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Reaktionen zur Gesundheitsreform

Strukturund Finanzprobleme der GKV bleiben ungelöst

BERLIN (ks). Die Verbände im Gesundheitswesen haben nach der Verabschiedung der Gesundheitsreform im Bundestag erneut massive Kritik geäußert. Ob gesetzliche oder private Kassen, Industrie oder Ärzte, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer – sie alle sind sich einig: Die kommende Reform wird die strukturellen und finanziellen Probleme der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht lösen.

Die GKV-Spitzenverbände erklärten ihr Bedauern, dass das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) trotz erheblichen Widerstands von breiten Teilen der Bevölkerung den Bundestag passierte. Um den Koalitionsfrieden zu wahren, sei eine Reform verabschiedet worden, die die anstehenden Probleme nicht löse, sondern neue schaffe. Sie führe zu mehr Staatsmedizin, mehr Bürokratie und ebne den Weg in die Einheitsversicherung. Auch das Ziel, einen fairen Wettbewerb zwischen GKV und PKV zu erreichen, sei völlig verfehlt worden. Ebenso wenig werde die Finanzierungsfrage gelöst. Nicht zuletzt belaste das GKV-WSG die gesetzlichen Kassen mit gut 600 Millionen Euro allein in 2007 erheblich. Zugleich betonten die Spitzenverbände, dass die Kassen die Reform nun zügig umsetzen werden – im Interesse ihrer Versicherten. Allerdings seien bei vielen Detailregelungen erhebliche Umsetzungsprobleme vorprogrammiert. "Das bisschen Wettbewerb, das im Gesetz geblieben ist, werden wir nutzen", erklärte der Chef des AOK-Bundesverbandes Hans Jürgen Ahrens. So liefen bereits die Vorbereitungen für neue Tarifangebote ab dem 1. April.

Der Vorsitzende des PKV-Verbandes, Reinhold Schulte, betonte, die Abgeordneten wüssten selbst, dass das erklärtermaßen wichtigste Reformprojekt der Koalition im Prinzip gescheitert sei. Auch wenn das in den ursprünglichen BMG-Entwürfen angelegte unmittelbare Aus für die PKV in der Schlussphase der Beratungen noch abgewendet werden konnte, bewirke das Gesetz eine erhebliche Verschlechterung der Rahmenbedingungen für die PKV und ihre Versicherten. So greife der vorgesehene Basistarif und die Portabilität von Alterungsrückstellungen in privatrechtliche Versicherungsverträge ein und werde zu teils deutlichen Beitragssteigerungen in der PKV führen. Auch die in letzter Minute noch aufgestockten Steuermittel, die ausschließlich zugunsten der GKV eingesetzt werden sollen, verstoßen aus Sicht der PKV gegen das Grundgesetz. Schulte kündigte an, dass die PKV-Unternehmen alles daran setzen werden, "dass die gesetzlichen Neuregelungen eben nicht in Richtung einer für alle Menschen in Deutschland nachteiligen Einheitsversicherung führen".

Industrie: Wettbewerbsstärkung ist Etikettenschwindel

Die pharmazeutische Industrie ist ebenfalls enttäuscht von der Reform: "Weder werden die finanziellen und strukturellen Probleme der GKV behoben, noch kommt es durch die geplanten Regelungen zu einem echten Wettbewerb zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen", erklärte Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Er sieht daher schon bald die nächste Gesundheitsreform kommen. Der Geschäftsführer des Branchenverbands Pro Generika, Hermann Hofmann, kritisierte, dass sich die Koalition der zentralen Aufgabe verweigert habe, in der Arzneimittelversorgung einen wettbewerblichen Ordnungsrahmen zu setzen. Wenn die Versorgung künftig über Rabattverträge zwischen Kassen und Herstellern geregelt werden soll, müsse auch für die Krankenkassen das Wettbewerbs- und das Kartellrecht gelten. Doch nach wie vor sollen die Kassen selbst dann nicht dem nationalen Kartellrecht unterliegen, wenn sie unternehmerisch handeln. "So haben sie in Zukunft freie Hand für Knebelverträge", erklärte Hofmann. Die Bezeichnung "Wettbewerbsstärkungsgesetz" ist für ihn daher ein "Etikettenschwindel".

Ärzte wollen weiter Druck ausüben

Besonders scharf äußerte sich der Präsident der Bundesärztekammer Jörg-Dietrich Hoppe: "Diese Reform ist eine Zumutung für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind". Ihre Grundausrichtung sei "völlig falsch", da sie das Gesundheitswesen sukzessive in ein staatlich gelenktes System mit Zuteilungsmedizin und Wartelisten umwandeln werde. Hoppe hält es daher für nötig, die Bürger weiter umfassend über die Folgen der Reform zu informieren und den Druck auf die Politik aufrechtzuerhalten. "Es wird keine Zeit gesundheitspolitischen Stillhaltens geben", so der Ärztepräsident. Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, machte ebenfalls deutlich, dass die Niedergelassenen nach wie vor alle Elemente der Reform ablehnen, die zu Zentralismus, Staatsmedizin und staatlicher Beeinflussung des Patienten-Arzt-Verhältnisses führen. So etwa die Tatsache, dass das Bundesgesundheitsministerium künftig einen einheitlichen GKV-Beitragssatz festlegen wird. Trotz aller Kritik sehe die KBV aber auch Chancen, "die wir im Interesse der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten nutzen wollen", erklärte Köhler. Dazu gehöre die Möglichkeit, die Bindung der vertragsärztlichen Vergütung an die Grundlohnsumme zu lösen. Zwar werde die Budgetierung nicht vollständig aufgehoben – aus dem "Budgetdeckel" sei aber ein "Budgetsieb" geworden. Die Chance sei groß, dass die Ärzte ab 2009 ein besseres Honorar für ihre Leistungen erwarten können.

DGB: "Halbwertszeit von höchstens drei Jahren"

Enttäuscht zeigten sich zudem Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und DGB-Chef Michael Sommer. Hundt forderte, die zahlreichen unerledigt gebliebenen Reformaufgaben schnellstmöglich aufzugreifen. So müsse die Krankheitskostenfinanzierung vom Arbeitsverhältnis abgekoppelt und der Wettbewerb ausgebaut werden. Sommer bedauerte, dass die breite Kritik zahlreicher Experten nur zu marginalen Änderungen des Reformgesetzes geführt habe. Die Reform löse weder die Finanz- noch die Strukturprobleme, entmachte aber die erfolgreiche Selbstverwaltung und führe überflüssige, neue und bürokratische Instrumente wie den Fonds ein. "Ich gebe der Reform deshalb eine Halbwertszeit von höchstens drei Jahren", sagte Sommer.

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