Arzneimittel und Therapie

Neues Zytostatikum

Trabectedin – ein Alkaloid aus dem Meer

Seit Oktober ist Trabectedin (Yondelis®) auf dem Markt, ein neues Arzneimittel zur Behandlung von fortgeschrittenen Weichteilsarkomen. Das Alkaloid wurde aus einem Meerestier isoliert, der Seescheide Ecteinascidia turbinata Auch das im letzten Jahr eingeführte Schmerzmittel Ziconotid (Prialt®) stammt aus einem Meeresorganismus, und zahlreiche weitere marine Substanzen werden derzeit im Hinblick auf ihre medizinische Anwendung untersucht.

Unter der Oberfläche der Ozeane tummelt sich das Leben. Manche Biotope sind sehr eng besiedelt, und die Arten leben dicht aufeinander. Die ungeheure Artenvielfalt hat unvorstellbar viele biochemische Substanzen hervorgebracht, weit mehr als die Landbewohner. Mit den Substanzen wehren die Organismen Feinde ab oder kommunizieren untereinander.

12.000 Wirkstoffe aus dem Meer sind bereits beschrieben, nur ein Bruchteil ist genau erforscht, und 100.000 weitere pharmazeutisch wirksame Substanzen werden noch in den Meeren der Welt vermutet.

Einige der Meeresorganismen werden schon seit Jahrhunderten medizinisch und kosmetisch genutzt. So hat Aristoteles 320 v. Chr. in seinem Werk über die Natur den Schwämmen ein ganzes Kapitel gewidmet und ihnen Namen gegeben, von denen einige noch heute im wissenschaftlichen Gebrauch sind.

In den 50-iger Jahren wurden aus dem karibischen Schwamm Cryptotethya crypta die beiden Nucleoside Spongouridin und Spongothymidin isoliert, die später als Vorlagen für Antimetaboliten, nämlich das Herpesmittel Vidarabin und das Zytostatikum Cytarabin dienten.

Ein anderer Wirkstoff aus einem Schwamm ist Discodermolid aus Discodermia dissolute, der in der Tiefsee um die Bahamas gedeiht. Im Tierversuch war Discodermolid bereits gegen Krebs wirksam, derzeit laufen klinische Studien. Außerdem soll die Substanz das Immunsystem hemmen.

Schmerzmittel aus der Kegelschnecke

Mitte 2006 kam das Schmerzmittel Ziconotid auf den Markt, dessen Struktur sich aus dem Toxin der marinen Kegelschnecke Conus magnus ableitet, dem Conotoxin. Die Schnecke aus dem Roten Meer erlegt mit ihrem Gift kleine Bodenfische – wie mit einer Harpune schießt sie durch einen umgewandelten Zahn das Nervengift in die Beute. Der Effekt gleicht einem elektrischen Schock. Das Beutetier erstarrt innerhalb von Sekunden in einem Muskelkrampf, der es ihm unmöglich macht, der hungrigen Schnecke zu entkommen.

Ziconotid besteht aus 25 Aminosäuren. Das Peptid dockt an die N-Typ-Calciumkanäle an und blockiert dort die Übertragung von Nervensignalen. Bei den Conotoxinen führt das in der Natur zur Lähmung und zum Tod des Beutefisches. Für die therapeutische Anwendung von Ziconotid wird die Blockade von Schmerzreizen im Rückenmark genutzt.

Ziconotid soll wesentlich stärker als Morphin wirken. Es wird über einen Epiduralkatheter kontinuierlich rückenmarksnah (intrathekal) infundiert. Die Wirkstoffzufuhr wird über eine externe oder implantierte Mikroinfusionspumpe reguliert.

Arzneistoffe und Kosmetika

Weitere Arzneistoffe marinen Ursprungs, die sich derzeit in Phase II und III der klinischen Entwicklung befinden, sind Bryostatin und Aplidin.

Bryostatin wird von einem seit 20 Jahren bekannten Bakterium gebildet, der Bryozoe Bugula neritina, das in Symbiose mit dem Moostierchen lebt und dieses vor anderen Bakterien und Pilzen schützt. Bryostatin wird gegen Blutkrebs erprobt.

Aplidin ist ein Peptid, das aus der Seescheide Aplidium albicans gewonnen wird. Der multi-faktorielle Apoptose-Auslöser zeichnet sich durch eine niedrige hämatologische Toxizität und hohe Tumorzellspezifizität aus. Aplidin bewirkt bei Tumorzellen eine schnelle und anhaltende Aktivierung der Apoptose. Ebenso hemmt es die Sekretion des vaskulären endothelialen Wachstumfaktors (VEGF), eines wichtigen Proteins, das bei der Gefäßbildung und dem Wachstum einer Reihe von Tumoren sowie der Expression des VEGF-Rezeptors 1 (VEGFR1) eine Rolle spielt. Aplidin befindet sich derzeit in Phase-II-Tests unter anderem für Melanome und Non-Hodgkin-Lymphome sowie Enddarm-, Nieren-, Lungen- und Pankreaskarzinome.

Auch Korallen liefern Wirkstoffe: Bereits im Jahr 1969 wurden zwei Prostaglandin-Derivate in der karibischen Gorgonie Plexaura homomalla entdeckt, einer Hornkoralle. Das sogenannte Pseudopterosin aus der Hornkoralle Pseudopterogorgia ist als Korallenextrakt in einer Hautcreme (Hersteller Estée Lauder) enthalten und mildert Entzündungen. Außerdem soll es gegen Schmerzen helfen.

Trabectedin aus der Seescheide

Als neueste Substanz aus einem Meeresorganismus kommt jetzt das Alkaloid Trabectedin (Yondelis®) auf den Markt. Der Wirkstoff stammt ursprünglich aus dem Manteltier (Tunikate) Ecteinascidia turbinata , das in tropischen Meeren, zum Beispiel in den Mangrovensümpfen der Karibik und auch im Mittelmeer lebt und wurde früher auch als Ecteinascidin bezeichnet. Manteltiere leben wie die Schwämme festsitzend und ernähren sich von Plankton. Heute wird Trabectedin halbsynthetisch hergestellt.

Trabectedin wurde zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem beziehungsweise metastasiertem Weichteilsarkom zugelassen, wenn diese auf die Behandlung mit Anthracyclinen oder Ifosfamid nicht mehr ansprechen oder wenn sie für diese Therapien nicht in Frage kommen. Da es nur wenige Patienten mit einem Weichteilsarkom gibt, wurde Trabectedin bereits im Mai 2001 als Orphan drug eingestuft.

Trabectedin wirkt bei einer Reihe humaner Tumorzelllinien und experimenteller Tumoren einschließlich Malignome wie Sarkom antiproliferativ. Das Alkaloid bindet im Zellkern an die kleine Furche der DNA, sodass die Helix der großen Furche nachgibt. Als Folge verändern sich DNA-Reparaturenzyme und Transkriptionsfaktoren, die auf verschiedenen Wegen den Zellzyklus beeinflussen. Der Zellzyklus wird gestört, und die Zelle stirbt. Trabectedin wirkt gegen Tumorarten, welche die Weichteile des Menschen befallen, zum Beispiel Tumore von Muskel- und Bindegewebe, Blut- oder Lymphgefäßen oder Fettgewebe.

Klinische Wirkung

Wirksamkeit und Sicherheit von Trabectedin wurden in einer randomisierten Studie mit 266 Patienten mit Liposarkom oder Leiomyosarkom getestet, deren Erkrankung trotz Behandlung mit Anthracyclinen und Ifosamid progredient verlief oder rezidivierte. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Trabectedin wurde in einer randomisierten Studie bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Liposarkom oder Leiomyosarkom getestet, deren Erkrankung nach der Behandlung mit zumindest Anthrazyklinen und Ifosamid einen progredienten Verlauf genommen hatte oder rezidiviert war. In dieser Studie wurde Trabectedin entweder in einer Dosis von 1,5 mg pro Quadratmeter Körperoberfläche als 24-stündige intravenöse Infusion alle drei Wochen oder in einer Dosis von 0,58 mg pro Quadratmeter wöchentlich als dreistündige intravenöse Infusion über drei Wochen in einem vierwöchigen Zyklus gegeben. In der ersten Gruppe dauerte es bis zur Progression der Erkrankung durchschnittlich 3,7 Monate, in der zweiten Gruppe 2,3 Monate. Mehr als 60% der Patienten in der ersten Gruppe lebten nach einem Jahr noch, im Mittel überlebten die Patienten knapp 14 Monate.

Bei mehr als 90% der Patienten traten Nebenwirkungen auf, bei rund 40% solche des Schweregrades 3 oder 4. Am häufigsten kam es zu Übelkeit, Erbrechen, Fatigue, Appetitlosigkeit, Neutropenie und einem Anstieg der Leberenzyme. Bei Patienten mit schweren oder unkontrollierten Infektionen, in der Stillzeit und in Kombination mit der Gelbfiebervakzine darf Trabectedin nicht angewendet werden.

Quellen

Informationen der Firma PharmaMar, Madrid.

Fachinformation von Yondelis, Stand September 2007.

An meinen Badeschwamm
Großer Schwamm, du braver Bronnen,
drauf mein Aug‘ erwachend säumt,
der an seinem Garn versonnen
an des Ofens Vorsprung träumt!
Brüt ich über Denkdoktrinen,
nehm ich dich als Vorwurf gern;
und dann dienst du deinem Herrn
anders, als sonst Schwämme dienen.
Wie vom Schwert der Cherubim
wirst du dann von ihm entkleidet -
Farbe, Form, Charakter scheidet,
und du wirst ein Ding an ihm.
Doch nur etliche Minuten
schwebst du so, des Selbst beraubt ...
Und dann strömst du kühle Fluten
über sein erquicktes Haupt.
Christian Morgenstern (1871-1914)

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