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Debatte im Bundestag

Koalitionsmehrheit besiegelt Gesundheitsreform

BERLIN (ks). Nach über einem Jahr zäher Verhandlungen hat der Bundestag am 2. Februar die Gesundheitsreform verabschiedet. In der zweieinhalbstündigen Debatte verteidigten Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und andere Koalitionspolitiker insbesondere die Strukturelemente der Reform. Die Opposition griff das Reformwerk erneut scharf an. Auch 23 CDU- und 20 SPD-Abgeordnete verweigerten dem Gesetz ihre Zustimmung. Teilweise gaben sie zur Begründung ihres negativen Votums schriftliche Erklärungen ab.

Die Ministerin hob zu Beginn der Debatte drei Gründe hervor, "die allein schon ausreichen, um für dieses Gesetz zu stimmen": Künftig soll es eine Versicherungspflicht für alle geben, der Grundgedanke Prävention vor Behandlung und Rehabilitation vor Pflege soll sich durch die gesamte Versorgung ziehen und die Gelder sollen künftig dahin fließen, wo sie gebraucht werden, statt an ineffizienten Stellen zu versickern. Schmidt verteidigte zudem den geplanten einheitlichen Kassenbeitrag: In einem System, in dem alle Versicherten den gleichen Anspruch auf Leistung haben, sei es "solidarisch, wenn auch alle den gleichen Prozentsatz von ihrem Einkommen aufbringen, um die Versorgung sicherzustellen".

Die Ministerin sowie der CSU-Gesundheitsexperte Wolfgang Zöller betonten überdies, dass auf der Leistungsseite vieles besser werde – etwa durch die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung von Menschen mit seltenen und schweren Erkrankungen oder die neuen Ansprüche der Versicherten auf palliativmedizinische Versorgung. "Die Gesundheitsreform ist wesentlich besser als ihr Ruf", betonte Zöller. Nutznießer seien in erster Linie die Versicherten und Patienten. Das anerkannt hohe Niveau des deutschen Gesundheitssystems werde mit der Reform gesichert, ohne dass es zu verschärften Zuzahlungsregelungen oder Einschnitten in den Leistungskatalog komme. Vielmehr würden "bestehende Versorgungslücken zum Wohle der Versicherten geschlossen". Der Unions-Fraktionsvize warb zudem für den Gesundheitsfonds, der einen "Beitrag zu einer nachhaltigen Finanzierung" leiste. Seine drei Säulen – lohnbezogener Beitrag, Steuern und Zusatzbeitrag – seien "Schritte in die richtige Richtung der Entkopplung der Gesundheitskosten von den Arbeitskosten". Nicht zuletzt wies Zöller den Vorwurf zurück, den Mitgliedern des Gesundheitszuschusses seien zu viele kurzfristig eingereichte Änderungsanträge zugemutet worden: Hätte man diese nicht gestellt, hätte man der Großen Koalition Beratungsresistenz vorgehalten. Bringe man die Anträge jedoch ein, heiße es "Triumph der Lobby" – für eine Seite müsse man sich entscheiden, so Zöller.

FDP: Planwirtschaft statt Wettbewerb

Die Opposition sah sich in ihrer Ablehnung der Reform nicht zuletzt durch die Reformkritiker aus der Regierungskoalition bestätigt. Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Daniel Bahr bemängelte, die Reform werde von der Koalition gegen den Rat aller Sachverständigen und sogar der eigenen Fachpolitiker "durchgepeitscht". Es gehe Union und SPD allein um die Sicherung ihrer Macht. Die Bürger würden hingegen zur Kasse gebeten: "Das ist die erste Gesundheitsreform, die mit einer Erhöhung der Krankenkassenbeiträge beginnt und eine Steuererhöhung mit sich bringt", so Bahr. Sein Partei- und Fraktionschef Guido Westerwelle hielt der Koalition vor, mit der Reform einen "Weg in Richtung von noch mehr bürokratischer Staatswirtschaft" zu beschreiten. Es habe nichts mit Wettbewerb und sozialer Marktwirtschaft zu tun, wenn es künftig einheitliche Kassenbeiträge gebe. Mit der Argumentation, es sei nicht richtig, dass für dieselbe Leistung unterschiedliche Preise verlangt werden können, könne der Bundestag "demnächst den Brotpreis festsetzen", wetterte Westerwelle.

Grüne: Kniefall vor den Lobbyisten

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sprach von einer "Tragikomödie" und "Kniefällen" vor den großen Lobbygruppen. Mit Blick auf die ungeklärte Steuerfinanzierung des Fonds warf sie der Koalition einen "Handel mit ungedeckten Schecks" vor. Darüber hinaus sei die Reform weit davon entfernt, mehr Wettbewerb und weniger Bürokratie zu schaffen. Exemplarisch nannte sie das Apothekenwesen, das "immer noch eine im Wesentlichen wettbewerbsfreie Zone" sei. Künast: "Das Wort ‚Apothekenpreise’ als Synonym für überzogene, nicht faire Preise, mit denen die Verbraucher oder die Patienten abgezockt werden, wird bestehen bleiben, weil es die Realität im Apothekenwesen beschreibt".

Linke: Reform dient nur der Wirtschaft

Der Chef der Linksfraktion Gregor Gysi kritisierte, die Reform diene nur der Wirtschaft, da künftige Mehrbelastungen allein den Beschäftigten auferlegt würden. "Das hat mit sozial und solidarisch gar nichts zu tun." Der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Frank Spieth, monierte, dass gerade die Gutverdienenden aus der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe der Finanzierung des Gesundheitssystems entlassen würden.

Schriftliche Kritik aus den eigenen Reihen

Die Argumente der Reformgegner aus den Reihen der Großen Koalition blieben im Plenum außen vor. Eine Vielzahl von Abgeordneten der Regierungsfraktionen nutzten jedoch die Möglichkeit, schriftliche Erklärungen abzugeben – darunter sowohl solche, die um Zustimmung für das Reformgesetz warben, als auch solche, die es ablehnten. So betonten etwa die SPD-Abgeordneten Karl Lauterbach, Andrea Nahles und Niels Annen in einer gemeinsamen Erklärung, dass die Reform keines der wünschenswerten Ziele erreicht habe. Dazu zählen sie die Stabilisierung oder Senkung der GKV-Beitragssätze, die Verbreiterung der Einnahmebasis der GKV, den Abbau der sich verstärkenden Zwei-Klassen-Medizin und die Schaffung eines fairen Wettbewerbs zwischen GKV und PKV. Stattdessen stiegen die Beiträge bereits im Vorfeld der Reform und die Einsparungen schrumpften durch die "ständigen Verwässerungen der Strukturreform". Noch problematischer als das Nicht-Erreichen der zentralen Ziele sei jedoch, dass neue Probleme geschaffen würden. Das größte hiervon sei die Einführung eines "neuen und gefährlichen Wettbewerbs um einkommensstarke Mitglieder für die GKV, der sich langfristig negativ auf die Qualität der Versorgung auswirken muss".

Pünktlicher Reformstart erwartet

In der namentlichen Abstimmung stimmten 378 Abgeordnete mit Ja, 207 votierten mit Nein. Acht Parlamentarier enthielten sich – jeweils vier aus der SPD und der CDU. Insgesamt wurden 593 Stimmen abgegeben. Aller Kritik zum Trotz zeigten sich die Gesundheitsministerin, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Fraktionschefs von Union und SPD nach der Abstimmung erleichtert. Wieder sind sie dem Abschluss des langwierigen Reformvorhabens ein gutes Stück näher gekommen. In einer guten Woche – am 16. Februar – wird der Bundesrat über das Reformgesetz entscheiden. Kaum jemand zweifelt, dass die Länder ihre Zustimmung erteilen werden. Sofern der Bundespräsident ebenfalls keine Einwände erhebt, kann das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz am 1. April in Kraft treten.

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