Praxis aktuell

Computer-Informationssystem

Niederlande: Wie Ärzte und Apotheker zusammenarbeiten

Mitglieder der Arbeitsgruppe Europa/Euregio der Apothekerkammer Nordrhein und des Apothekerverbandes Nordrhein informierten sich Ende November 2006 in Nimwegen (Niederlande) über ein computergestütztes Apotheken-Informationssystem und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern. Was können wir von diesem niederländischen Modell lernen?

Niederländische Apotheker haben sich vielerorts in benachbarten Städten zusammengeschlossen, um ein System der gegenseitigen Information zum Nutzen der Patienten zu etablieren. Zunächst wurde im Raum Nimwegen eine Stiftung gegründet, die mit staatlichen Zuschüssen und den Einlagen der 15 Mitglieder etwa 150.000 Euro in Programme und einen zentralen Server investierte.

Kees Lemmens von der Stiftung OZIS (Open Zorg Informatiesysteem) gab einen kurzen Überblick über die Datenstruktur. Ähnlich wie in Deutschland werden die erforderlichen pharmakologischen Grunddaten zu Arzneimitteln über ein wissenschaftliches Institut – in den Niederlanden von der königlichen Apothekerkammer – geliefert. Vergleichbar mit der ABDA-Datenbank liegen Informationen zu Wechselwirkungen und Nebenwirkungen auf dem Server, sie können dann in der Mitgliedsapotheke auf den einzelnen Datensatz des Patienten übertragen werden. Bei Eingabe des Namens und der Adresse des Patienten hat die Heimat-apotheke Zugriff auf die Rezeptdaten.

Arzneimittelsicherheit als Verpflichtung

Arjan van Nistelrooij, Vorstandsmitglied der niederländischen Apothekerkammer und Anwender von OZIS in der Apotheke Binnendijk in Nimwegen, hat nach internen Recherchen den Datensätzen bestimmte zusätzliche Informationen, wie zum Beispiel eine eingeschränkte Nierenfunktion, beigefügt. Der Patient kann lückenlos überwacht werden, weil die Stammapotheke automatisch, auch wenn die Verordnung in einer Nachbarapotheke eingelöst wird, einen Bericht erhält.

Van Nistelrooij sieht in der Anwendung von OZIS ein Nebeneinander von Service und Verpflichtung. Die Sicherheit der Versorgung der Patienten hat Vorrang, das sei gewährleistet durch Dosierungsangaben auf dem Rezept, Interaktionschecks und Dokumentation jeder Verschreibung.

Der Apotheker in den Niederlanden darf Dauermedikationen fortschreiben, wenn eine Erstmedikation des Arztes vorliegt. Auch hierbei bietet das System OZIS wertvolle Hilfestellung.

Qualitätskontrolle bei Rezepturen

Auch bei Rezepturen wird Sicherheit großgeschrieben. Um Wägefehler und Verwechslungen auszuschließen, wird die Herstellung in der Binnendijk-Apotheke computerüberwacht. Alle Rohstoffe sind mit einem Balkencode gekennzeichnet und die einzelnen Wägeschritte werden nach Vorgabe aufaddiert, so dass ein Unter- oder Überschreiten den Vorgang der Herstellung sofort anhält. Für Infusionslösungen stehen ein Reinraum sowie ein Laminar Air Flow zur Verfügung. Die Validierung des Herstellungsprozesses, wie in der Industrie schon lange üblich, macht Ringversuche oder Kontrollen der Aufsichtsbehörden überflüssig.

Wenn die deutsche Apotheke das Arbeitsfeld der Rezeptur behalten will, ist auch bei uns eine computergestützte Qualitäts-überwachung unausweichlich.

Einschreibung von Patienten

Obwohl die Einschreibepflicht von Patienten in einer bestimmten Apotheke in den Niederlanden vor zwei Jahren aufgehoben wurde, sind nach wie vor über 90% bei einer Apotheke Stammkunde. Wim Göttgens, Apotheker aus Benningen, sieht den Grund hierfür in der lückenlosen Betreuung, die den Patienten vor Schaden bewahren solle. Außerdem habe der Patient jederzeit das Recht, seine Daten einzusehen. Bei der Erstbelieferung des Patienten, die in Zukunft auch höher honoriert werden soll, erhält der Patient ein Merkblatt. Die Binnendijk-Apotheke in Nimwegen gibt zum Thema Cholesterol-Synthesehemmer folgende Hinweise neben dem Beipackzettel, der nach wie vor in der Packung ist:

  • Wie wirken Cholesterol-Synthesehemmer?
  • Wie lange müssen sie angewendet werden?
  • Wann ist ein Effekt bemerkbar?
  • Was gibt es für Nebenwirkungen?
  • Wie nimmt man das Präparat ein?
  • Wie kann man einen Herzinfarkt vermeiden?

Die kurz gefassten allgemein verständlichen Hinweise beziehen sich nicht nur auf den Wirkstoff, sondern auch auf die Lebensgewohnheiten.

Übertragung von Rezepten

"Lifeline" wird in den Niederlanden die Übermittlung von Verschreibungen per Computer vom Arzt über einen Provider in die Apotheke genannt. Üblicherweise wird das elektronische Rezept bis 13 Uhr in die Apotheke übermittelt. Ab 16 Uhr können die mit allen notwendigen Daten beschrifteten Beutel von den Patienten abgeholt werden. Der Vorteil liegt in der reibungslosen Abwicklung, ohne dass ein Patient in der Offizin steht. Bei Unstimmigkeiten oder zusätzlichen Hinweisen wird der Patient bei der Abholung kontaktiert. Alle Daten werden in das Informationssystem OZIS eingegeben und gegebenenfalls bearbeitet. Lifeline schafft hierfür die notwendigen Kapazitäten.

Die Zeit des ruhigen Arbeitens ist allerdings vorbei, wenn die Kunden nachmittags in die Apotheke strömen, um ihre Medikamente abzuholen. Van Nistelrooij bezifferte die Anzahl der Rezepte, die mit Lifeline oder per Fax in die Apotheke kommen, auf über 70 Prozent. Dass es die Ärzte mit der Abgabezeit nicht immer so genau nehmen, konnten wir bei einigen Faxen beobachten, die erst gegen 13.30 Uhr in der Apotheke eingingen.

In den Niederlanden ist durch die (freiwillige) Einschreibung in einer Heimatapotheke, aber auch durch die geringe Apothekendichte (eine Apotheke versorgt 8000 bis 12.000 Patienten), eine höhere Zahl von Verschreibungen täglich zu bearbeiten.

Gesundheitskarte in Deutschland

Unter dem Aspekt der freien Apothekenwahl und einer fehlenden Bindung – sieht man einmal vom Hausapothekenmodell ab – stellt sich bei uns die Frage, welcher Apotheke ein Arzt die Verschreibung übermitteln soll, wenn ein ähnliches System bei uns etabliert würde. Mit den Daten der Karte könnte ein flächendeckendes Informationssystem für Fachkreise leicht installiert werden.

Die in naher Zukunft geplante Einführung der elektronischen Gesundheitskarte könnte einen für die Akzeptanz wichtigen Mehrwert generieren, wenn sie Daten aus der Patientenakte enthielte und damit die Beratungsqualität und Arzneimittelsicherheit für den Patient anstiege.

100 Prozent aut idem

Die hohe Lieferbereitschaft trotz eines kleinen Warenlagers erklärt sich dadurch, dass die niederländische Apotheke frei entscheidet, welches Generikum abgegeben wird. So werden üblicherweise nicht Arzneimittel verschiedener Anbieter vorrätig gehalten, sondern ein Anbieter ausgewählt, der kostengünstig liefert.

Der Wechsel des Anbieters von Rezept zu Rezept und die damit verbundene Verunsicherung des Patienten entfällt.

Pille danach in der Tankstelle

Van Nistelrooij weist etwas wehmütig auf den anwesenden Kollegen Göttgens hin, der als einziger Apotheker in Benningen bisher alle Verschreibungen zugewiesen bekam. Doch auch in den Niederlanden sind die Verhältnisse im Umbruch, die Pille danach in der Tankstelle und Kettenapotheken in Supermärkten sind Herausforderungen, der sich die Apotheker stellen müssen.

Apotheker wird "Professional"

Für 2008 wird die Einstufung des Apothekers als "Professional" bzw. Behandler erwartet, die ihn auf eine Stufe mit dem Arzt stellt. Gleichzeitig trägt der Apotheker das volle Haftungsrisiko bei Abgabefehlern, deshalb wird der Arzneimittelsicherheit große Aufmerksamkeit gewidmet.

In einem Punkt haben die niederländischen Apotheker das Gesundheitsministerium in letzter Minute trotz aller Reformgedanken umstimmen können: In den Niederlanden wird es auch in Zukunft keine Apotheken ohne Apotheker geben. <

Anschrift des Verfassers:

Dr. Holger Goetzendorff, Aurikelweg 126, 50259 Pulheim, Tel./Fax (02238) 55048

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