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Nach der Reform ist vor der Reform

Seit dem 29. März 2006, als sich die Große Koalition auf die Ziele einer Reform für das Gesundheits- und Krankenkassenwesen einigte, verfolgt uns das Thema Gesundheitsreform. Anfang Juli 2006 lagen die Eckpunkte vor, im Mittelpunkt stand der Gesundheitsfonds. Im November fand die Anhörung im Gesundheitsausschuss statt: Die Sachverständigen und Beteiligten ließen kein gutes Haar am Gesetzentwurf, sie forderten einen Abbruch und einen Neubeginn der Überlegungen. Doch bereits da spürte man, dass ein Neuanfang der Beratungen, ein Nachdenken über Ziele und Wege nicht zur Diskussion stand – dies hätten die Koalitionspolitiker gleichgesetzt mit einem Scheitern ihrer Koalition. Verstanden hat dies niemand so recht, im Gegenteil: Ich glaube, wenn Merkel mit einem Machtwort einen Neuanfang der Überlegungen ausgerufen und sich für mehr Ruhe und Sachverstand bei den Beratungen eingesetzt hätte – sie selbst, die Koalition und nicht zuletzt das Ergebnis hätten nur gewinnen und davon profitieren können. Stattdessen wurschtelte man unter dem Diktat von Machtinteressen weiter, herausgekommen ist Murks auf fast allen Ebenen, Unausgegorenes und nicht zu Ende Gedachtes – auf keinen Fall eine Reform, die unser Gesundheitswesen für die nächsten Jahre zukunftsfähig macht. Jeder Insider des Gesundheitswesens, alle Verbände und Gruppierungen lehnen das Reformwerk unisono ab, Lobhudelei kommt nur von den Koalitionären – aber selbst da nicht von allen. (Vermutlich macht sich in der Koalition deshalb Erleichterung breit, weil dieser Papierwust an Gesetzestext und Änderungsanträgen endlich vom Tisch ist. Welcher Abgeordnete hat tatsächlich den über 500 Seiten starken Gesetzesantrag und die über 260 Seiten starke Beschlussempfehlung mit den Änderungsanträgen, über die er am 2. Februar abstimmte, gelesen geschweige denn die Zusammenhänge verstanden?) Immerhin zeigte die Abstimmung im Bundestag, dass einige aus den Koalitionsreihen mit Nein abgestimmt hatten (die Namensliste, wer wie abstimmte, findet sich im Internet). Schon jetzt ist abzusehen, dass die Kosten im Gesundheitswesen weiter steigen, der Druck im System zunimmt – die nächste Reform wird wieder versuchen, zu deckeln: Nach der Reform ist vor der Reform.

Was ist bei dem Machwerk herausgekommen? Finanzielle, strukturelle Probleme der gesetzlichen Krankenversicherung wurden nicht behoben, ein echter Wettbewerb zwischen den Beteiligten im Gesundheitswesen, schon gar nicht zwischen den Kassen, kommt nicht zustande. Das Gesetz wird, wenn es dann nach der Zustimmung des Bundesrats und der Unterschrift des Bundespräsidenten am 1. April in Kraft tritt, auch für viel Interpretationsspielraum sorgen und sicher einige Gerichte beschäftigen. Vermutlich wird sich sogar das Bundesverfassungsgericht mit dem Gesetz beschäftigen müssen, da Teile des Gesetzes in privatrechtliche Versicherungsverträge (PKV) eingreifen und Steuermittel ausschließlich zugunsten der GKV eingesetzt werden, was gegen das Grundgesetz verstößt. Nachbesserungen werden wohl kommen müssen.

Für uns Apotheker nimmt auch dieses Gesetz wieder, wie seine Vorgänger, einen Teil unserer Einnahmen weg – zugunsten der gesetzlichen Krankenversicherung. Erst in den letzten Tagen der Beratungen wurde die Erhöhung des Zwangsrabatts an die gesetzlichen Krankenkassen von 2 Euro auf 2,30 Euro ins Gesetz geschrieben. Weggefallen ist dafür die ursprünglich vorgesehene Verpflichtung, durch Verzicht auf Handelsmargen sowie Zu- und Aufzahlungen der Versicherten sowie durch Rabattverträge mit der pharmazeutischen Industrie 500 Millionen Euro einzusparen. Erreicht werden konnte auch, dass die Arzneimittelpreisverordnung nicht auf ein Höchstpreissystem umgestellt wird, der einheitliche Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel bleibt somit erhalten. Wir müssen also die 30 Cent mehr als Kröte schlucken, schlimm genug. Aber dafür bleibt das System der Höchstpreise erhalten und die Pflicht, die Zuzahlung von den Versicherten zu nehmen – möglicherweise hätte die Abschaffung zu einem unsinnigen Preiskampf geführt, von dem niemand profitiert hätte.

Geblieben ist die Möglichkeit der Auseinzelung von Arzneimitteln, wobei die Kopie einer Packungsbeilage mitgegeben werden muss.

Bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln müssen Apotheken eine Aut-idem-Ersetzung durch solche Arzneimittel vornehmen, für die Vereinbarungen über Preisnachlässe mit den pharmazeutischen Unternehmern nach §130 a Abs. 8 (Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Industrie) bestehen.

Neu ist auch, dass sich Apotheken bei Zytostatika, die sie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten selbst herstellen, auf Preisverhandlungen mit Krankenkassen einstellen müssen: Die Gesundheitsreform sieht vor, dass Abschläge auf den Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers sowie auf die Preise und Preisspannen der Apotheken vereinbart werden können.

Als Versicherte, egal ob gesetzlich oder privat, werden wir die Reform alle zu spüren bekommen: Die Beiträge werden steigen und die Leistungen in der Regel geringer. Und da schon jetzt vorauszusehen ist, dass die Kosten weiter nach oben gehen und die Einnahmen nicht mithalten, wird schon in absehbarer Zeit die nächste Reform anstehen. Sie wissen ja: nach der Reform ist vor der Reform

Peter Ditzel

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