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Wer sich nicht wehrt ...

Es wird Zeit, den Absahnern das Handwerk zu legen. Die Politik, die Exekutive, wohl auch die Staatsanwälte sind gefordert. Zwar spielt der Arzneiversandhandel insgesamt – umsatzbezogen – mit ein bis zwei Prozent nach wie vor eine untergeordnete Rolle. In einzelnen Marktsegmenten (z. B. bei hochpreisigen OTC-Arzneimitteln) gelingt es den Versendern aber, deutlich zweistellige Marktanteile an sich zu ziehen. Patienten werden mit Mengen- und Preisrabatten geködert, die Apotheken vor Ort vernünftigerweise nicht gewähren und nicht gewähren können. Apotheken vor Ort sichern die Akutversorgung, fertigen Rezepturen, beschaffen in kürzester Frist jedes überhaupt verfügbare Arzneimittel, gewährleisten den Notdienst. All das kostet, ist aber unverzichtbar, wird zu Recht gefordert. Ohne die Leistungen der Apotheken vor Ort bräche die Arzneiversorgung zusammen.

Der Arzneiversandhandel ist dagegen für die Versorgung so nötig wie ein Kropf. Die großen Arzneiversender sind nicht mehr als Trittbrettfahrer. Es wird ihnen leicht gemacht, viel zu leicht.

Besonders dreist ist, wie sich die Versender dem gesetzlichen Kontrahierungszwang entziehen können, ohne dass bisher die Behörden eingreifen. Zum Beispiel die Europa Apotheek in Venlo, die für die dm-Dromarkt-Kette – illegal, so meine ich – Rezepte einsammelt und ausliefert: Im Kleingedruckten des Werbeflyers, der derzeit bei dm ausliegt, heißt es (nach großgedruckter Herausstellung von Preisvorteilen und dem kleingedruckten Hinweis, wo überall keine Boni gewährt werden): "Nicht im Lieferumfang enthalten sind starke Schlaf- oder Schmerzmittel, Tierarzneimittel und Individualanfertigungen."

Nicht enthalten ist auch eine Beteiligung am Not- und Wochenenddienst für die verehrte Versandkundschaft. Nicht enthalten ist ferner eine dem Absatz angemessene Beteiligung an den Informations- und Beratungspflichten der Apotheken. Da mögen sich die Besteller doch bitte an ihre Apotheker und Ärzte vor Ort wenden, so z. B. der Arzneiversender "postPills" reichlich unverblümt (vgl. AZ Nr. 25 vom 18. 6. 2007, Kommentar "Immer dreister"). Wer sich so aus der Verantwortung stiehlt, kommt mit einer lächerlichen Besetzung an Apothekern aus. Er kann leicht mit Dumpingpreisen Kunden locken – und ihnen dabei trotzdem ungerechtfertigt Geld aus der Tasche ziehen.

Dieser perversen Spielart von Wettbewerb muss ein Ende gemacht werden. Wir müssen von der Politik verlangen, die Spielregeln für den Arzneiversand neu zu justieren und dann auch wirklich durchzusetzen. Wenn ein Totalverbot des Arzneiversandes bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln wegen des unsäglichen EuGH-Urteils zum Arzneiversand zunächst nicht mehr durchsetzbar ist, müssen wenigstens andere Maßnahmen her, die der leistungsfeindlichen Privilegierung des Arzneiversandes und der überproportionalen Belastung der Vor-Ort-Apotheken ein Ende machen.

Als Minimallösung sollten wir einen "Leistungsstrukturausgleich" zwischen Arzneiversendern und Vor-Ort-Apotheken verlangen und durchsetzen – nach dem Muster des "Risikostrukturausgleiches", mit dem zwischen den Krankenkassen unterschiedliche Belastungen ausgeglichen werden. Die Arzneiversender müssen künftig kräftig zahlen, damit sie sich angemessen an den teueren Gemeinwohlaufgaben beteiligen, die nicht ihnen, wohl aber den Vor-Ort-Apotheken abverlangt werden.

Die Zeit des Stillhaltens ist vorbei. "Tut 'was" muss die Forderung sein. Sie richtet sich nicht nur an die anderen; jeder von uns muss seine Möglichkeiten nutzen. Es geht dabei nicht nur um die Bekämpfung des illegalen und fälschlich legalisierten Arzneiversandhandels – mit all seinen Verwerfungen, auch dem hohen Risiko, dass Fälschungen in die Versorgung einsickern. Wir müssen auch deutlich machen, was der Gesellschaft droht, wenn die unabhängigen Heilberufe weiter geschwächt werden. Die Ärzte sind dabei mindestens ebenso gefährdet wie die Apotheker. Entzaubern wir die Oesterles, Däinghäuser und die ihnen eng verbundenen "Berater" und Pseudo-Experten, die sich wie Sempora-Chef Brodtkorb in die Medien und die öffentliche Aufmerksamkeit schummeln! Den Slogan der Protestgeneration "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt" kann man auch umdrehen: "Wer sich wehrt, lebt richtig".

In diesem Sinn wünschen Ihnen die DAZ-Redaktion und alle Mitarbeiter des Deutschen Apotheker Verlages einige besinnliche Weihnachtstage und ein gutes neues Jahr. Auf dass wir 2008 mit guten Argumenten Schlachten schlagen und gewinnen mögen!

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