Arzneimittel und Therapie

Oseltamivir und Zanamivir

NeuropsychiatrischeKomplikationen im Visier

Ein FDA-Beratergremium hat sich unlängst dafür ausgesprochen, die Warnhinweise für die Neuraminidasehemmer Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®) zu verschärfen. Hintergrund sind plötzlich auftretende neuropsychiatrische Komplikationen bei Kindern und Jugendlichen, die insbesondere in Japan in der Vergangenheit verstärkt unter einer Therapie mit den Virustatika aufgetreten sind, im Falle von Oseltamivir teilweise mit tödlichem Ausgang.

Mit der Einführung des ersten Neuraminidasehemmers Zanamivir (Relenza®) im Jahre 1999 zur Behandlung der Influenza A und B begann die Diskussion um Risiken und Nutzen dieser neuen Wirkstoffe zur Bekämpfung der Virusgrippe. Während zunächst bei Zanamivir Probleme bei der Inhalation und damit verbunden Bronchospasmen und Lungenfunktionsstörungen mit teilweise letalem Ausgang im Vordergrund standen, sind vor allem nach japanischen Berichten über Verhaltensauffälligkeiten mit Todesfolge ("Sprung aus dem Fenster") unter Oseltamivir neuropsychiatrische Komplikationen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Betroffen davon sind in besonderem Maße Kinder und Jugendliche.

In regelmäßigen Sitzungen beschäftigen sich daher die Überwachungsbehörden mit diesen Meldungen, insbesondere um zu klären, inwieweit ein kausaler Zusammenhang zwischen der Therapie mit den Neuraminidasehemmern und den Komplikationen besteht. Im November hatte erneut ein Beratergremium der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA diese Problematik auf der Tagesordnung stehen.

Bis zum Ende der Influenzasaison 2007 sind nach Angaben des amerikanischen Office of Surveillance of Epidemiology (OSE) weltweit 25 Todesfälle bei Kindern und Jugendlichen bis zu einem Alter von 21 Jahren unter einer Behandlung mit Oseltamivir bekannt geworden. Drei Todesfälle wurden aus den USA gemeldet, einer aus Ägypten, 21 aus Japan. Insgesamt liegen dem OSE bis Ende Mai 2007 596 Berichte über neuropsychiatrische Nebenwirkungen in allen Altersgruppen vor (Tab. 1). 16 Todesfälle werden mit einem neuropsychiatrischen Ereignis in Zusammenhang gebracht. In den meisten Fällen waren die Patienten wegen einer Influenzainfektion mit Oseltamivir behandelt worden, nur in 19 Fällen hatten die Patienten das Virustatikum zur Prophylaxe erhalten.

Für die Bewertung des zweiten zugelassenen Neuraminidasehemmers Zanamivir konnte das OSE auf 115 Berichte zu neuropsychiatrischen Komplikationen bis zum 31. Mai 2007 zurückgreifen (Tab. 2). Im Gegensatz zu Oseltamivir sind unter Zanamivir keine Todesfälle in Zusammenhang mit neuropsychiatrischen Komplikationen gemeldet worden. Dagegen weist das Spektrum der Nebenwirkungen große Übereinstimmungen mit dem von Oseltamivir auf.

Pressemeldungen zufolge soll das FDA-Beratergremium empfohlen haben, die Produktinformation zu Tamiflu® um einen Warnhinweis zu Todesfällen zu ergänzen. In den Informationen zu Relenza® soll auf Halluzinationen und Delirien verwiesen werden.

Gleiche Symptome unter Influenzainfektion

Nach wie vor sehen die Hersteller der beiden Substanzen, Roche und GlaxoSmithKline, keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Oseltamivir bzw. Zanamivir und den neuropsychiatrischen Nebenwirkungen. Auch die Influenzainfektion selber könne durch das hohe Fieber zu ähnlichen, plötzlich auftretenden Symptomen führen. Daher sei es schwierig zu unterscheiden, ob Verwirrtheitszustände, Verhaltensstörungen oder Delirien Folge der Erkrankung oder der Behandlung sind. Die meisten Meldungen zu neuropsychiatrischen Komplikationen unter Neuraminidasehemmer kommen aus Japan. Herstellerangaben zufolge wird Oseltamivir in Japan sechsmal häufiger verordnet als in den USA. Roche beziffert die kumulative Melderate für neuropsychiatrische Komplikationen unter Oseltamivir in Japan auf 99 Ereignisse bei 1 Million Verschreibungen, in den USA auf 19 Ereignisse bei 1 Million Verordnungen. Danach zählen diese Nebenwirkungen in beiden Ländern zu seltenen Komplikationen einer Oseltamivir-Behandlung, so Roche.

GlaxoSmithKline hat in den letzten zwei Jahren einen Anstieg der Zanamivir-Verordnungen um das Fünffache verzeichnet. Hohe Verordnungszahlen in Japan zusammen mit spektakulären Medienberichten zu Todesfällen unter Oseltamivir werden von GlaxoSmithKline für eine sprunghafte Meldung neuropsychiatrischer Komplikationen im März und April 2007 auch unter Zanamivir verantwortlich gemacht. Weder GlaxoSmithKline noch Roche sehen zurzeit eine Notwendigkeit, die Produkt- und Fachinformationen um entsprechende Warnhinweise zu ergänzen.

Auch auf EU-Ebene werden die Berichte zu neuropsychiatrischen Nebenwirkungen unter Neuraminidasehemmer genau verfolgt. Nach Auskunft von Dr. Ulrich Hagemann, Leiter der Abteilung Pharmakovigilanz des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, gibt es keinen neuen Erkenntnisstand. Die Frage zum Kausalzusammenhang sei nach wie vor ungeklärt.

Quelle

Pediatric Safety Update for Tamiflu DAVP Review Team Background Memo. 9. November 2007.

GlaxoSmithKline: FDA Pediatric Advisory Committee Meeting: Relenza Review about Neuropsychiatric and Behavioral Events. 27. November 2007.

Hoffmann-La Roche Nutley, New Jersey: Pediatric Advisory Committee Briefing Document for Tamiflu

FDA-Ausschuss für strengere Warnung bei Tamiflu und Relenza. Reuters Deutschland 29. November 2007.

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Verwirrtheitszustände und plötzlich auftretende Fluchtreflexe haben zu Todesfällen von mit Oseltamivir behandelten Jugendlichen geführt. Seitdem wird diskutiert, ob dafür Oseltamivir direkt verantwortlich zu machen ist, ob es sich um einen Klasseneffekt von Neuraminidasehemmern handelt oder ob diese Reaktionen durch die Influenzainfektion direkt ausgelöst worden sind.
Foto: Imago

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