klägerin) mit der Europa Apotheek eine Form des zulässigen Versandhandels mit Arzneimitteln darstellt. Die Beklagte – die Stadt Düsseldorf – hatte gerügt, dass die Klägerin entgegen § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) Handel mit Arzneimitteln treibe, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist. Das Vertriebssystem, in das sie eingebunden sei, stelle keinen Versand im Sinne der bestehenden Vorschriften dar, da die Lieferung nicht in den persönlichen Bereich des Bestellers erfolge. Die Leipziger Richter sahen dies jedoch anders. Für sie steht es außer Frage, dass die von der Europa Apotheek gelieferten Arzneimittel rechtmäßig und im Wege des Versandes in den dm-Filialen für den Endverbrauch in Verkehr gebracht werden. Der Versandhandel erfordere keine Individualzustellung – vielmehr umfasse der Begriff auch die Auslieferung der bestellten Ware über eine Abholstation. Dies ergebe sich zunächst aus dem Wortsinn, wie er etwa dem Brockhaus zu entnehmen sei. Danach können im Versandhandel bestellte Waren auch über Kontaktstellen zugestellt werden. Geschichte und Systematik des Gesetzes sprechen dem Gericht zufolge ebenfalls nicht zwingend für eine engere Auslegung: "Zwar dürfte der Gesetzgeber von dem ‚klassischen‘ Versandhandelsmodell mit individueller Zustellung ausgegangen sein", heißt es im Urteil, "doch er hat seine Regelung nicht auf dieses Modell beschränkt." Das Urteil verweist auf die Gesetzesbegründung, in der ausgeführt wird, dass der Arzneiversand "chronisch kranken, immobilen Patienten, älteren Bürgern, Berufstätigen oder Kunden mit größeren Entfernungen zur nächsten Apotheke sowie der häuslichen Pflege von Patienten" entgegen kommen solle. Bei immobilen Patienten liege es auf der Hand, dass ihnen nur ein Versand mit individueller Zustellung gerecht werde – doch nicht sie allein prägten das Bild des zulässigen Versandes. Denn genannt seien auch die eher an einer Abholung interessierten Berufstätigen. Die Vorschrift, die dem Versandapotheker aufgibt, sicherzustellen, dass eine kostenfreie Zweitzustellung veranlasst wird (§ 11a S. 1 Nr. 3 d Apothekengesetz) erfordere ebenfalls keine einschränkende Auslegung. Ihr sei nicht zu entnehmen, dass der Besteller nicht auch im Vornherein auf eine Individualzustellung verzichten und die Abholung an einer Abholstation vereinbaren dürfe.

Arzneimittelsicherheit nicht in Gefahr

Auch die Belange des Verbraucherschutzes und der Arzneimittelsicherheit sprechen dem Urteil zufolge "nicht gegen, sondern für den weiten Versandhandelsbegriff". Die Lagerung der bestellten Arzneimittel und deren Ausgabe an den Verbraucher, wie sie bei der Klägerin gehandhabt werde, begründe keine größere Gefahr als beim Transport und der Auslieferung durch Postdienstleistungsunternehmen. Im Übrigen sei der Verordnungsgeber ermächtigt, ergänzende Vorschriften für den Versandhandel mit Arzneimitteln aus Gründen der Arzneimittelsicherheit und des Verbraucherschutzes zu erlassen (§ 21 Abs. 2 Nr. 1a ApoG). Die Gefahr, dass ein Kunde den besonderen Charakter von Arzneimitteln verkennen und in der Folge eine pharmazeutische Beratung für nicht mehr notwendig erachten könnte, wenn er apothekenpflichtige Arzneimittel im selben Laden erhält wie Gegenstände des täglichen Bedarfs, sehen die Richter ebenfalls nicht gegeben. Diesen Einwand des Vertreters des Bundesinteresses wiesen sie mit dem Hinweis zurück, dass die Klägerin geeignete Vorkehrungen getroffen habe, um die Abholstation für Arzneimittel von ihrem eigenen Warenangebot zu unterscheiden. Auch stehe den Kunden an den Abholstationen ein Beratungstelefon der Europa Apotheek zur Verfügung. Ein unkritischer Arzneimittelkonsum sei damit nicht zu befürchten. Das Gericht verwies darauf, dass der Gesetzgeber mit der Einführung des Versandhandels die Inanspruchnahme der Beratung durch den Apotheker bewusst in die freie Entscheidung des Patienten gestellt habe.

Was unzulässig bleibt

Auch wenn sie die hier streitgegenständlichen Versandmodalitäten für gerechtfertigt halten, betonen die Richter in ihrem Urteil, dass durch den weiten Versandhandelsbegriff nicht jede beliebige Form der Beteiligung eines Drogeriemarktes am Arzneimittelvertrieb gedeckt sei. Unzulässig wäre es etwa, wenn sich das Unternehmen, dem sich der Versandapotheker als Logistiker für die Abgabe bedient, so gibt, als würde es selbst Arzneimittelversandhandel betreiben. Das gleiche gilt, wenn durch Werbung der Eindruck erweckt werde, die Medikamente könnten bei dem in den Vertrieb eingeschalteten Unternehmen selbst gekauft werden. Vorliegend kommt bei den Richtern jedoch kein Zweifel auf, dass die niederländische Apotheke alleiniger Vertragspartner des Kunden und Lieferant der Arzneimittel ist.

Länderliste für Gericht verbindlich

Auch einen Verstoß gegen das Verbringungsverbot des § 73 Abs. 2 S. 1 AMG sehen die Richter nicht gegeben. Die Europa Apotheek erfülle die in Nr. 1a dieser Vorschrift niedergelegten Voraussetzungen: Sie besitze zum einen eine niederländische Versandhandelserlaubnis, zum anderen entspreche das niederländische Recht im Hinblick auf den Versandhandel dem deutschen Apothekenrecht. Letzteres ergebe sich aus der Bekanntmachung des Bundesgesundheitsministeriums vom Juni 2005, wonach in Holland für den Versandhandel mit Arzneimitteln vergleichbare Sicherheitsstandards bestehen. Zusätzlich stellt diese "Länderliste" das Erfordernis auf, dass nur solche niederländischen Apotheken nach Deutschland versenden dürfen, die zugleich eine Präsenzapotheke unterhalten – in Holland ist dies keine Pflicht. Seine Ausführungen, ob das holländische und das deutsche Recht vor diesem Hintergrund tatsächlich als gleichwertig zu erachten sind, hält das Gericht knapp. Wenn ohne Weiteres ersichtlich sei, dass das deutsche Erfordernis von der ausländischen Versandapotheke erfüllt werde, sei es gerechtfertigt, eine entsprechend eingeschränkte Feststellung der Gleichwertigkeit zuzulassen. Mit der Frage, wie die Länderliste rechtlich zu qualifizieren ist, beschäftigen sich die Richter gar nicht erst. Auf jeden Fall komme der Bekanntmachung "die Bedeutung einer gesetzlich vorgesehenen sachverständigen Feststellung zu, die auch für die Gerichte grundsätzlich so lange bindend ist, wie die ihre zugrunde liegende fachliche Einschätzung nicht substantiiert in Frage gestellt wird". Solche substantiierten Einwände seien vorliegend jedoch nicht geltend gemacht worden.

Keine Rezeptsammelstelle

Eine verbotene Unterhaltung einer Rezeptsammelstelle (§ 24 Apothekenbetriebsordnung) sieht das Gericht ebenfalls nicht gegeben. Diese Regelung sei für die Entgegennahme von Arzneimittelbestellungen nicht einschlägig, da sie von einer räumlichen Bindung der Arzneimittelabgabe an die Apotheke ausgehe. Wenn diese Bindung wie beim Versandhandel fehle, sei die daran anknüpfende Bestimmung auch nicht anwendbar. Sammelbestellungen, so heißt es im Urteil, seien von jeher typisches Element des Versandhandels. Wenn der Gesetzgeber daher den Versandhandel mit Arzneimitteln zulasse, umfasse dies auch die Möglichkeit, Bestellungen einzusammeln und gebündelt an die Versandapotheke weiterzuleiten. Auch gegen die konkrete Form, wie die Klägerin die Bestellungen einsammelt, hat das Gericht keine Bedenken.

Seitens des Bundesgesundheitsministeriums war bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme zu dem Urteil zu erhalten.

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